Fußball-Bundesliga: Hopp ist kein Opfer, sondern Teil des Problems

18. März 2020

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Gastbeitrag

Fußball-Bundesliga: Hopp ist kein Opfer, sondern Teil des Problems

Nachdem Dietmar Hopp bei einem Fußball-Bundesliga-Spiel zwischen der TSG Hoffenheim und dem FC Bayern München beleidigt wurde, wurde erstmals ein Bundesligspiel wegen Äußerungen von Fans fast abgebrochen. Henri, aktiver Kurvengänger und -aktivist, analysiert, dass das mit Herrschaftsverhältnissen zu tun hat nicht mit „Diskriminierung“ von Hopp.

Gerade zwei Wochen ist das „Skandalspiel“ der TSG Hoffenheim gegen den FC Bayern München her, da trifft den Fussballbetrieb ein weiteres Novum. Die Spiele werden, wo sie nicht ganz abgesagt werden, vor leeren Rängen ausgetragen. Doch um Corona und seine Auswirklungen soll es hier nicht gehen. Die Fakten zu Spiel Hoffenheim-Bayern am 29.02.2020 dürften bekannt sein: Zwei Spruchbänder gegen Dietmar Hopp in der Kurve der Bayernfans. Das Spruchband der Schickeria lautete „Alles beim Alten: Der DFB bricht sein Wort – Hopp bleibt ein Hurensohn.“ Das von Red Fanatic München „Du Hurensohn“ (D und H jeweils hervorgehoben). Was folgte war ein neuartiges Verhalten der Spieler und Funktionäre und eine aufgebrachte Debatte um die Deutung der Ereignisse.

Die Besonderheit der Ereignisse war, dass das laufende Spiel, das Herzstück des modernen Fussballgeschäfts, nicht nur zweimal unterbrochen wurde, sondern nach der zweiten Unterbrechung die 22 aktiven Spieler auf dem Platz in einen Streik traten und sich 15 Minuten lang den Ball gegenseitig zuschoben. Sexistische Spruchbänder, antisemitische Sprechchöre, rassistische Rufe, nichts hält den Lauf des Spielbetriebs auf, niemals darf der Fussballzirkus pausieren. Doch diesmal traf es eben nicht diskriminierte Menschengruppen, noch gab es überhaupt eine diskriminierende Handlung. Vielmehr wurde einer der Eigentümer und Funktionäre des Fussballs kritisiert, für den jedoch offensichtlich andere Regeln gelten. Doch wie konnte es so weit kommen?

Fankurven vs Vereine

Aktive Fankurven sind schon lange in einer permanenten Auseinandersetzung mit den Betreibern der Stadien und Veranstaltern der Spiele, namentlich den Fussballvereinen. Es geht um vieles: Um eine selbstverwaltete Kurve, Meinungsfreiheit, Kartenpreise, Anstoßzeiten, Vermarktung, Mitgliederstruktur der Vereine auf der einen Seite. Den Eigentümern und Funktionären der Vereine andererseits sind jedoch diese kritischen Meinungen ein Dorn im Auge. Sie hätten gerne ein reiches, meinungsloses, unpolitisches und unkritisches Publikum, das Fussball konsumiert und sich weiter nicht engagiert.

Spruchbänder sind neben organisiertem Stimmungsboykott das Mittel Nummer Eins in der Auseinandersetzung um politische Fanangelegenheiten. Sie sind ein Mittel, Meinungen kundzutun, ob dies den ökonomischen Verwaltern des Fussballs passt oder nicht. Schon jetzt ist es mehr Regel denn Ausnahme, dass Spruchbänder unerlaubt gezeigt werden müssen, weil sie nicht einmal mehr angemeldet werden können. Die freie Meinung hat eben in einem Fussballstadion nichts verloren. Bei besagtem Spiel am 29.02.2020 gab es jedoch ein Novum. Der Spielbetrieb selbst wurde unterbrochen, um dem Spruchband den Raum zu nehmen.

Doch das allein erklärt nicht die ganze Absurdität der Ereignisse. Wäre das Spruchband tatsächlich ein diskriminierendes Spruchband gewesen,… Wäre. Hätte. Könnte. Doch langsam. Ja, die Beleidigung „Hurensohn“ ist sexistisch und deshalb diskriminierend. Eine Abwertung von Frauen, insbesondere Frauen, welche als Sexarbeiterinnen tätig sind. In einer patriarchalen Gesellschaft gilt „Hurensohn“ eben als Beleidigung, in den Stadien der Bundesliga tausendfach gerufen. Dieses Mal hat es aber den Milliardär Dietmar Hopp getroffen, der mit der Software-Firma SAP reich geworden ist und teile seines abgeschöpften Milliardenprofits in die TSG Hoffenheim steckt. Und dann ist alles anders. Karl-Heinz Rummenigge sah jedoch in den Fans das „hässlichen Gesicht des Fußballs“ und sagte: „Ich schäme mich zutiefst, aus Sicht des FC Bayern, für diese Chaoten.“

Und hier beginnt der ganze Wahnsinn erst richtig. Weil sich die weißen, deutschen Männer, die reichen und angesehenen Funktionäre und Profis gemeinsam mit Hopp angegriffen fühlen, meinen sie, geschlossen dagegen vorgehen zu müssen. Und was gibt es besseres als in einer Zeit, in der tatsächlich Sexismus, Rassismus und Antisemitismus zunehmen, sich reaktionäre und faschistische Bewegungen im Aufschwung befinden, sich selbst als Opfer von Hass und Hetze zu inszenieren. Was sich dort auf dem Rasen abspielte, ist ein geschicktes Manöver der herrschenden Klasse, in diesem Fall der Fussballindustrie und ihrer Handlanger. Ob es dabei einen abgesprochenen Plan gab oder nicht, spielt keine Rolle. Vielmehr ist die Tatsache von Bedeutung, dass eben so und nicht anders reagiert wurde.

Um die Kritik an den Praktiken der Eigentümer und Verwalter des Fussballs zu unterbinden, wurde diese Kritik als Diskriminierung dargestellt. „Ist das der Fußball, den wir wollen? NEIN! Gebt Hetzkampagnen, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und allen anderen Anfeindungen keine Chance. Aus Liebe zum Spiel! Für mehr Toleranz in unserer Gesellschaft!“ twitterte Bayern-Profi Thomas Müller in Folge das Spieltages. Als sei Dietmar Hopp zu beleidigen, weil er die Durchkapitalisierung des Fußballs wie andere auch vorantreibt und autoritäre Maßnahmen gegen kritische Fans durchsetzt, das gleiche, wie Menschen rasssistisch, antisemitisch oder homophob zu diskriminieren. Und während sich die Herrschaften sich inszenieren und als große Vorkämpfer von Demokratie und Menschenrechten lobpreisen, sind es im Grunde sie, die sämtliche Werte einer offenen Gesellschaft mit Füßen treten, von rechtsstaatlichen Prinzipien ganz zu schweigen. In den Worten des Mainz-Trainers Achim Beierlorzer heißt das dann: „Man sollte diese Menschen aus dem Block ziehen. Den Block absperren, rein, raus – Ende. Nie mehr Stadion plus alles, was gerichtlich geht.“ Man sieht, der herrschenden Klasse dieser Gesellschaft ist nichts zu schade, um ihren Herrschaftsanspruch zu verteidigen.

Moderner Fussball

Dass sich die Fußball-Bourgeoisie genötigt sieht, so gegen organisierte Fans vorzugehen, hängt mit den Entwicklungen im europäischen Profifußball zusammen. In der kapitalistischen Marktwirtschaft hat jeder Verein seine eigenen ökonomischen Grundlagen zu sichern und steht somit nicht nur sportlich, sondern auch auch wirtschaftlich den anderen Vereinen als Konkurrent gegenüber. Spieler wechseln zum Meistbietenden, das Ausmaß der Jugendförderung, die Zahl der Mitglieder und Zuschauer*innen, die Einschaltquoten, usw. – all dies steht für den wirtschaftlichen Wettbewerb, der stattfindet, noch bevor überhaupt ein einziges Spiel ausgetragen wird.

In diesem marktwirtschaftlichen Umfeld ist jeder einzelne Verein von Sponsoren, Werbeeinahmen, Übertragungsrechten und Investoren abhängig. Und deren steigende Macht und Profitinteresse führen zu einigen allgemeinen Tendenzen: Die Vermarktung der Vereine als Ware (Merchandise, Werbung und der Kampf um Märkte auf der ganzen Welt). Die Professionalisierung der Vereine zu Wirtschaftsunternehmen (Verwertung der Spieler, der Spiele, des Stadionerlebnisses, der Übertragungsrechte, usw.). Die Reglementierung, Überwachung und Verwertung der Stadien und insbesondere der Kurven (Verstärkte Videoüberwachung, Einlasskontrollen, Polizeipräsenz, Repression, Stadionverbote, Eintrittspreise, Arenacard, usw.). Ausbau der Lobbyarbeit der wirtschaftlich stärksten Vereine und Fussballfinanziers (Bestimmung der Ausrichtung der Spieltage anhand von Vermarktungsrechten, Präsenz der Polizei, Dominanz in Politik, Presse und Medien, usw.).

Gegend diese stetige Entwicklung des gesellschaftlichen Fussballs zum kapitalistischen Unterhaltungsspektakel gab seit Beginn Protest. Meist ausgehend von den Kurven, organisieren sich häufig große Teile der Fanlandschaft für die Anliegen der einfachen Fussballfans. Die Palette des Widerspruchs ist dabei ebenso breit wie das Ausmaß der kommerziellen Verwertung des gesellschaftlichen Fussballs. Jedoch sind die Widersprüche immer größer geworden, haben sich die Interessen mehr und mehr auseinanderentwickelt und sind kaum mehr in Einklang zu bringen. Die Geschehnisse vom 29.02.2020 müssen auch in diesem Kontext gesehen werden. Da der Widerstand der Fanbasis groß ist, die weitergehende Vermarktung des Fussballs jedoch mehr und mehr an seine Grenzen stößt und die europäischen Konkurrenzligen, im Gegensatz zur Bundesliga, schon seit Jahren für Investoren geöffnet sind, steht die deutsche Fussball-Bourgeoisie in Bedrängnis und wird jede Möglichkeit nutzten, den Konflikt mit den Fans zu verschärfen.

Dietmar Hopp steht exemplarisch für diesen privaten Kampf des Kapitals gegen die Fanbasis. Jeder, der ihrem Interesse, mit Fussball Geld zu verdienen im Wege steht, wird denunziert, verfolgt und verbannt. Erst heißt es „diese sogenannten Fans“, dann werden Kamerabilder ausgewertet und Kleidung analysiert und später sorgt ein Stadionverbot dafür, dass kritische Stimmen vor den Toren der Stadien bleiben. Hopp selbst hat bereits mit unzähligen Maßnahmen (Rechtsstreit, DFB-Gerichte, Beschallung, Belauschung)versucht, seine Kritiker*innen mundtot zu machen. Auf der anderen Seite gibt er sich medial als unschuldig und unwissend, was die bösen Fans von ihm denn wollen. An den Aussagen seines Anwalts lässt sich außerdem festmachen, an welche autoritäre Gesellschaft diese Herrschaften glauben. „Es muss zu Hausdurchsuchungen kommen, da muss man auch mal ein paar abgreifen und auch mal einen Tag in der Zelle lassen. Das hat sich immer bewährt“ Doch Hopp kann sich nicht nur auf die Unterstützung anderer Fußballkapitalisten verlassen (Tönnies, Mateschitz, Kind, usw.), sondern auch auf den Beistand strategischer Sympathisanten (Rummenigge, Hoeneß, Watzke, usw.), Teile der Profispieler selbst und sogar der Fans, die jedes Wort ihrer großen Vorbilder – aufbereitet durch die bürgerliche Presse – glauben..

Was zählt ist die Show

Was weiter erschreckt, ist wie das Skandalspiel medial insziniert wurde. In der Liveübertragung überschlugen sich die Kommentatoren mit moralischer Phrasendrescherei und beleidigten die „sogenannten Fans“ wegen ihrer vermeintlich menschenunwürdigen Beleidigung. Teile des Publikums im Stadion pfiffen die Kurve aus und stellten sich so symbolisch hinter die „protestierenden“ Spieler und Funktionäre. In den Fernsehshows und der Presse wird zwar hier und da darauf hingedeutet, dass die Reaktionen bei rassistischen Vorfällen bei weitem nicht so stark waren. Auf der anderen Seite melden sich dann aber Menschen wie Mario Basler bei Sport-1 zu Wort und phantasieren frei ihre autoritären und sexistischen Gelüste: „Du musst bezahlte Leute nehmen, die sich vor den Fanblock stellen. Du musst einem zwischen die Beine greifen. Das musst du einfach tun.“ Die herrschende Meinung wird in den herrschenden Institutionen eben gestärkt und nicht hinterfragt.

Und so schließt sich der Kreis und die Inszenierung auf dem Platz gewinnt an gesellschaftlicher Relevanz. Die herrschende Klasse schreibt ihre Narrative, weil die Gesellschaft auf ihre Pseudokritik hereinfällt und glaubt, was die hohen Herren sagen. Sie spielen so das Spiel genau jener, denen es sowieso um die Abschaffung der freien und offenen Gesellschaft geht. Sie stehen hinter all jenen, die notfalls mit Gewalt die herrschende Ungleichheit verteidigen und schmücken sich, in der Hoffnung niemand werde es bemerken, mit den hohen Werten von Freiheit und Gleichheit. Worum es aber in den Stadien wie in der Gesellschaft geht, ist das eigene Profitinteresse, das komme was wolle verteidigt werden muss, dabei ist jedes noch so verwerfliche Mittel recht. Und was heute in den Stadien funktioniert, wird morgen gegen andere, die sich gegen die Logik von Herrschaft und Kapitalismus stellen, in Stellung gebracht.

Perspektive

Wer sich herablässt, die Solidarität mit den Opfern von Diskriminierung zu missbrauchen, hat nichts anderes zu erwarten als Verachtung und Widerspruch. Diese Heuchler spielen ihr widerliches Spiel mit den wirklichen Opfern von Diskriminierung, den kritischen Fans und allen anderen, die für eine freie Kurve und Gesellschaft kämpfen. Dieses Verhalten kann weder geduldet noch unentschuldigt bleiben. Um solchem Verhalten einen felsenfesten Riegel vorzuschieben, gibt es perspektivisch nur einen Weg: Der Fussball muss in die Hände derer, welche ihn leben und lieben. Solange Kapitalisten und ihre Verwalter und Funktionäre den Fussball als ihre Plattform für Profit, Einfluss und Propaganda verwenden, wird sich nichts ändern. Dass sich diese Aufgabe nicht im Fussball allein lösen lassen wird, ist klar; es sind die allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse, die aufgehoben werden müssten. Jedoch könnte eine kritische und solidarische Bewegung der Kurven und Fans wiederum einen Beitrag zu den notwendigen großen gesellschaftlichen Umbrüchen liefern.

# Titelbild: Stadion der TSG Hoffenheim, michaeltk, CC-BY SA 2.0

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