Mumia Abu-Jamal: Sechs Kisten neue Beweise

13. März 2020

Mumia Abu-Jamal ist seit mehr als 40 Jahren politischer Gefangener in den USA . Das LCM sprach mit Markus von Free Mumia Berlin über Mumias aktuelle Situation, Masseninhaftierung in den USA und die Verbindung zwischen den Kämpfen der 60er und 70er Jahre zu denen der Black Lives Matter Bewegung heute. Wer mehr über den neuesten Stand in Mumias Verfahren wissen will, kann zu einem der Vorträge von Johanna Fernandez, die ab dem 13.03. durch Deutschland tourt, gehen.

Seit die Todesstrafe für Mumia Ende 2011 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde, ist es ruhiger um sein Verfahren geworden. Welche Kämpfe führt Mumia denn aktuell?

Es passiert viel! Mumia hat eine Reihe bahnbrechender Verfahren geführt, eingebettet in Kämpfe. Mumia ist Jailhous-lawyer und hat Verfahren auch für andere geführt, Harold Wilson z.B., der 2012 hier bei uns war, ist einer seiner Mandanten, den er aus dem Todestrakt freibekommen hat.

2014/15 gab es einen Riesenskandal: An der Schule, an der er selber seinen Schulabschluss nachgeholt hat, hatte er für die Abschlussklasse eine Grußbotschaft verfasst. Das hat unglaubliche Medienaufmerksamkeit bekommen und die Polizeilobbyorganisation FOP, hat dann über konservative Abgeordnete einen Gesetzesentwurf eingebracht, der es Gefangenen in Pennsylvania verbieten sollte, öffentlich zu reden. Ein Knebelgesetz, das ganz offen „Mumia-Gesetz“ genannt wurde. Das hätte verheerende Folgen für Gefangenenkämpfe in Pennsylvania gehabt. Mumia selbst und andere Leute haben dann dagegen mobilisiert, weil das eine autoritäre Maßnahme zur Unsichtbarmachung von Gefangenen gewesen wäre. Dieser Kampf wurde dann auch gewonnen, die Abstimmung wurde abgesetzt, weil es juristische Bedenken gab, ob das verfassungsgemäß wäre. Mumia selber hat das dann leider nicht mitbekommen, weil er genau an dem Tag einen Zuckerschock hatte, wegen einer nicht diagnostizierten Diabetes – neben einer nicht diagnostizierten Hepatitis. Er hat nur überlebt, weil seine Mitgefangenen ihn gerettet haben. Er ist zusammengebrochen und fünf, sechs Gefangene haben ihn zur Krankenstation getragen. Als die ihn nicht annehmen wollten, hat Major Tillary, ein Mitgefangener, das Büro der Gefängnisleitung besetzt und gesagt er würde das nicht eher verlassen, bis nicht Mumia in ein Krankenhaus gebracht wird. Mumia hat dann die medizinische Behandlung bekommen, auch nach Druck von der Bewegung. Er ist frei von Hepatitis, aber die Folgen der Erkrankung werden nicht behandelt.

Die medizinische Unterversorgung betrifft ja nicht nur Mumia.

Das geht allen Gefangenen so. Die Krankenstation in seinem Gefängnis ist privatisiert. Corizon Healthcare hat über 5.000 Gefängnisse in den USA. Sie sagen, sie hätten für die Behandlung von Mumia schon mehr ausgegeben, als für einen Gefangenen in seinem ganzen Leben zur Verfügung steht. Das bahnbrechende an diesem Fall war nicht nur, dass Mumia gerettet werden konnte, sondern, dass alle anderen an Hepatitis erkrankten Gefangenen sich darauf berufen können. Inzwischen gibt‘s einen Deal zwischen dem Bundesstaat Pennsylvania und einer Sammelklage von über 1000 Gefangenen, dass alle 7.000 bisher registrierten Hepatitis C-kranken Gefangenen im Bundesstaat die Therapie erhalten. Das hat auch schon 2019 begonnen. Und wenn das in der letzten Instanz gerichtlich bestätigt wird, dann können sich alle Gefangenen US-weit darauf berufen. Schätzungen sind, dass 400.000 Gefangene von Hepatitis C betroffen sind.

Wenn die Gefängnisindustrie und die staatlichen und privaten Firmen, die den Menschen ihre Lebenszeit durch Zwangsarbeit und Sklaverei rauben, auf einmal für die gesundheitliche Versorgung verantwortliche wären, wären das massive Einschnitte in die Profite dieser Unternehmen. Wir wissen nicht ob bürgerliche Gerichte so weit gehen werden, aber bisher hat es geklappt. Wir waren auch selber überrascht, von der Wirkung, die der Kampf für einen Einzelnen für so viele Gefangen hatte. Es ist dabei egal, ob Mumia oder andere diese Kämpfe führen. Wenn sie gewonnen werden, haben sie Auswirkungen auf viele andere Fälle. Und das sehen Gefangene! Deswegen haben die Gefangenen sich auch so vehement für Mumia eingesetzt, als dieser kollabierte. Das zeigt, dass er vielen Gefangenen wichtig ist.

Und wie sieht es in Mumias Fall allgemein aus?

Es gibt viele juristische Ebenen. Ein Kollege von Mumia, Terrence „Butter“ Williams, der auch im Todestrakt war, teilte mit ihm das Schicksal, dass er in seinem Berufungsverfahren einen Richter hatte, der in der vorherigen Instanz der Staatsanwalt gegen ihn war. Staatsanwälte und Berufungsrichter sind in Pennsylvania politische Mandate, das heißt die Leute werden gewählt. Ronald Castille, war in den 90ern gewählt worden, u.a. mit dem Wahlprogramm Mumia Abu-Jamal hinrichten zu lassen. Er hat dann über Mumias Fall, den er selber als Staatsanwalt vertreten hat entschieden und wies alle Eingaben ab, weil die Revisionsgründe nichtig seien. 2016 hat Terrence „Butter“ Williams dann vor dem US Supreme Court erstritten, dass es nicht legal ist, wenn der Staatsanwalt der gegen dich ermittelt hat, später auch dein Richter ist. Auch das ist keine Einzelfall, das passiert immer wieder.

Und was hat das für Folgen für Mumias Fall?

Mumia hat sich auf diesen Fall berufen und gefragt, warum Terrence „Butter“ Williams ein neues Verfahren bekommt und er nicht. Das wurde eingehend geprüft und 2018 bekam er Recht. Das heißt er bekommt ein neues Verfahren. Momentan läuft ein Austausch, weil sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Verteidigung ein Interesse daran haben, dass das Verfahren beschleunigt wird. Mumia ist inzwischen 66 Jahren, seit knapp 40 Jahren in Haft. Im März kommt eine Genossin, Johanna Fernandez aus seinem Verteidigungsteam nach Deutschland und wird ausführlich über den Ausblick von Mumias Verfahren berichten.

Bietet denn ein neues Verfahren überhaupt neue Chancen? Mumia wurde ja bereits von der Justiz verurteilt.

Da kommt die Black Lives Matter Bewegung ins Spiel. Deren Analyse ist, dass die Masseninhaftierung verhindert, dass Communities of Color an der Gesellschaft teilhaben und dass Polizeigewalt, nicht daran liegt, dass einzelne Cops rassistisch sind, sondern dass das systemisch bedingt ist. Warum gibt es eine Masseninhaftierung – mittlerweile sind mehr Afroamerikaner in Zwangsarbeit als zur Abschaffung der Sklaverei 1860?

Eine der Antworten war, dass die Masseninhaftierung nur möglich ist, wegen der enormen Rechte, die Polizei und Staatsanwälte haben. Ein Ansatz der BLM-Bewegung ist, dass sie Kandidaten für die politische gewählten Staatsanwälte aufstellen, um die Masseninhaftierung da anzugreifen, wo sie entsteht. 2018 waren Wahlen für den Bezirksstaatsanwalt in Philadelphia, wo Mumias Rechtsstand ist. Dort hat dann mit 74 % ein Kandidat der BLM-Bewegung, Lawrence „Larry“ Kastner, gewonnen, der vorher als Strafverteidiger gearbeitet hat. Man kann von der Idee das System von Innen zu verändern halten, was man will, aber das hat großen Anklang in Philadelphia gefunden.

Er ist der erste Staatsanwalt der sich „fair“ verhält. Er hat bahnbrechende Dinge gemacht: er hat angekündigt, nie wieder auf Todesstrafe zu klagen, er hat 30 Polizisten verboten weiter in Gerichtsverfahren auszusagen, weil sie eine lange Geschichte von Falschaussagen haben, hat über die Hälfte der Staatsanwälte entlassen, er hat mehrere tausend als Jugendliche zu lebenslanger Haft verurteilte Gefangene freigelassen. Wenn es darum geht die Masseninhaftierung auf reformistischem Wege einzudämmen, hat er mehr erreicht als alle Kandidaten der demokratischen Partei in den letzten 20 Jahren.

Und was hat das mit Mumia zu tun?

Er hat in seiner Behörde sechs Kisten gefunden, mit Mumias Namen drauf. Als die Kiste gefunden wurde, hat die FOP als erstes eine Stellungnahme veröffentlicht. Und alle haben sich gewundert, dass die überhaupt wussten, was in diesen sechs Kisten sein soll.

Er hat diese Kisten dann nicht nur dem Revisionsrichter, sondern auch der Verteidigung von Mumia gegeben. Diese hat darin ganz klare Beweise für die Manipulation von Mumias Verfahren gefunden. Z.B. der Hauptbelastungszeuge in Mumias Verfahren, der massiv gelogen hat. Es gibt in diesen Kisten einen Schriftwechsel, wo er fragt : „Wo bleiben meine vereinbarten Zahlungen?“ Weil er die nach dem Verfahren nicht bekommen hat. Und noch andere Beispiele. Es ist noch nicht ganz klar, ob diese Kisten Eingang ins Revisionsverfahren finden, weil im Revisionsverfahren geht es ja um Punkte die vorher schon bekannt waren.

Die BLM Bewegung hat in den letzten Jahren für viel Wind gesorgt. Dabei wurden Verbindungen zu den Kämpfen aus den 60 ern und 70ern gemacht. Wo sind diese Verbindungen von Mumia zu dieser Bewegung?

Der Ursprung der BLM-Bewegung ist ja genau der gleiche, wie der der Black Power Bewegung in den 60er Jahren. Und zwar die rassistische Polizeigewalt, an der keine Person of Color in den USA vorbei kommt. Egal ob sie‘s geschafft hat, in die Mittelklasse aufzusteigen oder nicht. Es ist ganz offensichtlich, dass es keine Gleichstellung gibt, dass der Rassismus weder in den Institutionen, noch in der Gesellschaft überwunden ist und dass die Marginalisierung von POC heute noch stärker ist als in den 60 er Jahren. Es gibt beispielsweise Studien des US-Finanzministeriums, dass die afroamerikanische Community auf einen ökonomische Stand von vor 1964 zurückgefallen ist. Der Aufstiegs einer schwarzen Mittelklasse ist ein Mythos. Der Neoliberalismus hat genau die Schichten getroffen, die in den 60ern und 70ern den Aufstand gewagt haben.

Mumia Abu Jamal ist letztendlich genau deswegen kriminalisiert worden. Ende der 70er war er der einzige Journalist in Philadelphia, der es gewagt hat auf Pressekonferenzen die Polizei immer wieder zu fragen: „Warum haben Sie diesen Jugendlichen erschossen? Warum mussten Sie ihm aus 15 Metern in den Rücken schießen?“ Er hat viele solche Berichte gebracht, er hat dazu beigetragen, dass Anfang der 80er in Philadelphia ein Klima war, in dem das gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert wurde und Polizeichefs ihre Posten in Gefahr sahen.

Nehmen Vertreter*innen der BLM-Bewegung denn Bezug auf Mumia?

Seit seiner Inhaftierung hat Mumia über 5000 Artikel und 11 Bücher geschrieben, die Mehrheit davon über die Frage von Klasse und Rassismus. Das hat sein Echo in der BLM Bewegung gefunden. Als Mumia 2015 schwer krank war und die Gefängnisbehörde von Pennsylvania ihm die Behandlung verweigerte, haben Gruppen, die sich in diesem Rahmen organisieren in über 30 Städten Aktionen durchgeführt, unter dem Motto: „Medizinische Behandlung für Mumia jetzt! Sie versuchen einen Autor unserer Bewegung umzubringen.“ Die Bezüge sind also offensichtlich.

Was hat das mit seiner Situation als Gefangenen zu tun?

Die Gefängnisrealität prägt das Leben der POC ungemein. Jeder dritte afroamerikanische Mann verbringt Zeit seines Lebens im Gefängnis, jeder sechste Latino. Das Gefängnis hat also einen unglaublichen Einfluss auf die Leben dieser Gemeinden. Die Menschen fehlen einfach in ihren Gemeinden.

Termine von Johanna Fernandez‘ Vortragsreihe:

Fr, 13.03. Heidelberg
Mo, 16.03. Hannover
Di, 17.03. Frankfurt a.M.
Mi, 18.03. Chemnitz
Do, 19.03. Berlin
Fr. 20.03. Nürnberg
Sa. 21.03. München

#Titelbild: Mumia im aktuellen SCI Mahanoy Gefängnis

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