Es ist 6 Uhr morgens am Montag, dem 2. März, dem Super-Montag. Wir stehen vor einem der vielen kolonialen und patriarchalen Denkmäler Santiagos. Am ersten Montag im März, dem Monat, in dem wir Chilenen hoffen, dass der soziale Protest reaktiviert und neu artikuliert wird, ist die Morgendämmerung feministisch.
Zu zweit helfen wir einer Genossin aufzusteigen, um am Hals des weißen Mannes, den die Statue darstellt, das feministische lila Halstuch zu befestigen. Eine andere klebt den neuen Namen und die neue Biographie an die Statue. Die Genossin klettert runter, wir machen ein Foto und gehen schnell zur nächsten Statue.
Mit der Aktion benannten wir Denkmälern um, ersetzten die alten Namen durch die von Frauen und Dissidentinnen. Frauen, die ein wichtiger Teil der chilenischen Geschichte sind und von ihr nicht gebührend anerkannt wurden. Frauen, die Opfer von Missbrauch und Femizid wurden, deren Geschichten unsichtbar gemacht wurden und die nie Gerechtigkeit erfahren haben.
Über 60 Denkmäler wurden von kleinen Gruppen von Frauen, die über die Stadt verstreut waren, in Angriff genommen. Auch die Statue von General Baquedano, auf dem berühmten Platz der Würde, die auf Bildern vom Aufstand immer wieder zu sehen ist, wurde angegangen.
Die Dynamik der Aktionen setzte sich die ganze Woch fort: Am Mittwoch erschienen mehrere Gebäude und Institutionen, wie unter anderen Universitäten, die Börse und die Kathedrale von Santiago, mit Etiketten, die denjenigen entsprechen, die laut Gesetz auf ungesunde chilenische Lebensmittel aufgeklebt werden müssen. In diesem Fall stand dort „Vorsicht: hoher Anteil an Patriarchat“. Am Donnerstag fand eine Installation statt, bei der an einem belebten Ort in Santiago Kittel mit Geschichten von Frauen aufgehängt wurden, die im öffentlichen Gesundheitssystem Chiles Gewalt bei der Geburt erlitten haben. Am Freitag fand vor den Demos am Wochenende eine offene Druckwerkstatt statt. Auch eine Aufführung von las tésis gegen Gewalt an Studenten gab es. Und das sind nur einige der vielen anderen Aktionen der vergangenen Woche.
Tatsache ist, dass wir chilenischen Feministinnen organisiert sind, und unser Ziel ist klar: Wir werden nie wieder zum Schweigen gebracht werden. Weil wir Geschichte geschrieben haben, werden wir jetzt gesehen.
Diese Geschichte der chilenische feministischen Bewegung ist zweifellos lang, dennoch leben wir einen historischen Moment. Im Mai 2018 fand in Chile die so genannte feministische Revolution statt. Es begann an den Universitäten mit der Forderung, die sexuelle Gewalt in den Universitäten zu beenden. Dies fand auch in anderen Bereichen der Gesellschaft Widerhall und machte deutlich, wie allgegenwärtig Gewalt gegen Frauen ist.
In einem Kontext der sozialen Revolte, die aus der Prekarisierung des Lebens als Folge des neoliberalen Systems resultiert, wird die strukturelle Gewalt gegen Frauen noch deutlicher sichtbar.
Am 8. und 9. März wird zu einem antirassistischen, transfeministischen, lesbisch-feministischen, dissidentischen, multinationalen, antikapitalistischen, antifaschistischen, gefängnisfeindlichen, generationenübergreifenden, migrantischen und internationalistischen Streik aufgerufen. Denn unsere Formen der Rebellion sind so vielfältig wie unsere Realitäten und Territorien.
Dieses Jahr ist wegen des historischen Augenblicks in Chile etwas Besonderes. Es ist eine Kontinuität der sozialen Revolte, und wir sind in allen Linien des Kampfes und des Widerstandes gegen den Staatsterrorismus präsent. Wir fordern, dass Piñera und die Politiker, die für die Kriegserklärung an das Volk und die systematische Verletzung der Menschenrechte verantwortlich sind, gehen.
Zu Beginn dieses Jahres fand am 10., 11. und 12. Januar in Santiago das zweite plurinationale Treffen derjenigen die kämpfen statt. Mehr als 20 Organisationen und mehr als 3000 Frauen und Dissidenten nahmen daran teil. Es war ein offenes Treffen, bei dem mehr als 50 Versammlungen abgehalten wurden, um verschiedene Themen im Zusammenhang mit dem feministischen Kampf zu diskutieren, die in 16 Achsen unterteilt waren:
1. patriarchale Gewalt
2. Nicht-sexistische / feministische Bildung
3. Arbeit und soziale Sicherheit
4. Recht auf die Stadt und Wohnung
5. Wasser, Territorien und Ernährungssouveränität
6. Kampf für Abtreibung, sexuelle und reproduktive Rechte
7. Feministische Erinnerung und Menschenrechte
8. Migration und Flucht
9. Antirassismus
10. Indigene Frauen im Widerstand
11. Dissens
12. Internet und feministische digitale Technologien
13. Kunst, Kultur und Erbe
14. Prekarisierung und strukturelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen
15. Gesundheit und buen vivir
16. Antiknastkämpfe
In diesen Versammlungen wurden Vorschläge gemacht und Forderungen aufgestellt, die auf die in jeder Achse diskutierten Bedürfnisse einzugehen versuchen. Dann wurde gemeinsam ein Programm des feministischen Kampfes für das Jahr 2020 ausgearbeitet und eine Diskussion über die Durchführung des Streiks am 8. und 9. März geführt, bei der dieses Programm vorgestellt wird.
Und so haben wir eine gemeinsame Stimme gefunden. Denn wir Frauen und auch der Rest des Landes haben uns gefunden und wir wollen uns nicht loslassen. Situationen wie diese, in denen wir eine solche Gemeinschaft, einen solchen Dialog und eine solche Organisation sehen, zeigen uns, dass Chile über die Instrumente verfügt, um seine Gesellschaft auf faire und integrative Weise zu organisieren.
Die Regierung versuchte, sich an die Bewegung dranzuhängen und ein Treffen mit feministischen Vertreterinnen abzuhalten, um die Sicherheitsmaßnahmen für die Demonstrationen vom 8. und 9. März zu besprechen. Die Feministinnen nahmen nicht teil. Weil sie nicht in einen Dialog mit einer Regierung eintreten, die die Menschenrechte systematisch verletzt.
Weil wir Geschichte geschrieben haben, werden wir jetzt gesehen.
# Titelbild: Daniela Zárate, @dezetag