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Die Anschläge von Hanau sind keine Tat eines isolierten Einzeltäters, es ist rechter Terror und er steht unter anderem im Kontext von Diskursen die systematisch in diesem Land geschürt werden und das nicht nur von Parteien wie die AfD sondern auch von der sogenannten „bürgerlichen Mitte“. Das „wir“ was jetzt zusammen stehen soll, das „wir“ das in Hanau nicht die Opfer des Anschlags sondern den NSU vertuscher Volker Bouffier zur Sprache kommen lässt wird uns nicht vor weiteren Angriffen schützen. Dieses „wir“ ist Teil des Problems. Schützen können wir uns nur selbst.

In Hanau, einer Kleinstadt östlich von Frankfurt am Main, suchte der Faschist Tobias Rathjen am vergangenen Mittwochabend zwei Shisha Bars auf und ermordete dort insgesamt neun Menschen. Durch ein vierundzwanzigseitiges Manifest und mehrere Videos, die er auf seiner eigenen Webseite veröffentlicht hatte, werden Rathjens Motive deutlich. Neben verschiedenen Verschwörungstheorien legt er hier seine rassistische Ideologie dar. Er listet mehrere Länder des Mittleren Osten, Nordafrika und sowie Zentral- und Südost Asien auf, deren Völker seiner Ansicht nach komplett vernichtet werden müssen, denn uns aus Deutschland auszuweisen reiche nicht aus um den „grundsätzlichen Fehler“ unserer Existenz zu beheben. In seiner weiteren Problemanalyse geht er darauf ein, dass Deutschland selbst ein Teil des Problems sei, da es „straffällige Ausländer“ dulde und zu ignorant oder zu schwach sei, um dieses Problem zu lösen. Ob Rathjen alleine oder aus dem Milieu der faschistischen Strukturen in Deutschland heraus handelte ist noch unklar. Klar ist jedoch, dass Ansätze der rassistischen Ideologien, die seinem Anschlag zu Grunde liegen, längst durch verschiedene Akteure gesellschaftsfähig gemacht wurden.

Seit 1990 wurden in Deutschland mindestens 169 Menschen von Faschisten ermordet. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 19.409 „rechtsextremistisch motivierte Straftaten“ registriert. Erst vergangene Woche wurden zwölf mutmaßliche Rechtsterroristen festgenommen, die mehrere Anschläge auf Asylbewerber*innen, Muslim*innen und Politiker*innen geplant haben sollen. Der gesellschaftliche Aufschrei bleibt, wie so oft, aus. Das Ermittlungsverfahren im Zuge des NSU, welcher zwischen 2000 und 2007 neun Menschen kurdischer, türkischer und griechischer Abstammung sowie eine Polizistin ermordete, oder dem Mord des aus Sierra Leone stammenden Oury Jalloh, der mutmaßlich von Polizisten in seiner Zelle verbrannt worden war, haben verdeutlicht, dass die Aufklärung faschistischer und rassistischer Anschläge und Morde häufig nicht nur sehr schleppend voran geht und es immer wieder Vertuschungsversuche seitens staatlicher Institutionen gibt.

Hinter diesen Anschlägen stecken oft keine Einzeltäter. Es sind Netzwerke militanter Gruppierungen und Individuen mit Verbindungen zu deutschen Behörden wie dem Verfassungsschutz, der Polizei und der Bundeswehr. Das auch diese Verstrickungen keine Einzelfälle sondern struktureller Natur sind lässt sich nicht mehr verleugnen. Erinnert sei an die unter unerklärlichen Umständen verstorbenen Zeugen im NSU-Verfahren, die auf 120 Jahre gesperrten Akten zum NSU, oder Organisationen wie Uniter, in denen Beamte aus Polizei und Militär Todeslisten anlegen, Waffen horten und sich auf den „Tag X“, die Machtübernahme vorbereiten.

Die Lage heute erinnert an eine präfaschistische Situation: Ein immer größerer Teil der herrschenden Klasse dieses Landes hält eine faschistische Ausrichtung des Staates für eine Alternative. Das haben unter anderem die Ereignisse im Tühringer Landtag vor zwei Wochen gezeigt, bei denen sich ein Kandidat der FDP mit Stimmen von AfD und CDU als Ministerpräsident wählen ließ um die Wiederwahl des Die Linke Kandidaten Bodo Ramelow zu verhindern. Faschistische Strukturen haben sich in Teilen eine gesellschaftliche Basis aufgebaut, der Sicherheitsapparat ist in Rechtsextreme zusammenhänge bis hinein in paramilitärische Formationen verwoben und der parlamentarische Arm der Faschisten in Form der AfD ebnet auf politischer Ebene den Weg in den Parlamenten, in den Institutionen, in den Medien und der Öffentlichkeit.

In dieser Entwicklung kommt der selbsternannten „bürgerlichen Mitte“ besondere Bedeutung zu. Bei jedem Anlass wird sie als Verteidigerin der Demokratie heraufbeschworen um „uns“ und „unsere Werte“ gegen die Gefahr von Rechts zu schützen. Keine Talkshow, kein Statement von Politiker*innen, keine Diskussion ohne den Verweis auf die demokratische Mitte (und mit ihr natürlich der Hufeisen Theorie um Linke und Rechte Gleichzusetzen). Was verklärt wird ist jedoch, dass eben diese vermeintlich moralisch erhabene Mitte eine klare Klassenpolitik verfolgt und als Steigbügelhalter des Faschismus fungiert. Während sie in neoliberaler „Inclusion & Diversity“ Manier ein buntes und weltoffenes Dasein propagiert, scheut sie zugleich vor keiner Stigmatisierung und Hetze zurück, wenn es um die Umsetzung ihrer ökonomischen Interessen geht. Wir sind kein Teil von ihrem „Wir“ und wenn dann nur als fügige und hörige Arbeitskraft. In diesem Rahmen kann auch die seit Monaten andauernde systematische Kampagne gegen „Clan-Kriminalität“ gesehen werden die darauf abzielt ganze Bevölkerungsteile aus ihren Nachbarschaften zu verdrängen, um diese aufzuwerten und durch flexible Arbeitskraft ersetzen zu können. Die rassistische, von der CDU und SPD angeführte, Politik der Mitte, rund um die „Clans“, ethnisiert Kriminalität und macht so die Herkunft der Täter zur Ursache der Kriminalität anstatt die tatsächlichen, von der Politik selbst verursachten Wurzeln aus denen sie wachsen. Dabei wurde ein gesamter Apparat, über Schlagzeilen und Sensationsreportagen , Statistiken und politische Kampfansagen aufgefahren, um nach 2015 und der „Flüchtlingskrise“ nun ein neues gesellschaftliches Feindbild und eine Bedrohung zu konstruieren.

Mittlerweile haben laut Sicherheitsreport 2020, 50% der Bevölkerung den Eindruck, dass die Kriminalität in Deutschland zunimmt, 78 % der Bevölkerung in Deutschland halten außerdem Clan Kriminalität für ein „großes Problem“, 67% sind darüber hinaus davon überzeugt, dass “der Staat zu wenig gegen kriminelle Clan-Strukturen unternimmt“ . Tatsächlich sind die Zahl der erfassten Straftaten so niedrig wie seit 1992 nicht mehr und sognannte „Clankriminalität“ macht nur 8,4% der Organisierten Kriminalität in Deutschland aus.

Dem BKA Chef Münch fällt jedoch nichts anderes ein als, diese „Gefühle“ der Bevölkerung ernst zu nehmen, denn: „auch Gefühle sind Fakten“! Und die müssen eben zur Not geschaffen werden. Daher wird in Dortmund auch ein Zentrum zur Bekämpfung von Clankriminalität eingerichtet und auch beim Europäischen Polizeikongress, der vor einigen Wochen in Berlin stattfand, war die Bekämpfung der Clankriminalität ganz oben mit dabei. Zur Bekämpfung der „kriminellen Ausländer“ werden außerdem folgende Maßnahmen gefordert: Vorratsdatenspeicherung, Strafmündigkeit vor 14 Jahren, Entzug des Sorgerechts der Kinder von „Clankriminellen“ Familien, Abschiebung und Entzug der Staatsbürgerschaft, Enteignung und Beweislastumkehr. Es wird von „rechtsfreien Räumen“ gesprochen und eine Bedrohung konstruiert, die ein hartes Durchgreifen erfordert.

Im Zuge eben dieser Kampagne gegen „Clankriminalität“in den letzten Monaten wurden vorallem Räume wie Shisha Bars, die als Treffpunkt vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund gelten, als Zentren der organisierten Kriminalität markiert. Razzien und rassistische Polizeischikane gehören vermehrt zum Alltag und darin ist die Komplizenschaft der „gesellschaftlichen Mitte“ und ihrer Parteien eben nicht zu ignorieren. Denn das Gift von dem Merkel spricht streut nicht nur die AFD sondern auch ihre Regierung selbst. Faschisten und Rassisten wie Tobias Rathjen, die das „Problem“ mit den „kriminellen Ausländern“ selbst in die Hand nehmen und in Shisha Bars gehen um die Menschen umzubringen, orientieren sich bei der Auswahl ihrer Ziele an eben jenen Vorgaben der Politik.

Es ist pure Heuchelei, wenn jetzt wo eins der von ihnen bestimmten Ziele angegriffen wurde, Beileidsbekundungen und Trauerbekenntnisse in Dauerschleife ausgesprochen werden. Armut, prekärer Aufenthaltsstatusse, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, institutioneller und gesellschaftlicher Rassismus und fehlende Chancengleichheit interessiert eine gesellschaftliche „Mitte“ die sich immer noch schwer tut das Wort „Terroranschläge“ in den Mund zu nehmen, nicht.

Umso bezeichnender dass ein Steinmeier beteuert dass „wir alle stillen trauern“ sollten und uns stumm haben will. Nein hier kann von keinem „wir“ die Rede sein. Es gibt keine Gemeinsamkeit, kein „Wir“ zwischen denen, die in Palästen sitzen und denen die aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder als Arbeiter*innen herkamen und heute die Leichen ihrer Kinder beerdigen müssen. Als Migrant*innen und Nachfahren von Migrant*innen, die wir hier immer noch fremd sind, haben wir oft unser ganzes Leben lang Rassismus erfahren, durch die Einwanderungsgesetze, die unseren Familien über Generationen das Recht auf die Staatsbürgerschaft und somit das Wahlrecht verwehrt haben, durch Kettenduldungen, Proletarisierung, Armut, die viele in die Kriminalität treibt, Diskriminierung bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt. Wir sind Menschen, doch aus der Sicht des deutschen Staates offenbar nicht Mensch genug um nicht erniedrigt, ausgebeutet und ermordet zu werden.

Aus all diesen Gründen werden wir das alles nicht schweigend und bestürzt hinnehmen! Aber wenn wir unsere Stimmen erheben, erheben wir sie nicht um den Staat zu bitten uns mehr Schutz zu gewähren sondern um antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren der heute mehr denn je notwendig ist. Dieser bundesdeutsche Staat war nie unserer, es ist der Staat jener Herreschenden, die keine Möglichkeit auslassen Überwachung und Repressionsapparate gegen Linke und Migranten auszubauen. Sie werden nur noch mehr Faschisten und Rassisten in Polizei und Verfassungsschutz einstellen um weiter unsere Kriminalisierung voranzubringen, uns in Abschiebehaft zu stecken, uns aus unseren Kiezen zu vertreiben oder in Knäste weg zu sperren und in unseren Zellen zu ermorden. Uns aber gehört die Straße! Hier sind wir aufgewachsen, hier kennen wir jede Ecke, wir kennen unsere Viertel und wir werden uns, unsere Familie und unsere Freunde schützen. Wir werden uns organisieren und wir werden uns wehren!

Unser Beileid und Solidarität geht an die Familien und Freunde unserer in Hanau getöteten Brüder und Schwestern:

Ferhat Ünver

Mercedes Kierpacz

Gökhan Gültekin

Sedat Gürbüz

Hamza Kurtovic

Kolayan Velkov

Fatih Saracoglu

Vili Viorel Paun

Said Nasser el Hashemi

Anschläge auf Shisha-Bars im Februar 2020:
13./14.2. Sprengstoffanschlag auf einen Shisha-Laden in Essen
20.2. Neun Menschen werden in Shisha-Bars in Hanau erschossen
21.2. Im Hinterhof eines Hauses mit Shisha-Bar in Döbeln brennt es
22.2. In Stuttgart fallen Schüsse auf eine geschlossene Shisha-Bar

#von Leila Aadil und Haydar Paramaz
#Titelbild: RubyImages/F. Boillot

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