Die Rechnung für den Schlagstockeinsatz

18. Februar 2020

Man könnte eine launige Glosse darüber schreiben, dass die Bundespolizei jetzt auch noch Geld dafür haben will, wenn sie jemanden schikaniert. Aber bei genauem Hinsehen ist das Thema viel zu ernst, um darüber zu schmunzeln. Die vom Bundesministerium für Inneres im September so gut wie unbemerkt von der Öffentlichkeit eingeführte Gebührenverordnung für „individuell zurechenbare öffentliche Leistungen“ ist ein weiterer Schritt hin zum Polizeistaat. Natürlich soll der Eindruck vermittelt werde, es handle sich dabei um eine rein verwaltungstechnische Maßnahme – aber in einer Zeit, in der in Bund und Ländern überall die Sicherheitsbehörden mehr Durchgriffsrechte erhalten und Polizei und Justiz an der Repressionsschraube drehen, ist das eine gefährliche Verharmlosung.

Welche Gebühren sind nun eingeführt worden und was ist mit „individuell zurechenbaren Leistungen“ gemeint? Die Formulierung klingt wohl nicht zufällig ähnlich schwammig wie bestimmte Begriffe, mit denen die Behörden zuletzt ihre Definitionsmacht erweitert haben, zum Beispiel die viel diskutierte Figur des „Gefährders“. Zur Kasse sollen Personen gebeten werden, die vorsätzlich oder fahrlässig eine „Gefahrenlage“ schaffen. Natürlich bestimmt die Bundespolizei vor Ort, wann eine Gefahrenlage eintritt. Die taz hat die neuen Gebühren Anfang Februar in einem Beitrag recht anschaulich erklärt. Und zwar mit dem Beispiel eines Fußballfans, der auf einem Bahnhof einen Bengalo gezündet hat und deshalb von der dort zuständigen Bundespolizei eingesackt, auf die Wache mitgenommen und erkennungsdienstlich behandelt wird.

Der Fan müsse sich auf eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz einstellen, heißt es in dem Artikel. Aber davor gebe es noch „eine Strafe vor der Strafe“. Nach der neuen Verordnung muss der Fan in diesem Beispiel nämlich folgende Gebühren für die nicht bestellte „Dienstleistung“ bezahlen: Identitätsfeststellung: 53,75 Euro, Anordnung zur Gewahrsamnahme 74,15 Euro, eine Viertelstunde Fahrt auf die Wache 15,69 Euro, erkennungsdienstliche Behandlung mit Fotos und Fingerabdrücken 59,50 Euro und für jede Viertelstunde in Gewahrsam 6,51 Euro. Für einen „stinknormalen Polizeieinsatz“ müsse man also eine hohe dreistellige Summe auf den Tisch legen, noch bevor der Rechtsstaat über Schuld und Unschuld befunden und die eigentliche Strafe verhängt hat.

Das Prinzip ist schon bisher nicht ganz unbekannt im Bereich der Landespolizeibehörden. Wer zum Beispiel als Betrunkene*r aufgegriffen wird, muss bereits jetzt für den Polizeieinsatz und die Unterbringung in der Ausnüchterungszelle zahlen. In Berlin, so erläuterte die taz, kostet der Gewahrsam für „hilflose, nicht vorläufig festgenommene Personen“, also Betrunkene oder Berauschte, 208,89 Euro zuzüglich der Fahrt auf die Wache. Nachts werde es noch teurer.

Die Logik dieser neuen Verordnung ist bestechend einfach: Fußballhooligans und Betrunkene haben es ja nicht anders verdient. Was fällt den Leuten auch ein kriminell zu werden? Abgesehen davon, dass diese Vorverlagerung von Strafe in einen vorjuristischen Raum eine offensichtliche Aushölung des sonst gern bemühten Rechtsstaats ist, ist sie auch eine politische Repressionsverschärfung. Diese wird mit hundertprozentiger Sicherheit auch bald politisch Aktive treffen. So ist in der Verordnung eine mündliche Platzverweisung in Verbindung mit Identitätsfeststellung mit 44,65 Euro gelistet, eine schriftliche Platzverweisung mit 88,85 beim ersten Mal und 52 Euro bei Wiederholung. Für eine gut verdienende Person aus der Mittelschcht ist das nicht viel Geld, aber zu denen zählen viele Linke nicht. Mit Verwaltungs-, Gerichtskosten und ähnlichem ist schon manche*r in die Pleite getrieben und zum Schweigen gebracht worden. Es handelt sich bei der neuen Gebührenverordnung also eindeutig um ein Disziplinierungsinstrument, das abschreckend wirkt und mit dem die Versammlungsfreiheit im Ergebnis weiter eingeschränkt wird.

Und noch eines: Das Ministerium für Inneres wird bekanntlich vom früher CSU-Chef Horst Seehofer geführt, also dem Kader einer Partei, die sich derzeit mit Macht gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen stemmt. Dass dort gerast, gedrängelt und genötigt wird, bis der Arzt kommt, dass die Autobahnen im Grunde rechtsfreie Räume sind, interessiert die Herrschaften nicht. Aber wehe du zündest ein Bengalo. Dass die ultrarechte Deutsche Polizeigewerkschaft im März 2019 jubelte, als ein Entwurf der Gebührenverordnung vorlag, liegt auf der Hand. „Endlich werden damit zukünftig zum Beispiel polizeiliche Maßnahmen gegen Verhaltens- oder Zustandsverantwortliche gebührenpflichtig“, freute sich Heiko Teggatz, erster stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG. Unter den „Leistungen“, die künftig kostenpflichtig seien, führte die Gewerkschaft übrigens auch den Einsatz von Wasserwerfern und die „Anwendung unmittelbaren Zwangs“ an. Gut, dass diese Verordnung beim G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 noch nicht galt. Das wäre für viele, die in den Genuss der „Dienstleistung“ Wasserwerfereinsatz gekommen sind sonst sehr teuer geworden.

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