Kommentar
Die letzten Tage in der Bundesrepublik Deutschland, waren solche, bei denen man sich denkt: Die Dinge entwickeln sich rasanter als wir es manchmal annehmen. Aber langsam, was ist passiert?
Am vergangenen Mittwoch verkündeten die deutschen Medien, dass nun eine Regierung in Thüringen gewählt wurde, im dritten Wahlgang. Aber es gibt einen Haken: Thomas Kemmerich, Parteikandidat der neoliberalen Bretterbude FDP, stellt nun den Ministerpräsidenten. Doch wie kommt eine Partei, die bei den Landtagswahlen nur mit knapp 70 Stimmen über die Fünfprozentürde kroch, an dieses Amt? Die Antwort ist einfach: Mit den Stimmen der reaktionärsten Elemente dieses Parlaments, nämlich von CDU und AfD.
Im dritten Wahlgang ließ es sich Kemmerich nicht nehmen, anzutreten und gewann schließlich mit einer Stimme Vorsprung gegen den Kandidaten der Linkspartei, Bodo Ramelow. Dieser, selbst Repräsentant des rechten Flügels der Linkspartei, ist allerdings bei der thüringischen Bevölkerung recht beliebt. Er kann auf eine 71 Prozentige Zuspruchsrate als Ministerpräsident schauen. Sogar 60 Prozent der CDU-Wähler*innen halten seine Politik für vernünftig. Nicht nur die FDP hat mit 5,00001 Prozent nicht einmal nach den Spielregeln bürgerlicher Demokratie das Mandat eine Regierung zu stellen, sondern auch die CDU übergeht gezielt die Stimmung ihrer eigenen Basis. Von „Volkswillen“ oder „Demokratie“ im gleichen Atemzug zu sprechen mutet dabei grotesk an. Wie FDP‘ler Kemmerich dann zu folgender Einschätzung kommt lässt schon stark an seinem Realitätssinn zweifeln: „Das Thüringer Volk hat eine Wahlentscheidung getroffen […] mit dieser Wahlentscheidung müssen alle Demokraten umgehen. Die Auseinandersetzung über das, was die beste Politik für Thüringen ist, hat im Parlament stattzufinden und nicht mit Einzelmeinungen und großen Aufschreien auf den Straßen“.
Abseits dessen, dass das elitäre Gehabe und die Überheblichkeit dieser Elendsgestalt weder vom Erfolg seiner Partei noch sonst irgendetwas legitimiert ist, zeigt sich doch eines mal wieder deutlich: Die Entfremdung jeglicher parlamentarischer Politik von der eigenen Bevölkerung. Denn diese soll zwar brav alle paar Jahre zur Wahlurne wandern, Politik wird aber dann von Kemmerich oder anderen Charaktermasken gemacht. Also liebe Leute: Mund halten und lasst das mal den Papa machen!
Die Wahl Kemmerichs sorgt aber nicht nur in den Nachrichtenzentralen und Politbüros für Bestürzung. König Ulf von Brumm Brumm (bürgerlicher Name Ulf Poschardt) äußert sich ebenfalls bestürzt. Der gute Ruf des Liberalismus stehe auf dem Spiel, ließ er, gestählt im jahrelangen antifaschistischen Kampf des Springer Verlags, auf Twitter verlauten. Den Ruf des Liberalismus zu verteidigen ist bei seiner Majestät so etwas wie eine Lebensaufgabe, nur die Gegner sind in der Regel andere: „faule Südländer“, „Linksextreme“, „kriminelle Clans“ und jetzt eben auch die FDP mit Kemmerich.
Bei diesem Theater, das bereits den kreativen Namen „Das politische Beben in Thüringen“ oder „der Dammbruch“ trägt, zeigt sich aber noch mehr: Die AfD, selbsternannte Partei der „kleinen Leute“ gibt offen zu, jene Partei zu unterstützen deren zentrale Politik das Ausbauen neoliberaler Knechtschaft und Politik für Reiche und vermeintliche Eliten ist. Stefan Möller von der AfD gab zur strategischen Orientierung seiner Partei zu Protokoll: „[…] Sinn der ganzen Strategie: Herrn Kemmerich als Gegenkandidaten überhaupt erst mal auf’s Podium zu locken, hat er auch gemacht, und dann haben wir ihn planmäßig gewählt.“ Die Partei der Neofaschisten kann, soviel wird deutlich, den alteingesessenen „Volksparteien“ noch jedes Stöckchen hinhalten und sie werden drüber springen.
Der Faschismus war immer eine Reaktion des Kapitals auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse um sich am Leben zu erhalten. FDP, CDU und die AfD gehen nun, versteckt hinter den Schlagwörtern „Demokratie“ und „Volkswillen“ Hand in Hand. Die alte Parole „Hinter dem Faschismus steht das Kapital“ bewahrheitet sich einmal mehr in der Praxis. Als Reaktion kam es in diversen Städten Deutschlands zu Spontandemonstrationen. Über 10.000 Menschen in deutschen Groß- und Kleinstädten, zeigten offen, dass sie dieses Ergebnis nicht akzeptieren werden. Die Wahrnehmung des – immerhin noch grundgesetzlich verbrieften – Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Tausenden irritiert Ministerpräsident Kemmerich dann doch: „Die Heftigkeit der Reaktionen, unterhalb der Sitten was man unter Demokraten austauscht – erschüttert mich. […] deshalb ist es wichtig, das wir im Parlament vernünftige Entscheidungen für die Zukunft Thüringens treffen und zwar im Parlament unter Demokraten“.
Kemmerich kündigte nun – nach Druck der Bundes-FDP, nicht der Straße – an zurückzutreten, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Das will die CDU, der das ganze erbärmliche Schausppiel erheblich Wählergunst gekostet hat, nicht. So wird dann weiter im Parlament geschachert werden, welcher Schlurfi, mit oder ohne Unterstützung der AfD, sich den parlamentarisch-demokratischen Chef-Hut aufsetzen darf. So macht man das dann halt unter den Herrschenden.
Umso besser für uns, die für eine andere Gesellschaft auf den Straßen kämpfen, denn die Trennlinien werden immer deutlicher. Die Antworten und Lösungen auf die Probleme unserer Zeit sind nicht bei den selbsternannten „Demokraten“ und Elendsverwaltern in den Parlamenten zu suchen. Sie liegen bei uns und unserer gemeinsamen Stärke und wir werden sie gegen jene durchsetzen müssen, die heute noch den Namen der Demokratie besudeln und sich auf unsere Kosten vollfressen.
Titelbild: Gerd Seidel / Rob Irgendwer/CC BY-SA 3.0 DE; Logos Gemeinfrei; Montage LCM