Am 04. und 05.02.2020 findet in Berliner Congress Center (bcc) am Alexanderplatz der 23. Europäische Polizeikongress statt – allerdings nicht ohne Widerstand. Vom 01.02-02.02.20 wird der Gegenkongress „Entsichern“ und am 31.01.20 eine Demonstration gegen den Polizeikongress stattfinden. Wir sprachen mit zwei Organisator*innen über den Polizeikongress und aktuelle staatliche Entwicklungen, die Motivation für eine Gegendemonstration und einen Gegenkongress und über Perspektiven, welche über die Demo und den Kongress hinausgehen.
Der Europäische Polizeikongress findet jährlich statt, ist aber vielen gar nicht bekannt. Könnt ihr erklären, was dort genau passiert?
Z.: Auf dem Europäischen Polizeikongress trifft sich das ‚Who is Who‘ der reaktionärsten Bereiche der Gesellschaft: der Verfassungsschutz, die Waffenlobby, Forensiker*innen, Grenzsicherungsfirmen, Mitglieder des Bundestages und die Polizei. Sie alle tauschen sich über neue Sicherheitskonzepte aus, planen die Investition in digitalisierte Überwachung, den Ausbau des europäischen Grenzregimes oder auch die Begründung neuer Waffen und Zugriffsrechte der Behörden. Hier legen Sicherheitsindustrie, Politiker*innen und Polizei-Behörden die Weichen ihrer engen Zusammenarbeit.
Schon im letzten Jahr wurde gegen den Kongress eine Demonstration und einige Veranstaltungen organisiert, dieses Jahr soll zusätzlich noch der Gegenkongress „Entsichern“ stattfinden. Welche Ziele verfolgt ihr mit der Demo und dem Kongress?
Z.: Nachdem es einige Jahre vergleichsweise ruhig war, was die Proteste gegen den jährlich stattfinden Europäischen Polizeikongress anging, konnte gegen das Treffen mit der Demonstration und den Veranstaltungen im vergangenen Jahr Protest wieder sichtbar und anschlussfähig gemacht werden. Daran wollen wir mit der Demonstration und dem Kongress in diesem Jahr anknüpfen.
Beide Veranstaltungen, also Demonstration und Kongress, sollen dabei ein Zeichen setzen gegen das widerwärtige Treffen. Die Demonstration dient u.a. als gemeinsamer Start in das Kongresswochenende. Mit der Demonstration können wir unsere Kritik an dem reaktionären Treffen und den bestehenden Verhältnissen sichtbar machen und unsere Wut darüber auf die Straßen tragen. Dadurch, dass die Demonstration aber nicht für sich allein steht, sondern im Entsichern Kongress mündet, kann die aktive Politik auf der Straße mit konkreten Inhalten verknüpft werden. Mit dem Kongress soll dann ein zweitägiger Raum für Informationen, Diskussionen, Vernetzung und Austausch geschaffen werden.
G.: Unser Anspruch ist also allen Vorran eine stärkere Zusammenarbeit der Strukturen, die eigentlich inhaltlich aber auch praktisch miteinander zu tun haben, sich aber in dieser Großstadt nicht vernetzen oder gemeinsam Perspektiven erarbeiten. Das wollen wir mit der Demonstration und dem Entsichern Kongress versuchen zu ändern. Es geht uns also vor allem auch darum, Solidarität praktisch werden zu lassen. Denn es kann schlicht und ergreifend nicht sein, dass dieses Treffen aus Waffenlobbyist*innen, reaktionären Gewerkschafter*innen, Geheimdiensten Europas usw, nicht auf Widerstand stößt. Vieles, mit dem wir in den letzten Jahren zu kämpfen hatten und in den kommenden zu kämpfen haben werden, wird genau dort beschlossen!
Mit was haben wir denn zu kämpfen, was wird uns in der Zukunft noch beschäftigen?
G.: Auf dem Polizeikongress werden sie u.a. darüber sprechen, wie die digitale Kontrolle, zum Beispiel durch eine elektronische Strafakte, die Auswertung von Massendaten durch Künstliche Intelligenz oder digitale Spuren, ausgebaut werden kann, wie Grenzen noch mehr abgeschottet werden, wie die Polizei noch mehr aufrüsten kann. Der Rahmen, innerhalb dessen diskutiert wird, ist auch gesetzt: „Parallelgesellschaften, Clans, Rechtsextremismus und -terrorismus sowie illegale Handelsplattformen im Darknet“, so schreiben sie selbst auf ihrer Homepage. Zum einen geht es also um die digitale Kontrolle unserer Alltags, zum anderen um den Ausbau des faschistischen autoritären Staates. Und damit haben wir schon seit Jahren zu kämpfen und werden es auch weiterhin müssen.
Z.: Um konkrete Beispiele zu nennen: die Politiker*innen und Behörden haben zum Beispiel Angst, dass ihre schmutzigen Waffendeals und ihre blutige Außenpolitik auf sie zurückfällt, deswegen sind sie interessiert an einer undurchdringbaren Festung Europa. Damit müssen wir uns heute und in Zukunft auseinandersetzen. Um Solidarität zwischen den Menschen zu verhindern, wird ein eh in der Gesellschaft vorhandener Rassismus, Sexismus und Klassismus befördert und angefacht. Gleichzeitig werden reaktionäre Gruppen und Zusammenhänge wie der NSU gefördert und jegliche Beweise vernichtet. Dies sind keine Einzelfälle, wie gerne dargestellt wird und deswegen ist es noch einmal wichtiger, diese Entwicklung ernst zu nehmen und sich dagegen zu wehren.
G.: Und auch, wenn in ihrem offiziellen Programm dazu nichts zu finden ist, sind es auch die Momente der Unkontrollierbarkeit, wie bei den Protesten gegen den G20, welche den Staat und seinen Repressionsorganen schwer zu schaffen machen. Ihre Antwort darauf ist eine möglichst breite Repression, um den Widerstand in „gut“ und „böse“ zu spalten. Über allem steht die totale Überwachung und der Gedanke, durch präventive Maßnahmen die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen und so jegliche widerständige Aktionen im Keim zu ersticken. Was uns also auch konkret beschäftigen sollte, zeigt u.a. die vorherrschende Repression auf, denn sie ist ein Spiegelbild dafür, an welchen Punkten sich der Staat angreifbar fühlt und mit welchen Mitteln er sich dann versucht zu verteidigen. Mit diesen Mittel sollten wir uns ebenfalls auseinandersetzen. Antirepressionsarbeit darf aber kein Teilbereichskampf darstellen. Um die Isolation und Vereinzelung, die der Staat damit erreichen will, zu durchbrechen, müssen wir gemeinsame Strategien entwickeln.
Ihr habt jetzt schon einige Themen gesetzt. Inwiefern soll die Demonstration und der Entsichern Kongress daran anknüpfen?
G.: Dass die Demonstration dieses Jahr in Neukölln stattfindet, liegt u.a. auch an den wöchentlichen Razzien in Shisha Bars, Spätis und Läden im Kiez, sprich der Repression und Stigmatisierung der Menschen, die damit konfrontiert sind. Neukölln ist zur Zeit ein Beispiel von vielen, wenn es um die Zusammenhänge von strukturellen und institutionellen Rassismus, die Rolle von staatlichen Funktionär*innen, Gentrifizierung und Repression geht.
Z.: Genau auf diesen Zusammenhang soll dann auf dem Entsichern Kongress noch einmal vertieft eingegangen werden. Der Kongress wird eine Gegenposition zum Europäischen Polizeikongress einnehmen, weiterhin aber auch aktuelle Diskurse aus der radikalen Linken vertiefen. Wir haben uns deshalb entschieden, Themenschwerpunkte zu wählen, die auf dem Polizeikongress vorkommen – zum Beispiel die fortschreitende Digitalisierung und Überwachung der Gesellschaft, die Grenzsicherheit sowie die Militarisierung der Repressionsorgane. Die Bekämpfung emanzipatorischer Bewegungen spielt in diesem Jahr laut Programm, wie schon erwähnt, keine wirklich große Rolle auf dem Kongress. Dennoch findet sie tagtäglich statt, sei es durch angebliche Verstöße gegen das Vereinsgesetz, was überwiegend kurdische und türkische Linke betrifft, die Einstufung als Gefährder*innen, Strukturverfahren wie nach dem G20 oder die Einführung und Umsetzung der neuen Polizeiaufgabengesetze, beispielsweise der § 113 „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“.
G.: Und zusätzlich wird es auch noch einen praktischen Teil geben, bei dem Workshops zum Thema Computer und Smartphone- Sicherheit, Aussageverweigerung sowie Deals und Einlassungen angeboten werden. Es wird möglich sein, eine persönliche Datenabfrage bei sämtlichen Behörden vor Ort zu erstellen und auszudrucken.
Welche langfristige Perspektive seht ihr in der Organisierung der Demonstration und im Entsichern Kongress?
G.: Es geht das ganze Jahr darum, handlungsfähige Strukturen aufzubauen, solidarisch miteinander umzugehen und gemeinsame Strategien entwickeln. Der Kongress und die Demo sind nur zwei Handlungsvorschläge, sich gegen diesen Staat und seinen Verteidiger*innen zu organisieren.
Z.: Natürlich wird nicht alles sofort klappen, was wir uns vorgenommen haben und viele Dinge können womöglich verbessert werden. Wir wünschen uns, dass dieses Wochenende ein Auftakt, zu mehr Solidarität untereinander ist. Demonstration und Kongress können dafür ein erster Schritt sein, aber es darf nicht bei diesen 3 Tagen im Jahr bleiben! Der Kampf gegen Repression und die Solidarität untereinander müssen wieder vermehrt in unseren Alltag eingebunden werden. Deswegen soll dies ein Appell sein, sich mehr aufeinander zu beziehen, sich gegenseitig ernst zunehmen, zuzuhören und voneinander zu lernen!
# alle Informationen zur Demonstration und zum Entsichern Kongress sind hier zu finden und bei Twitter