Deutschland sucht die #Umweltsau

29. Dezember 2019

Vorneweg: Mit #Umweltsau ist ein Tiefpunkt in den social-media-Debatten dieses Landes erreicht. Und das heißt etwas in einer Nation, in der Recherchejournalisten begleitet vom Raunen aufgebrachter Wutbürger eine Woche lang akribisch rekonstruierten, wo eine Teenagerin in einem ICE saß. Alles an #Umweltsau ist grottig: Der Ursprungstweet von Fridays For Future war grottig (no bad feelings, still loving FFF); der WDR-Beitrag war grottig; die Reaktion der Internetfaschisten im Dauer-Amok-Modus war sowieso grottig; und der Reflex diverser Linksliberaler, jetzt erst recht Großmütter zu beleidigen, als ginge es um einen Deutschrap-Award, nur weil´s die Faschotrolls dann erst recht triggert, war auch grottig.

Was soll man dazu also eigentlich schreiben? Am besten gar nichts, aber auch wir brauchen Eure Clicks, also hier die 50 Cent, die wir in die auf den Hund gekommene Sparbüchse des gesellschaftlichen Gedächtnisses zu werfen haben.

„Die Großeltern“ sind keine besonders ergiebige Kategorie, wenn man über Umweltschutz reden will. Wie absurd es ist, diesen Satz schreiben zu müssen, tut beim Tippen weh: Wer über die Gründe der fortschreitenden Umweltzerstörung reden will, hat mit dem fiktiven Subjekt einer jede Veränderung blockierenden Oma-und-Opa-Generation einfach keinen besonders guten Erklärungsansatz gefunden.

Die Diskussion bleibt völlig unfruchtbar: Die einen Schimpfen auf die ideelle Gesamt-Oma, die von Kreuzfahrt zu Kreuzfahrt tingelt, den Fernseher nicht ausmacht, wenn Anne Will rum ist und sich letztens diesen gottverdammten elektrischen Fußwärmer bei Amazon bestellt hat, wegen dem jetzt die Polkappen schmelzen, während der Opa in der Küche genüßlich seinen vierten Sauerbraten frisst, obwohl er den doch bei der Bio-Company jetzt auch schon aus Seitan haben könnte. Und die anderen schreien dann zurück, dass die eigenen Großeltern aber ganz anders sind, was stimmen kann oder nicht, aber auch voll egal ist, weil inzwischen schon der ironische Hashtag #notallgrannies angefangen hat zu trenden. Damit den ganzen 12-follower-Accounts dabei nicht langweilig wird, schaltet sich hin und wieder ein Promi oder der Landtagsabgeordnete Ihres Vertrauens ein und postet je nach ideologischer Positionierung einen harten Diss gegen Discounterfleisch (Böhmi) oder einen überfetten Truthahn mit Speck überbacken (irgendein FDP-Schlurfi).

Während der Zirkus in der Stadt ist, starren alle auf das Spektakel. Die eigentlich zugrunde liegende Frage – Wer oder was ist verantwortlich dafür, dass diese Menschheit trotz besseren Wissens ihren Planeten unbewohnbar macht – interessiert kaum noch, weil jetzt geht’s um Omas Ehre. „Debatten“ wie diese gab es im vergangenen Jahr zuhauf. Ist Gretas komisches Boot wirklich umweltfreundlich? Wie oft fliegen eigentlich Friday-For-Future-Aktivisten? Wie viel Fleisch konsumiert eine Unterschichtsfamilie?

Während man sich über irgendwelchen Kram streitet, bleibt die Frage, was eigentlich Kapitalismus mit Umweltzerstörung zu tun hat, welche Macht- und Herrschaftsverhältnisse dafür sorgen, dass alles so bleibt, wie es ist, und wie man das denn vielleicht ändern könnte, ein Nischenfetisch von Wenigen. Dabei könnte der WDR ja auch mühelos irgendwelche Kinder singen lassen, was für eine Umweltsau RWE ist. Oder man stelle sich vor, die Springer Hetzblätter würden, anstelle die CO2-Bilanz von Greta durchzurechnen, als ginge es um Ulf Poschardts Kokain-Sammelbestellung, mal ihren (vorläufig) gescheiterten Lieblingskanzler Friedrich Merz und seinen Blackrock-Konzern als Umweltsau outen; und die Tarnfarben-Grünen könnten sich mal an ihre Ursprünge erinnern und ganz antimilitaristisch Stimmung gegen die Bundeswehr machen, die immer noch zu den größten Klima-Sündern zählt, mal abgesehen davon, dass sie Menschen massakriert.

Wie auch immer, die Scheingefechte um fiktive Großeltern kann man sich jedenfalls sparen. Weder kann man die in Deutschland niemals erfolgte Entnazifizierung nachholen, indem man „Oma ist eine Nazisau“ ins Internet schreibt, noch hört der Klimawandel auf, wenn man Opa ein richtig fieses Meme reinwürgt. Man verblödet nur sich selber. Und man verblödet andere gleich mit.

Titelbild: wikimedia commons; „A painting of what was said to be the largest pig ever bred in Britain“, 1834

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