Mitgefühl sprach aus den Worten der Korrespondenten der bürgerlichen Presse, die am 30. November aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin berichteten. Der Berichterstatter vom Springerblatt Welt wollte gesehen haben, dass Olaf Scholz mit den Tränen kämpfte. Sein Kollege vom Berliner Tagesspiegel verstieg sich zu der Formulierung „im Moment der größten Katastrophe“ habe der Vizekanzler versucht, „die Fassung zu bewahren“. Er fügte hinzu: „Nun ringt er um Worte, die Gesichtszüge starr“.
Im „Moment der größten Katastrophe“? Nein, es war kein Flugzeug abgestürzt und keine Bombe in einem Hauptbahnhof explodiert. Es war lediglich in der SPD-Zentrale verkündet worden, dass Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans den Mitgliederentscheid der Partei gegen Klara Geywitz und Scholz gewonnen hatten. Die bürgerliche Journaille konnte es nicht fassen und reagierte geradezu hysterisch. „Überraschend“ sei das Ergebnis hieß es allenthalben, eine historische Zäsur et cetera pp. Manche Beiträge lasen sich, als stünde die kommunistische Machtübernahme kurz bevor.
Wieder einmal waren die Mainstreammedien Opfer ihrer eigenen Wahnvorstellungen geworden. Sie hatten das Duo Geywitz/Scholz so lange und ausdauernd zu Favoriten der Urwahl hochgeschrieben, dass sie sich einen anderen Ausgang einfach nicht mehr vorstellen konnten. Dabei konnte sich jeder, der auch nur ein wenig von Politik versteht, schon nach dem Ausgang der ersten Runde des Mitgliederentscheids ausrechnen, dass Esken/Walter-Borjans gute Chancen hatten. Indem man nämlich sich die Prozente anschaute, die auf die jene Mitbewerber entfielen, die der großen Koalition ebenfalls kritisch gegenüber stehen. Denn die landeten am Ende bei den Wahlsiegern.
Um aber zur tragischen Figur in dem Spiel zurückzukommen: Ich gestehe, ich habe während der Übertragung aus dem Willy-Brandt-Haus am 30. November mit Schadenfreude und innerer Genugtuung auf den geknickten Olaf Scholz geschaut. Als Lokaljournalist in Hamburg habe ich den Werdegang des Mannes von Anfang an verfolgt und ihn auch einige Male persönlich erlebt. Und daher kann ich mit Fug und Recht behaupten: Da hat einer auf die Fresse bekommen, der es verdient hat.
Der Dauergrinser aus Altona ist der Prototyp des aalglatten Apparatschiks. Olaf Scholz verkörpert die Arroganz der Macht wie kaum ein anderer Politiker des Landes. Er ist ein Opportunist, der sich die Wünsche der herrschenden Kreise längst zu eigen gemacht hat, ein Phrasendrescher und Karrierist, der buchstäblich über Leichen geht. Der Fall Achidi John, der den meisten Linken noch im Gedächtnis sein müsste, ist ein Schlüssel zum Verständnis seiner Person. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen Auftritt von Olaf Scholz, der mir die Augen vor allem über sein moralisches Niveau geöffnet hat.
Vor 18 Jahren, am 12. Dezember 2001, starb der Nigerianer Achidi John in einem Hamburger Krankenhaus. Drei Tage zuvor war ihm im Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) das Brechmittel Ipecacuanha eingeflößt worden, um Drogenkügelchen zu sichern, die der als Dealer verdächtigte Mann verschluckt haben sollte. Dies geschah so brutal, dass John bewusstlos zusammenbrach. Die Anordnung der Brechmittelgabe war sein Todesurteil.
Achidi war ein direktes Opfer der gewissenlosen Politik des Olaf Scholz. Der Sozi war erst im Sommer Innensenator geworden und versuchte mit einem lupenreinen Law-and-Order-Politik der aufkommenden Partei von „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill das Wasser abzugraben. Seinen Willen zum „Durchgreifen“ demonstrierte er vor allem am Drogenhandel, der seit Monaten von der Springer-Presse Hamburgs zum Hauptproblem der Stadt hochgeschrieben worden war. In diese opportunistische Strategie gehörte die Einführung von Brechmitteln im Einsatz gegen mutmaßliche Kleindealer, allen warnenden Stimmen zum Trotz.
Kurz nach dem Tod von Achidi John gab es eine Veranstaltung im Gewerkschaftshaus, bei der Scholz auf dem Podium saß. Ich war als Lokaljournalist dabei und kann mich noch heute gut daran erinnern. Der Saal kochte, unter den 400 Zuhörer*innen waren viele empörte Mitarbeiter*innen der Drogenhilfe, die den Innensenator massiv attackierten. Der aber saß oben auf dem Podium und ließ die ganze Wut und Empörung kaltlächelnd an sich abprallen. Kein glaubhaftes Wort der Entschuldigung, schon gar nicht der Anteilnahme.
Dieser selbstgerechte Auftritt sagt viel über den Politiker Olaf Scholz. Wirkliche Empathie mit den Opfern seiner politischen Entscheidungen ist dem Sozialdemokraten, der als Generalsekretär der Partei die Agenda 2010 umsetzen half, fremd. Er sieht er sich als großer Stratege, der weiß, was richtig und wichtig ist. Die Macht scheint sein Lebenselixier zu sein. Unter Managern und „Multiplikatoren“ fühlt er sich wohler als sagen wir in einer Versammlung von Postangestellten.
Dass er den G-20-Gipfel 2017 gegen Warnungen selbst ranghoher Polizeibeamter in Hamburg veranstalten ließ, ist ein anderes Beispiel für die Hybris des Olaf Scholz. Seine schon wahnhafte Idee, die Hansestadt zu einer Marke in Europa aufzubauen, bestimmte viele Entscheidungen als Erster Bürgermeister. Dazu gehört auch, dass er schon kurz nach Amtsantritt allen Ehrgeiz daran setzte, das vor dem Scheitern stehende Projekt Elbphilharmonie zu retten. Dass dabei einige hundert Millionen Euro Steuergelder in den Luxusbau gepulvert wurden – who cares?
Dass Scholz trotz des Desasters G 20 zum Vizekanzler und Bundesfinanzminister befördert wurde, ist typisch für den Mann. Er fällt wie eine Katze offenbar immer wieder auf die Füße. Denn die Herrschenden wissen, was sie an ihm haben. Sollte seine politische Karriere zu Ende gehen, was sehr zu hoffen ist, wird sich sicher ein warmes Plätzchen in der Wirtschaft für Olaf Scholz finden.
# Titelbild: Frank Schwichtenberg