Pünktlich zum derzeitigen vom türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan in Nordsyrien geführten Krieg gegen das selbstverwaltete Rojava zeigen deutsche Behörden, was sie dem Diktator aus Ankara noch anzubieten haben: die Kriminlisierung und Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung.
Am 25.10.2019 begann in Berlin Schöneberg der Prozess gegen eine feministische kurdische Politikerin, angeklagt wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129b, konkret der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Die ganze Nummer wirkt wie abgesprochen – als würde das BKA seine Verfolgung von Kurd*innen hierzulande direkt an die Bedürfnisse der AKP-Diktatur anpassen.
Getroffen hat es Yildiz Aktaş, eine 51jährige kurdische Aktivistin, welche schon in der Türkei und auch in Deutschland gegen Gewalt an Frauen und Mädchen und für deren Recht auf Selbstbestimmung, Bildung und finanzielle Unabhängigkeit kämpfte. Dass sie den türkischen Repressionsbehörden deswegen ein Dorn im Auge war und ist, liegt auf der Hand. Deswegen wurde sie stetig verfolgt, saß das erste Mal mit 12 Jahren im Knast in Dyarbakir und wurde gefoltert. 2012 entschied sie sich deswegen, die Türkei zu verlassen und floh nach Deutschland. Sie erhielt Asyl, lebt seitdem in der BRD und führt die Kämpfe, welche sie in der Türkei führte, hier weiter.
Yildiz wurde wegen Mitgliedschaft in der PKK angeklagt. Seit 1993 ist für die PKK in der BRD ein Betätigungsverbot verhängt. Jede*r, der*die innerhalb der PKK aktiv ist, macht sich dementsprechend nach deutschen Recht strafbar. Zusätzlich wird die PKK auf der EU-Terrorliste geführt. Die Grundlage für die Kriminalisierung von PKK-Aktivist*innen ist dementsprechend schon lange gegeben. Die Verfolgung betrifft vor allem angebliche Führungskader der PKK. Sie erstreckt sich aber beispielsweise auch auf Demonstrationen, wenn übermotivierte Bullen kurdische Aktivist*innen mit PKK Fahnen angreifen, verprügeln und manchmal auch in Knäste stecken. Der Prozessauftakt gegen Yildiz untermauerte diese Verfolgung und Kriminalisierung noch einmal mit einer anderen Intensität.
Am ersten Prozesstag beantragten die Verteidiger*innen eine Unterbrechung des Verfahrens. „Die Begründung hierfür liegt im ihrem an das Bundesjustizministerium gerichteten Brief, in dem sie darlegen, warum dieses die sogenannte Verfolgungsermächtigung gegen Yildiz zurücknehmen sollte. Erst diese Ermächtigung erlaubt es den Behörden, in solch einem 129b-Verfahren umfassend zu ermitteln, zu überwachen und zu verfolgen. Gegen die PKK gibt es eine generelle Verfolgungsermächtigung, in Yildiz´ Fall wurde noch eine ‚Einzelverfolgungsermächtigung` ausgestellt. Die Begründung der Verteidiger*innen bezieht sich auch auf den aktuellen Angriffskrieg der Türkei gegen die selbstverwalteten Gebiete in Nordost-Syrien (Rojava), sowie auf die Menschenrechtslage in der Türkei.“, so die Soligruppe von Yildiz. Die Beweisaufnahme solle „bis zur Entscheidung des Bundesjustizministeriums darüber, ob die von ihm erteilte Verfolgungsermächtigung gegen angebliche Führungskader der PKK, noch angemessen und politisch haltbar sei, unterbrochen werden“.
Reaktion des Gerichtes am 29.10.19? Antrag abgelehnt! Begründung: es wäre wohl unklar, ob solch ein Antrag gegen die Einzelverfolgungsermächtigung gegen Yildiz Erfolg haben könnte. Und bevor eine Entscheidung des Bundesjustizministeriums abgewartet wird, heißt es dann im Gerichtssaal: weitermachen mit der Verfolgung! Das bedeutet, dass der Prozess mindestens bis zur Entscheidung des Bundesjustizministeriums mit der gängigen antikurdischen und pro-türkisch-faschistischen Haltung geführt wird.
Das zeigte sich dann am zweiten Prozesstag auch insofern, als kaum ein Wort über türkische und IS-Angriffe auf Gebiete der Kurd*innen und insbesondere Rojava fällt. Geladen ist Michaela Müller, Kriminalhauptkommissarin des BKA – eine alte Bekannte aus PKK-Prozessen.
Hier ist sie seit 1994 angestellt, seit 2008 für „politisch motivierte ausländische Kriminalität“ und deswegen auch für die Verfolgung vermeintlicher Mitglieder der PKK zuständig. 2012 – 2017 erstellte sie wohl eine Chronologie über die PKK, wobei sie wohl „Anschläge und Aktionen“ dokumentierte. Ihre selbsternannte „Recherche“ bezog sich dabei fast ausschließlich auf die Internetseite der HPG (Verteidigungskärfte der PKK). Von der Struktur der kurdischen Bewegung habe sie, selbstredend, keine Ahnung. Sie würde lediglich Anschläge zählen. Im Endeffekt kann man sich ihre Arbeit nach ihren Aussagen so vorstellen, dass sie 2013-2017 vorm Computer saß, Bekenner*innenschreiben las, übersetzen ließ und mit der Maus auf einer Homepage hoch und runter scrollte.
In dem dreistündigen Prozess wird dann ausschließlich von „Angriffen“ von Kurd*innen gesprochen. Zwar wird erwähnt, dass es in der Zeit von 2013-2017 auch „Gefechte“ gab, diese würden im Prozess aber wohl nicht einbezogen werden. Bei den sogenannten „Gefechten“ handelt es sich wohl um türkische Angriffe, bei welchen „sich die HPG verteidigte“ , so Müller.
Schon die Ablehnung des Antrages der Verteidigung durch das Gericht stand symbolisch für die deutsche Unterstützung und Legitimation des von Erdogan geführtes Krieges gegen die Kurd*innen, der Sprech der BKA Angestellten Müller verdeutlicht diese noch einmal mehr. Zur Erinnerung: im gesamten Zeitraum von 2013-2017 griffen der Islamische Staat und die Türkei immer wieder gezielt kurdische Gebiete an, um einen gemeinsamen Genozid an den Kurd*innen zu begehen. Inwiefern dementsprechend ein angeblicher „Angriff der Kurd*innen“ auch eine „Verteidigung gegen den Faschismus“ darstellt, wird natürlich nicht diskutiert. Im Gegenteil: durch die juristische Verdreherei eines realen Krieges wird Erdogan geschützt, kurdische Strukturen kriminalisiert.
Um natürlich aber auch die Hexenjagd nicht zu vergessen, fragt die Staatsanwaltschaft gezielt danach, ob sich Frauengruppen der HPG in der Zeit von 2013-2017 auch zu Anschlägen bekannt haben, was Müller bejaht.
Die gezielte faschistische Prozessführung seitens Richter, BKA-Beamtin und Staatsanwaltschaft gegen kurdische Frauengruppen der PKK wird dann schlussendlich mit der Aussage Müllers getoppt, dass laut ihrer Recherche die HPG mehr Verletzte und Getötete vorweisen könne als die türkische Regierung. Logisch ist das allemal: nach der Türkei wird ja auch nicht gefahndet, die Mordzahlen in ihrer Verantwortung also auch nicht gezählt.
Auch am vierten Prozesstag wurde ein Zeuge des BKA vernommen, Kriminalhauptkommisar Herr Becker. Er hat sich wohl jahrelang durch die Strukturakten der PKK gewühlt, aber auch er scheint „erstaunlich wenig Hintergrundwissen zu haben“, so die Soligruppe in einer Pressemitteilung. Von 2003 bis 2018 „schien er eigentlich nur zu wissen, wann sich welche Organisation wie umbenannt hatte und wie sie strukturiert war. In dem gesamten Zeitraum hat er sich weder mit der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, (Stichwort Paradigmenwechsel) noch mit der politischen Einordnung in die Situation vor Ort beschäftigt.“ Bei der Frage, wer den Anschlag von Suruç 2015 verübt hat, überlegt er zunächst länger und antwortet dann nicht konkret mit den Verantwortlichen, sondern mit: „Die PKK vermutete eine Komplizenschaft der Türkei mit dem IS.“ Weiterhin sagen ihm die Begriffe „Zwangsumsiedlungen“ und „Verschwindenlassen“ nichts.
Und so wird auch an diesem Prozesstag verleugnet, dass die Türkei in Zusammenarbeit mit dem IS einen Krieg gegen die Kurd*innen führt, wieder wird die PKK verantwortlich für alles Übel gemacht.
Die Verleugnung eines von der Türkei geführten Krieges und gleichzeitiges absolutes Desinteresse für Betroffene, wie zum Beispiel Yildiz Aktaş, charakterisieren das gesamte Verfahren. Am dritten Prozesstag wird von den Verteidiger*innen der Angeklagten der erste Teil ihrer Prozesserklärung vorgelesen. In dieser schildert sie ihre Lebensgeschichte, welche „von Gewalt und Folter, Kriminalisierung als Kurdin und Unterdrückung als Frau durch die Familie geprägt ist – sowie von feministischen Kämpfen und Solidarität durch andere Frauen“, fasst die Soli-Gruppe zusammen. Was die Prozessbeobachter*innen berührt, erschüttert und bei ihnen Gänsehaut auslöst, lässt das Gericht offensichtlich eiskalt. „Die Richter*innen blicken zu Yildiz, schauen weg, schauen in die Luft, machen sich Notizen. Die Situation wirkt grotesk.“, so die Soligruppe.
Während Yildiz über die Grausamkeiten des Putschregimes, über ihre Inhaftierungen, Gewalterfahrungen, Folterungen und die feudal-patriarchale Gesellschaft in der Türkei der 1980er sowie der darauffolgenden Jahre bis zu ihrer Flucht nach Deutschland spricht, muss es den Beobachter*innen grotesk vorkommen, dass ausgerechnet sie die Angeklagte im Raum ist. „Für uns drängt sich die Frage auf: Wer sind hier eigentlich die Terrorist*innen, wer wird so bezeichnet und warum?, so die Soligruppe.
# Solidaritätsaktionen für Yildiz werden immer noch von viel zu wenigen Aktivist*innen besucht und getragen. Informiert euch hier über den Fortgang des Prozesses und Termine: https://freiheit-yildiz.com/