Gegen die Zensur in Deutschland

19. Oktober 2019

„Nee, das haben wir nicht und bestellen geht auch nicht.“ Die Antworten gleichen sich bei allen Buchläden, die man anruft. Es geht um das Buch „Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“ von Abdullah Öcalan, das für lange Zeit nicht verfügbar war. Nicht einmal der Versandriese und dystopische Megakonzern Amazon, wo man sonst vom Müsliriegel bis zum Astronauten-Katzen-Transportrucksack sämtliche Konsumbedürfnisse befriedigen kann, führte das Buch in seinem Sortiment. Grund dafür ist eine Zensurmaßnahme, die so gar nicht in das ganz aktuell selbstgegebene Bild der Rechtsstaatlichkeit passen will, das mit der Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“ die Plakatwände der deutschen Innenstädte flutet.

Am 12. Februar 2019 wurde die Räume des Mezopotamien-Verlags, bei dem unter anderem „Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“ erschien, von der Polizei durchsucht. Grund dafür war, dass laut Innenministerium der Verlag als „Teilorganisation der 1993 in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verboten und aufgelöst“ werde. Sämtliche Bücher, die noch gelagert waren, wurden beschlagnahmt. Die bis dahin nur in diesem Verlag veröffentlichten Bücher waren nicht mehr verfügbar, auch wenn sie inhaltlich zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form rechtlich beanstandet worden waren.

Wenn von Zensur gesprochen wird, wird meistens auf China, die Türkei, Saudi-Arabien und andere autoritäre Staaten verwiesen. Und tatsächlich sind Veröffentlichungen in Deutschland nicht genehmigungspflichtig, sprich es gibt keine*n Zensor*in, der*die Bücher und Zeitschriften vor der Veröffentlichung durchliest und für die Regierung unliebsame Inhalte streicht oder deren Veröffentlichung untersagt. Zensur findet aber dennoch statt, allerdings rechtsstaatlich „sauber“, auf anderem Wege. Das Mittel der Wahl ist hierbei in den letzten Jahren das Vereinsverbot.

Dabei geht es, wie beim klassischen Zensieren um politisch nicht gewollte Inhalte. Der Mesopotamien-Verlag veröffentlichte nicht nur Texte von Abdullah Öcalan, sondern auch die Autobiografie der im Januar 2013 vom türkischen Geheimdienst ermordeten Sakine Cansız „Mein ganzes Leben war Kampf“, ein deutsch-kurdisches Wörterbuch, Kinderbücher, kurdische Gedichte und Texte zum demokratischen Konföderalismus, gegen den der türkische Staat zusammen mit Islamisten jeglicher Couleur gerade einen mörderischen Feldzug in Rojava führt. All diese Inhalte wurden durch das „Vereinsverbot“ unzugänglich gemacht, also über Umwege zensiert.

Das Ziel dabei ist offensichtlich: Die Solidarität mit dem basisdemokratischen Projekt in den verschiedenen Teilen Kurdistans soll erschwert werden. Die theoretischen und historischen Grundlagen und die politische Praxis, die den Versuch eine Gesellschaft jenseits von Staat, Macht und Gewalt zu organisieren, zeigen, sollen unsichtbar gemacht werden. Zum einen aus Tradition – man geht jetzt ja schon seit mehr als 20 Jahren gegen die kurdische Freiheitsbewegung vor –, oder um sich dem faschistischen Regime in Istanbul anzubiedern; zum anderen aber auch aus ganz handfesten eigenen Interessen. Jegliche Perspektive, die über die bestehenden Verhältnisse hinausweist muss aus einer bürgerlich-kapitalistischen Perspektive bekämpft und kriminalisiert werden. Die kurdische Bewegung, deren Inhalte – trotz sonst immer gerne hochgehaltener Meinungsfreiheit – hier zensiert werden, ist dabei aber nur ein Beispiel unter anderen.

Denn Zensur gegen linke Medien findet auch an anderen Stellen statt. Nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg wurde 2017 die Medienplattform linksunten.indymedia.org verboten. Mittel der Wahl war auch hier ein Vereinsverbot. Das Bundesinnenministerium erklärte linksunten.indymedia kurzerhand zum Verein, der sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte und startetet Strafverfahren gegen die vermeintlichen Betreiber*innen aus Freiburg. Presserechtlich wäre es unmöglich gegen linksunten vorzugehen, über die Behauptung, die PLattform sei ein Verein, wird der rechststaatliche Schein gewahrt, nach dem Motto „Wir verbieten keine Medien, wir gehen gegen einen kriminellen Verein vor“. Auch hier ist das Vereinsverbot offensichtlich nur Mittel zum Zweck, um ein linkes Medium zu zensieren und so zu verhindern, dass die Inhalte von der Plattform an die Öffentlichkeit gelangen und zu erreichen, dass der Widerstand gegen die Verhältnisse hier und anderswo unsichtbar bleibt.

Für‘s erste waren die Maßnahmen erfolgreich. Linksunten.indymedia.org ist nicht mehr zu erreichen, die Bücher die im Mezopotamien-Verlag erschienen waren, waren bis vor kurzem vergriffen. Für letztere allerdings hat sich eine solidarische Lösung gefunden. Die Verlage edition 8 aus Zürich, Mandelbaum aus Wien und der Unrast aus Münster haben mit der edition mezopotamya zumindest einen Teil der zensierten Bücher wieder zugänglich gemacht, das lower class magazine ist dabei eine*r von vielen Mitherausgeber*innen. Zwar konnten nicht alle im Mezopotamien-Verlag erschienen Bücher erneut veröffentlicht werden, aber zumindest kann so ein Teil der Ideen, gegen die sich Repression und Zensur richten wieder gelesen und auch im Buchhandel eures Vertrauens nachbestellt werden.

#Titelbild: Werbekampagne für den „Rechtsstaat“ aufgenommen in Berlin, privat

Wir dokumentieren hier einen Spendenaufruf für die edition mezopotamya:

*Gegen Zensur, für Publikationsfreiheit!*

*Spendenaufruf für die /Edition Mezopotamya/*

Für die Wiederveröffentlichung von beschlagnahmten (jedoch nicht verbotenen) Büchern sind wir auf solidarische Spenden angewiesen. Es geht um den von Bundesinnenminister Horst Seehofer verbotenen kurdischen *Mezopotamien Verlag*.

Am 12. Februar 2019 ist der Verlag, ebenso wie der benachbarte MIR Musikvertrieb verboten worden. Beiden wird unterstellt, Unterorganisationen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu sein. Der Mezopotamien Verlag hat Bücher in verschiedenen Sprachen zu kurdischer Geschichte, zur kurdischen Frauenbewegung, die Schriften von Abdullah Öcalan sowie Romane, ein Sprachlehr- und ein Wörterbuch, Kinderbücher und vieles mehr veröffentlicht. Außerdem hat der Verlag Bücher auf Türkisch und Kurdisch aus anderen Verlagen vertrieben, darunter viele Klassi-ker der Weltliteratur.

Keines dieser Bücher des Mezopotamien Verlags ist in der Vergangenheit in Deutschland verboten oder auch nur in irgendeiner Weise beanstandet worden. Dennoch wurden sie tonnen-weise beschlagnahmt, ebenso die Bücher aus den anderen Verlagen – so dass sie für Buchhandel und Leser*innen nicht mehr erreichbar sind. Das werten wir als Zensur durch die Hintertür.

Die wichtigsten der deutschsprachigen Titel des Mezopotamien Verlags sind nun als Edition Mezopotamya von den drei Verlagen Unrast (D), Mandelbaum (A) und Edition 8 (CH) neu aufgelegt worden und damit für den Buchhandel wieder verfügbar. Finanziert werden muss das Projekt aus Spenden.

*Spendenkonto:*
Verein z. Förderung kurdischer Kultur e.V.
IBAN: DE78 4306 0967 1011 1214 00
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Edition Mezopotamya

Aus dem Buchverkauf rücklaufendes sowie ggf. überschüssiges Geld wird einem Solidaritätsfonds für die Prozesskosten des Mezopotamien Verlags und des MIR Musikvertriebs zur Verfügung gestellt. Denn die beiden Verlage unternehmen selbstverständlich rechtliche Schritte gegen ihr Verbot.

Eine Vorschau auf die wieder aufgelegtendeutschsprachigen Titel finden Sie als pdf-Datei unter: http://wck.me/13uF

/Unrast, Mandelbaum, Edition 8/
/International Initiative Edition, Antiquariat Walter Markov

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert