Die Herren Wolf-Traugott Freiherr von Werthern und Emmanuel Graf von Spee gedenken das Fußvolk aus seinen Behausungen zu entfernen, auf dass Geld gemacht werden kann – doch eine Hausgemeinschaft in der Mariannenstraße 34 will nicht spuren.
Wo sich ohne körperliche Mühen Geld machen lässt, ist bekanntlich der Adel nicht weit. Verbürgten vor einigen Generationen noch komplizierte Feudalrechte den Landbesitz der noblen Herren, ist man heute eben Immobilienunternehmer. Und so gehört es zum guten Ton, dass Wolf-Traugott Freiherr von Werthern und Emmanuel Graf von Spee auch einige Ländereien in Kreuzberg ihr eigen nennen.
Den beiden blaublütigen Gentrifizierern gehört die Wildhorn RP II GmbH (und diverse andere GmbHs von Wildhorn RP I bis VI). Die Wildhorn RP Zwei kaufte 2009 ein Haus in der Mariannenstraße 34 – also beste Szenekiezlage nahe Kotti. Und auch ansonsten ein Glücksfall, denn die Wohneinheiten der entsprechenden Immobilie waren schon 1998 in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden. Also nur noch die zehnjährige Sperrfrist abwarten – und schon rollt der Rubel. Doch, Überraschung, in dem Haus wohnen Menschen.
„Uns wurde vor ein paar Wochen ein Brief zugestellt, dass unsere Wohnungen verkauft werden sollen. Für 4700 bis 4800 Euro je Quadratmeter wurden sie auch uns angeboten – natürlich ohne Maklerkosten. Sehr entgegenkommend!“ erzählt Karla, die seit mehreren Jahren in der Mariannenstraße 34 wohnt, gegenüber lower class magazine. „Kaum jemand von uns kann sich diese Summen leisten und wir waren wirklich über die immensen Preise überrascht, die hier für teilweise sanierungsbedürftige Wohnungen verlangt werden.“ Für Karla beginnt ein Alptraum. Schon jetzt geht mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete drauf. Sie hat Familie und Freunde in Kreuzberg, viele ihrer sozialen Aktivitäten spielen sich hier ab. Hoffnung, etwas Neues in dem von Aufwertung und Yuppie-Zuzug geplagten Viertel zu finden, hat sie nicht.
16 Wohneinheiten in der Mariannen 34 sind betroffen. Im Internet wirbt die David Borck Immobiliengesellschaft schon für den „renovierten Altbau nahe Paul-Lincke-Ufer“. Bei dem angegebenen Preis kommt man für eine Zwei- bis Dreizimmerwohnung rasch auf eine Halbe- bis Dreiviertelmillion.
Dass die horrenden Preise den Altmieter*innen keine Chance lassen, scheint auch dem Investor klar zu sein. Er kalkuliert die Verdrängung nicht nur als Nebeneffekt mit ein, er betreibt sie bewusst. „Wie Sie bereits wissen, werden diese Arbeiten zu Unruhen unter den Mietern führen und einige Mieter werden voraussichtlich ausziehen, was eindeutig in unserem Interesse liegt, da wir dann die leer stehenden Wohnungen sanieren und sie anschließend zu einem weitaus höheren Preis vermieten können“, schreibt die Wildhorn Capital Sàrl in ihrem Jahresbericht schon 2016.
Für die Rentner*innen, Student*innen und Familien in der Mariannenstraße hat die Profitsucht der Immobilienfürsten drastische Konsequenzen. „Die Kündigung gilt auch für Leute, die 20, 30 Jahre in diesen Wohnungen gelebt haben“, klagt Karla. „Hier leben Menschen, die ihr ganzes Leben in diesem Kiez gewohnt haben. Menschen, die ihr soziales Umfeld in den umliegenden Straßen aufgebaut haben und vieles verlieren werden.“ Und jede*r weiß: Umziehen in Berlin heißt Wegziehen aus Kreuzberg. „Eine Wohnung in Kreuzberg zu finden, die einigermaßen bezahlbar ist, ist nahezu unmöglich. Und rechtlich haben wir keine Chance gegen die Verdrängung vorzugehen.“
Aber: Die Attacke der Krautjunker mit den lächerlichen Namen hat auch ihr Gutes. Die Hausgemeinschaft sei zusammengerückt, meint Karla. Und man habe sich mit anderen vernetzt, der Mietergemeinschaft, den Initiativen GloReiche und Bizim Kiez, dem #200-Häuser-Netzwerk. Ein Hoffest veranstalteten die Mieter*innen schon und wenn die Verdränger in spe zu Hausbesichtigungen anrücken, unterstützt man sich gegenseitig. „Es ist toll zu wissen, dass man an einem Strang zieht und auch einfach mal nebenan klingeln kann, wenn einem etwas was auf dem Herzen liegt“, schwärmt die Kreuzbergerin.
So bedrückend die Lage ist, die letzte Messe sei noch nicht gelesen, fügt Karla hinzu. „Wir wünschen uns eine solidarische Unterstützung aus dem Kiez. Es gibt viele Häuser, die mit steigenden Mieten, Eigenbedarfskündigungen oder Schikane von Vermieter*innen zu tun haben. Es ist wichtig, diese Entwicklung öffentlich zu machen und sich dagegen zu organisieren. Nur so können wir den Druck auf potenzielle Käufer*innen aufrechterhalten“, meint XY. Für die Mariannenstraße 34 jedenfalls gelte: „Wir werden nicht aufgeben und bis zum Schluss kämpfen.“
# Titelbild: Hoffest in der Mariannenstraße 34, Quelle: Privat