Stadtteilarbeit
in Berlin: Die »Kiezkommunen«
Vermummte Gartenzwerge lauern hinter den noch kaum einen halben Meter hohen Tomatensträuchern des frisch zurecht gemachten Vorplatzes. Achtlos dreht sich ein junger Mann, der gerade mit dem Gartenschlauch das Beet wässert, um und erwischt versehentlich den kaum zwei Meter entfernt geparkten Wagen, in dem zwei Zivilpolizisten lungern. Die Schlapphüte düsen ab, die rund zwanzig vor der Berliner Waldemarstraße 110 sitzenden Nachbar*innen lachen. Die Sonne scheint, man gönnt sich Kuchen und Kaffee, an einem Tisch wird über Besuche bei politischen Gefangenen diskutiert, an einem anderen spielt man Skat und zwei junge Frauen schrauben eine neue Info-Tafel an ein Holzgerüst.
Der kleine Vorplatz gehört zu einem – relativ – neuen Kiezladen in Kreuzberg, dem »Mahalle«. Seit etwas weniger als einem Jahr gibt es hier Essen, Filme, Info-Veranstaltungen – und den Versuch, der revolutionären Linken in Deutschland ein neues, tragfähiges Fundament zu bauen.
»Wir machen das jetzt schon eine Weile«, sagt Miles lächelnd. »Aber wir haben gedacht, dass es am Anfang keinen Sinn macht, irgendwelche Absichtserklärungen in die Welt hinauszuposaunen«, so der 27-Jährige. »Erstmal in der eigenen Nachbarschaft was erreichen, dann kann man immer noch im Internet drüber schreiben«, sei die Devise.
Das, was Miles und ein paar Dutzend seiner Genoss*innen schon eine Weile machen, ist politische Aufbauarbeit in Stadtteilen Berlins. Im Wedding, Kreuzberg-Neukölln und in Friedrichshain gibt es bislang Sektionen des Projekts, das sich »Kiezkommune« nennt.
Im Kiez – aus dem Kiez – für den Kiez
»Für Kreuzberg und Neukölln liegt einer unserer Schwerpunkte gerade hier im Laden«, erzählt Emma, eine der Info-Tafel-Schrauberinnen. Man habe einen Raum schaffen wollen, der offen ist für die Nachbarschaft, nicht subkulturell, aber dennoch nicht unpolitisch. »Wir nutzen den Laden als Anlaufpunkt. Es kommen oft Einzelpersonen oder Initiativen, weil sie wissen, wir sind da ansprechbar. Aber wir machen auch wöchentlich Veranstaltungen, bereiten Demonstrationen und Aktionen vor – solche Sachen eben«, sagt Emma.
Inhaltlich drehe sich viel um Verdrängung und Mieten, aber auch Touristifizierung sei ein Thema, das in der Nachbarschaft ziehe. »Wir haben uns vor ein paar Monaten an einer Initiative von Kreuzbergern gegen den Neubau eines großen Hotels hier im Eck beteiligt. Das Ding wird jetzt nicht gebaut, was ein toller Erfolg ist. Aber das Thema bleibt«, erklärt Emma. Deshalb sei derzeit auch jeder zweite Samstag dem Kampf gegen Touristifizierung, AirBnB und Hotels gewidmet. »Das betrifft viele Anwohnerinnen und Anwohner«, weiß die 25-Jährige auch aus eigener Erfahrung. »Schon dieses dauernd fotografiert werden, als wäre man im Zoo, nervt. Aber klar, noch schlimmer ist, dass alles auf die Bedürfnisse des Tourismus zugeschnitten wird, dass Ferienwohnungen entstehen, wo wir Wohnraum brauchen. Und Yuppie-Boutiquen, wo wir früher bezahlbare Lokale hatten.«
Dennoch, sagen Miles und Emma, sei man keine Stadtteilinitiative, die nur zur Wohnungs- und Mietproblematik arbeite. Ein Frauen*-Café und ein autonomes Frauen*treffen sind an die Kommune angebunden, Jugendliche organisieren sich unter dem Label »Kreuzberg United« und machen Kampfsport oder Brunch im Laden. Man wolle mittelfristig eine Art Rätestruktur aufbauen, die sich um alle Belange der Nachbarschaft kümmert, beschreibt Miles die Ziele. »Als hier mal ein Nazi bei einem Lebensmittelgeschäft am Kotti gearbeitet hat, haben wir das natürlich auch als unsere Aufgabe gesehen, den loszuwerden. Und in Zukunft wollen wir auch mehr zu Arbeitskämpfen machen, gerade auch, wenn die so entschlossen sind wie zum Beispiel der kürzlich beim Wombat‘s Hostel«, schwärmt der arbeitslose Informatiker.
Wie aber die jeweiligen Kommunen arbeiten, hängt von den jeweiligen örtlichen Bedingungen ab. Im Wedding entsteht zwar derzeit ebenfalls ein neuer Laden, aber bislang bedienten sich die dortigen Genoss*innen eher anderer Mittel: militanter Untersuchungen und der Kiezzeitung »Plumpe«.
Gegenmacht und Revolution
Wenn auch der Schwerpunkt auf der lokalen Arbeit liegt, soll die »Kiezkommune« doch kein auf einen Stadtteil beschränktes Projekt sein. In einem kürzlich von den Kiezkommunen Wedding, Friedrichshain und Kreuzberg-Neukölln sowie der Gruppe radikale linke berlin (rlb) gemeinsam veröffentlichten Strategiepapier heißt es: »Von Beginn an soll daher der Aufbau der lokalen Organe der Gegenmacht mit ihrer Koordinierung und Verknüpfung auf überregionalem Niveau einher gehen«. Gegenmacht bedeute dabei zum einen, »die Fähigkeit, Dinge, die uns nicht passen, verhindern zu können. Wenn ein Nazi-Aufmarsch nicht durch den Kiez läuft, ist das Gegenmacht. Wenn ein Hotelbau nicht umgesetzt werden kann, ist das Gegenmacht. Wenn ein Betrieb eine Kündigung zurücknehmen muss, ist das Gegenmacht.« Aber: Zum anderen besteht Gegenmacht aber nicht nur im Verhindern, sondern auch im Aufbauen und Entwickeln. Wenn wir unser eigenes Zusammenleben organisieren können, ist das Gegenmacht; wenn im Kiez nicht die Bullen, sondern die Kommune gerufen wird, um Konflikte zu regeln, ist das Gegenmacht; wenn wir unsere Reproduktionsarbeit kollektiv gewährleisten können, ist das Gegenmacht.«
Letztlich gehe es, so formuliert der Text, um nicht weniger als die Revolution: »Dass die Herrschenden dieses Schaffen anderer Beziehungen, sobald es ihnen gefährlich wird, blutig unterdrücken, zeigt auch die Geschichte der Räterepublik, von der Landauer schrieb. Letztlich also wird auch an einem bestimmten Punkt des Aufbaus von Gegenmacht der Angriff der Herrschenden kommen. Bevor sie nicht ganz und vollständig entmachtet sind, bleibt auch der Aufbau von Gegenmacht vorläufig. Ein dynamisches Sozialismus-Konzept schließt insofern immerdie Notwendigkeit umfassender Selbstverteidigung mit ein.«
Betonen wollen Emma und Miles vor allem die veränderte Einstellung zur Gesellschaft, die ihrer heutigen Arbeit zugrunde liegt. »Ich komme aus eher klassischer Antifa-Arbeit, die viel über Abgrenzung gegen andere funktioniert hat«, sagt Emma. »Aber in den vergangenen Jahren bin ich wie viele andere zu dem Schluss gekommen, dass wir gar nichts erreichen können, wenn wir uns nicht als Teil der Gesellschaft verstehen und sie als ihr Teil von innen verändern.« Das müsse man aber auch neu lernen. »Deshalb legen wir nach innen viel Wert auf Bildung und auf das neue Erlernen einer Arbeitsweise, die offen und ansprechend ist. Aber auch auf die Ausgestaltung der genossenschaftlichen Beziehungen unter uns«, ergänzt Miles.
Große Ziele
Das zeige auch Erfolge. Und die wiederum machen die Arbeit für die Aktivist*innen bei aller Anstrengung schön. »Allein als letzte Woche drei ältere Frauen am Laden vorbeikamen und sagten: Ihr seid doch Sozialisten, ich find‘s gut, dass es endlich wieder nen sozialistischen Laden hier gibt«, das gibt richtig Kraft«, lacht Miles. In der Tat scheint der Laden und mit ihm die Kommune gut in die Nachbarschaft integriert.
Das aber reicht den Aktivist*innen lange nicht. »Wir arbeiten auf mehrere hundert Kiezkommunen in der Stadt hin, dann vernetzen wir das deutschlandweit und werden zum Kern des kommenden revolutionären Aufstands in Europa«, sagt Miles lächelnd. Bis dahin sei aber noch ein weiter Weg zu gehen, nach innen wie in der Vermassung des Konzepts.
»Wir haben viele Neubeitritte und da legen wir Wert darauf, uns gemeinsam weiter zu entwickeln. Außerdem müssen wir unsere Arbeitsfelder ausdehnen, da sind wir oft noch zu sehr auf einzelne Themen beschränkt«, stellt der Informatiker fest. Aber am Ende sei klar: »Für weniger als das Ende von Kapitalismus, Staat und Patriarchat lohnt sich die ganze Nummer ja nicht.«
Infos: www.kiezkommune.org