Wenn Elfjährige auf öffentlichen Plätzen selbst gebastelte Pappschilder mit der Aufschrift „System change, not climate change!“ hoch halten, schrillen bei den Mächtigen die Alarmglocken. Der plötzliche Aufstieg der Schülerbewegung Fridays for Future (FFF) hat die Bourgeoisie offenbar aufgeschreckt. Hektisch wird an Strategien gebastelt, die Bewegung so zu kanalisieren, dass die jungen Leuten nicht anfangen, nach den tieferen Ursachen der Klimakrise zu forschen. Mit dabei der Verfassungsschutz.
Dass FFF ausgebremst werden soll, lässt sich nicht übersehen. Zu erfolgreich ist die Bewegung. Und auch wenn sie in weiten Teilen noch eher grün dominiert und damit systemkonform erscheint, so trägt sie doch ein für die Herrschenden nicht ungefährliches Potential in sich. Hunderttausende Jugendliche, die frühzeitig anpolitisiert werden und sich vielleicht irgendwann fragen, ob es der Kapitalismus ist, der das Klima zerstört – das kann das System nicht gebrauchen.
So wird das erprobte Arsenal bürgerlicher Manipulationstechniken aufgeboten. Das reicht von vergiftetem Lob zum Zwecke der Eingemeindung über altväterliches Genörgel an den „Schulschwänzern“ bis zu Spaltungsversuchen. Wie man Spaltung in die Bewegung trägt, führte das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz Mitte April vor. Mit einem länglichen Text auf seiner Homepage, der Einblicke in das kranke Denken der Schlappenhüte erlaubt.
Schon die Überschrift ist an Dämlichkeit schwer zu übertreffen: „Gewaltorientierte Linksextremisten setzen strategisch auf populäre Themen – Wie die Interventionistische Linke demokratische Initiativen instrumentalisieren will“. Der in pseudowissenschaftlichem Tonfall vorgetragene Text behauptet, die IL Hamburg versuche „im Rahmen ihrer Entgrenzungsstrategie“, Protestbewegungen zu „vereinnahmen und zu steuern“.
Mit dem Wort „Entgrenzung“ glaubt der Geheimdienst offenbar so etwas wie den Stein der Weisen gefunden zu haben. Mit diesem Begriff, so belehren uns die Hüter der Verfassung, sei die „gezielte strategische und taktische Besetzung gesellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen“ gemeint. Dies diene dazu, „verfassungsfeindliche Positionen“ in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen und Anhänger zu gewinnen.
Und genau mit dieser Strategie, deliriert das LfV, versuche die IL Hamburg die Klimaproteste der Schüler zu instrumentalisieren. Als ein Beleg wird ein Vorfall vom 15. März erwähnt. Da hätten „von der IL beeinflusste Organisationen“ versucht, sich mit einer Zubringerdemo an die Schülerproteste „anzuhängen“ und hätten sich „eine eindeutige Absage“ eingehandelt. Tatsächlich hatte es damals im Anschluss an die FFF-Demo eine zweite Demo (Motto: „Klima-Revolution ins Rollen bringen“) gegeben, von der sich FFF Hamburg bedauerlicherweise auf Facebook distanzierte. Schwamm drüber.
Das mit der „Entgrenzung“ ist ganz offenbar eine fixe Idee von Torsten Voß, dem Chef des Hamburg Verfassungsschutzes. Jedenfalls legt das ein langes Porträt im Hamburger Abendblatt nahe, eine peinliche Lobhudelei, die interessanterweise kurz nach dem Vorstoß der Schlapphüte auf ihrer eigenen Homepage erschien. Voß wird in dem Beitrag als „bundesweit anerkannt, sehr gut vernetzt, loyal seinem Dienstherrn gegenüber“ bejubelt. Der gelernte Polizist sei „Geheimfavorit“ für das Amt des Chefs des Bundesamtes nach dem Rücktritt von Hans-Georg Maaßen gewesen.
Nach unerträglichem Geschwafel über die Karriere des Herrn Voß und den schweren Dienst seiner rund 200 Angestellten im LfV, kommt der Text am Ende zum Kern der Botschaft. „Die aktuell größte Bedrohung für die freiheitliche Demokratie ist die ,Entgrenzung‘“, wird Voß da zitiert. Der Begriff sei „eines seiner Lieblingswörter“. Er spreche davon, „wenn sich die Grenzen zwischen berechtigtem politischen Protest und Gewalt vermengen, wenn Extremisten mehrheitsfähige Themen besetzen und missbrauchen“. Natürlich wird auch das Beispiel der Hamburger IL noch mal herangezogen, die versuche sich bei FFF „anzudocken“.
Dieses Gerede von der „Entgrenzung“ und der Gefährlichkeit „linksextremistischer“ Gruppen ist schon deshalb grotesk, weil es von einem hochrangiger Funktionär ausgerechnet der Organisation kommt, die so freiheitlich-demokratische Nachbarschaftsvereine wie den NSU gesponsert hat. Der Vorstoß des Herrn Voß belegt vor allem eines: Die Herrschenden haben Fracksausen, dass immer mehr junge Leute auf die Idee kommen, dass Ökologie und Kapitalismus ungefähr so gut zusammen gehen wie Verfassungsschutz und Demokratie. Dass der Kapitalismus die historisch einzige Wirtschaftsform ist, die es tatsächlich geschafft hat, unseren Planeten an den Rande einer Klimakatastrophe zu führen.
Linke Organisationen „vereinnahmen“ also nicht etwa die Klimaproteste, da das Thema ja ein originär linkes ist. Wenn die Klimaproteste eine antikapitalistische Richtung einschlagen, ist das nur folgerichtig und konsequent. Und schließlich hier noch ein Denkanstoß für CDU-Mitglied Voß und Konsorten: Was ist Politik bitteschön denn anderes, als immer wieder zu versuchen, Themen zu besetzen und Menschen für die eigene Überzeugung zu gewinnen?
Titelbild: RubyImages/B. Niehaus