Mehr als 4,4 Millionen Kinder in Deutschland wachsen in Armut auf, 14 Millionen Menschen sind armutsgefährdet – viele darunter trotz Vollzeitarbeit. Hunderttausende können ihre Mieten in den Metropolen nicht mehr bezahlen; und diejenigen, die noch über dem Minimum leben, verdienen sich ihren Lebensunterhalt oft im Schweiße ihres Angesichts und weit entfernt von den Träumen, die sie sich vielleicht irgendwann einmal für ihre Zukunft ausgemalt hatten. So sieht die Realität in einem der reichsten Länder der Erde aus. Jenseits der Zonen relativen Wohlstands hat der Kapitalismus die Welt längst in eine Mad-Max-Kulisse verwandelt, in der Krieg, Ressourcenmangel und Hunger jedes Jahr Millionen Menschenleben auslöschen.
Das ist die Welt, in der wir leben. Wir da unten. Dann gibt es da aber noch eine andere Welt. In dieser anderen Welt leben Leute wie Verena Bahlsen.
Bahlsen ist 25 und stinkreich. Von Beruf ist sie Tochter. In der Debatte um Kevin Kühnerts Versuch, die Sozialdemokratie wiederzubeleben, sprach sie kürzlich als Gegenpart des Jung-SPDlers irgendwelches für sich genommen belangloses Zeug. „Ich bin Kapitalistin“, sagt sie da. Und: „Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, das ist toll. Ich will mir ’ne Segel-Yacht kaufen und solche Sachen“, sagt die Tochter ihres Vaters.
Das ist trivial. Aber es ist wichtig, dass Leute wie Bahlsen überhaupt in der Öffentlichkeit auftauchen. Denn ganz oben ist man kamera- und interviewscheu.
Verirren sich die Töchter und Söhne der wirklich kriminellen Clans dann doch einmal in die Lifestyle-Seiten der Boulevard-Blätter oder werden von neoliberalen Wirtschaftsjournalisten porträtiert, ist der Tenor meistens: Guckt mal, was die alles haben. So viel Bling-Bling und Boote und Autos und schau, der hat nen Hummer auf dem Teller. Die Reichen sind Vorbilder. Eifert ihnen nach, aber Gottseibeiuns, nehmt ihnen nichts weg! Denn das ist dann eine Neiddebatte, mahnen die selben Schmutzmagazine, die noch jedem Geflüchteten ohne Pass die Nike-Schuhe madig machten.
Der vernünftige Kern jeder Neiddebatte aber ist die Frage: Warum sind wenige so unfassbar reich und so viele so arm? Wir müssen darüber reden, woher denn eigentlich der Reichtum dieser Leute kommt. Wer produziert was und wo? Und wer verdient wie daran?
Und wenn wir dann schon dabei sind, können wir auch über die deutsche Besonderheit in der Kapitalistenklasse reden: Viele der wohlhabendsten Ausbeuter kommen bis heute aus alten kapitalistischen Familienclans, die irgendwann im ausgehenden 19. oder beginnenden 20. Jahrhundert Kapital angehäuft und es zwei Weltkriege hindurch vermehrt haben. Auch Bahlsen teilt diese Geschichte: Segel-Verenas Vorfahren ließen während des Hitler-Faschismus Zwangsarbeiter für sich schuften.