Hungern gegen Isolation

14. April 2019

Am Freitag den 12. April 2019 begannen sechs Internationalist*innen in Berlin einen dreitägigen Solidaritätshungerstreik mit der kurdischen HDP-Politikerin Leyla Güven, welche sich seit letztem Jahr im Hungerstreik befindet.

Es ist kalt, es schneit und es ist mitten im April 2019. Auf dem Kreuzberger Heinrichplatz, mitten in SO36, wird ein Zelt aufgebaut. In diesem begann am Freitag den 12. April der dreitägige Hungerstreik von Internationalist*innen in Solidarität mit dem Massenhungerstreik politischer Gefangenen in der Türkei. Sechs Aktivist*innen, alle organisiert im Berliner Widerstandskomitee – einem Zusammenschluss linker und revolutionärer Gruppen – nehmen Teil.

Vivien: „Tod dem Faschismus“

„Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass über 7000 Gefangene in den türkischen Folterknästen in einem unbefristeten Hungerstreik befinden und sich weltweit auch Menschen aus den verschiedensten Ländern diesen Forderungen angeschlossen haben“, erklärt Anna, eine der Teilnehmer*innen der Aktion. „Darüber wird aber kaum berichtet. Es ist ein Ziel von uns, dieses Schweigen zu brechen. Aber es geht auch vor allem darum, den Freunden und Freundinnen im Hungerstreik zu zeigen, dass wir bei ihnen sind. Zu zeigen, es ist unser gemeinsamer Kampf. Unser Kampf, in welchem wir zusammen die notwendigen Schritte gehen werden.“

Der Ausgangspunkt der Bewegung liegt im November 2018. Da begann die damals inhaftierte HDP-Politikerin Leyla Güven einen unbefristeten Hungerstreik. Ihrem Beispiel schlossen sich in den türkischen Gefängnissen über 7000 politische Gefangene an. Um sich der eigenen Verantwortung zu entziehen, vor allem aber um Schadensbegrenzung zu betreiben und einem möglichen Volksaufstand (Serhildan) entgegenzuwirken, entließ der türkische Staat im Januar 2019 Güven aus der Haft. Seitdem setzt sie ihren Hungerstreik in ihrer Wohnung in Amed fort.

Die zentrale Forderung der Hungerstreikenden ist die Aufhebung der Isolationshaft des Mitbegründers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalan. Öcalan befindet sich seit seiner Entführung im Rahmen einer international koordinierten Geheimdienstoperation 1999 in Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali.

Hauptforderung: Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan

Klara: „Die Revolution in Rojava ist auch meine Revolution.“

„Abdullah Öcalan ist der anerkannte Repräsentant eines großen Teils des kurdischen Volkes“, sagt Hannes, einer der Internationalist*innen im Hungerstreik. „Damit nimmt er eine Schlüsselrolle für einen dauerhaften Frieden und eine demokratische Lösung in der Türkei, in Kurdistan und dem gesamten mittleren Osten ein. Seine Gefängnisschriften und seine Philosophie inspirieren Millionen Menschen weltweit. Der demokratische Konföderalismus bietet eine tatsächliche Lösung für das aktuelle Chaos im mittleren Osten.“ Die Forderung der Aufhebung der Isolation und die damit einhergehende Ermöglichung von politischem Dialog und Zugang zur Öffentlichkeit seien daher nur folgerichtig und müssen als Minimalforderung verstanden werden.

Kollektive Hungerstreiks waren in der deutschen Linken nach denen von RAF und „Bewegung 2. Juni“ keine in Deutschland übliche Aktionsform mehr. Dies liegt sicherlich einerseits daran, das es aktuell keine besonders große Anzahl an inhaftierten Revolutionär*innen in der BRD gibt, andererseits aber auch an einer falschen Distanz zur eigen Geschichte und Tradition. „Hungerstreiks, auch im Knast, waren ja auch in Deutschland in den 1970er Jahren weit verbreitet. Mir ist es wichtig, diese als historische Widerstände und auch als Teil meiner eigenen Geschichte zu begreifen. Sie sind die Fortsetzung von tausenden Jahren Widerstand der weltweit geleistet wurde“,erklärt Hannes. Anna ergänzt: „Wir haben uns ja zunächst für einen befristeten Hungerstreik entschieden. Für mich ist es wichtig, Widerstand auch zu fühlen, in diesem Fall am eigenen Körper. Es geht mir darum, auch zu akzeptieren, dass diese Form des Widerstands von der kurdischen Freiheitsbewegung ausgewählt wurde und mit unserem Hungerstreik zu zeigen, dass wir gemeinsam mit ihnen kämpfen.“

Verbotspolitik gescheitert

Hannes: „Widerstand heißt Leben.“

Im Vorfeld des Hungerstreiks gab es bereits diverse Versuche seitens der Berliner Versammlungsbehörden den Hungerstreik zu verunmöglichen. Decken, Stühle, Tische, Pavillons, Lautsprecherboxen etc. wurden den Aktivist*innen zuerst untersagt, da diese „nicht zur Meinungsäußerung notwendig“ seien, so die Berliner Versammlungsbehörden.

Letztlich konnten dann doch einige der notwendigsten, im Beamtendeutsch „Aufbauten“ genannten Dinge durchgesetzt werden. Fahnen der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ, welche vor wenigen Tagen ihren Sieg über den „Islamischen Staat“ feiern konnten, verbot die Polizei dann doch unter Verweis auf ihre scheinbare PKK-Nähe. „Meiner Interpretation nach“, erklärte der Einsatzleiter vor Ort, „sind das alles verbotene Flaggen“. Für die Aktivist*innen des Berliner Widerstandskomitees reiht sich diese Praxis ein in die generelle Linie deutscher Politik: „Es gibt eine jahrhundertelange Geschichte und Tradition der Kooperation des deutschen und des türkischen Staates. Dabei standen stets militärische und ökonomische Ziele im Vordergrund“, erklärt Anna. Um dieses Verhältnis aufrechtzuerhalten und die Türkei als Partner nicht zu verlieren, gehe der deutsche Staat auch hier mit vorauseilendem Gehorsam gegen kurdische, türkische und deutsche linke Kräfte vor, so die Internationalistin. „Dies äußert sich in Symbolverboten, der Verurteilung von Aktivist*innen, der Zensur von Büchern und Musik oder direkt dem Verbot von Betrieben wie beispielsweise kürzlich der Mezopotamien-Verlag“, stellt Anna fest.

„Der deutsche Staat, der sich stets mit seiner angeblichen Presse- und Meinungsfreiheit brüstet, demaskiert sich an dieser Stelle wiedereinmal selbst“, fügt Hannes hinzu. „Der Staat hat Angst, dass sich die Revolution in Rojava und die Ideen von Öcalan, verbreiten. Daher versucht er jede Zusammenarbeit, jeden Kontakt zwischen kurdischen und deutschen Aktivist*innen zu unterbinden und zu kriminalisieren. Unsere Aktion hier zeigt aber erneut, dass die Behörden mit dieser Strategie keinen Erfolg haben werden.“

Anna: „Solidarität muss praktisch werden.“

Der Hungerstreik der Aktivist*innen reiht sich ein in einen sich immer stärker entwickelnden, neuen Internationalismus. So sind gleichzeitig Menschen etwa in Göteborg, Straßburg, Genf, England, Australien, Italien und Deutschland im Hungerstreik.Für Hannes ein Zeichen für das Entstehen einer weltweiten Vernetzung der Bewegungen. „Wir können keine losgelösten Kämpfe in Deutschland führen, sondern nur in Verbindung mit revolutionären und gesellschaftlichen Kräften weltweit“, meint er.

Solidarität aus dem Kiez

Während Redebeiträge verlesen werden, Musik gespielt wird und kleine Kinder Seifenblasen pusten, verteilen einige Aktivist*innen Informationsflyer oder kommen mit Interessierten an der aufgebauten Infowand ins Gespräch. „Der Großteil der Reaktionen war wirklich positiv. Viele waren geschockt, dass so viele Menschen sich gerade im Hungerstreik befinden, und sie aus den deutschen Medien darüber nichts mitbekommen haben. Zumal viele den demokratischen Ideen der HDP sehr offen und positiv gegenüberstehen“, erklärt Anna.

Alex: „Aus dem vereinten Wollen entsteht die Tat.“

Während wir sprechen, kommt ein Mann vorbei und übergibt den Aktivist*innen drei Regenschirme. Gegen „das scheußliche Wetter, da sie diese bestimmt gebrauchen könnten“. Auch bezogen auf die Forderungen der Hungerstreikenden gibt es bei den Passant*innen eine große Zustimmung. „Am Rande gab es natürlich auch einige Provokationen von türkischen Nationalisten, aber tatsächlich überwog in den letzten beiden Tagen die positive Resonanz der Menschen“, beschreibt Anna ihre Eindrücke.

Widerstand heißt Organisierung

Sara: „Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit“

Mit dem Widerstand von Kobane im Jahr 2014 hatte eine Welle der Solidarität mit der kurdischen Bewegung begonnen. Unterstützungskomitees und Soli-Gruppen bildeten sich, aber eine dauerhafte Organisierung wurde nur aus den wenigsten. Für Anna und Hannes ist genau dies ein wichtiger Punkt: „Für mich ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich den Slogan ‚Solidarität muss praktisch werden‘ endlich Praxis werden lassen will“, sagt Anna. „Einerseits im Rahmen von Aktionen wie unserem Hungerstreik. Andererseits aber vor allem im Aufbau von revolutionären Strukturen, gemeinsamer Auseinandersetzung und Zusammenarbeit. Das ist die große Verantwortung die wir tragen müssen“, fasst Anna ihren Aufruf an die revolutionären Gruppen in Deutschland zusammen.

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