Frauen erobern bundesweit die Straßen

15. März 2019

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Gastbeitrag


Der Internationale Frauenstreik hat durch monatelange massive Mobilisierung auch in Deutschland tausende Menschen auf die Straßen gebracht. Unsere Autorinnen bieten einen Überblick über die Aktionen am vergangenen Freitag, sowie eine politische Einordnung und zeigen auf, welche Zielsetzungen erreicht wurden.

Es war die größte Mobilisierung zum Frauenkampftag seit Jahrzehnten und in Deutschland der erste Frauenstreik seit 25 Jahren. Tausende Frauen haben gestreikt, teilweise symbolisch und kurz, aber einige konnten auch den ganzen Tag ihre Arbeit niederlegen und sich vollkommen der Politik widmen. Allein in Berlin waren mindestens 25.000 Menschen am 8. März auf der Straße. In Hamburg waren es mindestens 10.000, in Leipzig über 4.000, in Frankfurt am Main mindestens 3.500, in Köln 3.000, in München 2.500, sowie 2.000 in Freiburg und Kiel.

Das alles war Ergebnis einer in den letzten Monaten entstandenen neuen Dynamik der Mobilisierung und Vernetzung. In über 30 Städten gründeten sich Frauenstreik-Komitees und Netzwerke. Es wurden diverse Flyer, Sticker, T-Shirts, Taschen, Halstücher, Plakate und Profilbilder (auch für Dating Apps) entworfen und durch Plakatieren, Verteilen an öffentlichen Orten, Brief-Aktionen und Haus-Zu-Haus Mobilisierung direkter Kontakt mit Menschen auf der Straße und in den Sozialen Medien gesucht. Diverse Mobilisierungsvideos entstanden in den unterschiedlichen Städten, welche die verschiedenen Facetten der Ausbeutung und Unterdrückung aufzeigen. Aber auch internationalistische Solidaritätsvideos entstanden und zeigten den internationalen Kampf um Rechte und für ein freies Leben auf.

Streik in der Schule, Streik in der Hotellerie, Streik gegen Kopftuch-Verbote

Bundesweit riefen die Frauenstreik Komitees und Netzwerke zu einer „5 vor 12“-Sitzstreik-Aktion auf. Hierbei sollten Frauen ihre Arbeit niederlegen und sich vor ihre Arbeits- und Lernorte, vor ihre Wohnhäuser und Arbeitsämter setzen und streiken. An den Stuhllehnen wurden Plakate befestigt mit der Aufschrift „Ich streike am 8. März“ oder „Ich streike am 8. März, weil …“

Vor dem größten Krankenhaus Berlins, der Charité, versammelten sich gewappnet mit Stühlen und trotz trübem Himmel, starkem Wind und strömendem Regen, 340 Menschen am Robert-Koch-Platz. Auf den Plakaten an den Stühlen waren zahlreiche Forderungen zu lesen, unter anderem „Ich streike, weil ich keinen Rassismus will!“ Sie setzten sich dort hin, um ihre Solidarität mit den Kämpfen der Beschäftigten der Charité auszudrücken. An der Kundgebung nahmen Beschäftigte des Wombat’s City Hostels, aber auch streikende Schülerinnen der Fridays-forFuture-Bewegung teil und erklärten warum auch sie an diesem 8. März streikten.
Eine Kollegin vom Wombat’s City Hostel berichtete von den union busting Methoden der Unternehmensführung, sowie über die systematische Zermürbung des Betriebsrates. Seit über drei Jahren befinden sich die Kolleginnen im Arbeitskampf. Durch sexistische Graffitis vor dem Hostel soll vor allem die kämpferische weibliche Belegschaft eingeschüchtert werden. Die Kollegin rief zur Unterstützung des Kampfes der Beschäftigten des Wombat’s Hostel auf, welche sich durch alle Betriebssektoren organisiert haben und für einen einheitlichen Tarifvertrag kämpfen, der sich an den Flächentarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes anschließt. Eine Gruppe muslimischer Frauen vereidigte mit einer Rede ihr Recht auf Verschleierung und schloss sich den feministischen Forderungen der Bewegung an.

Streik in der Pflege, Streik in den Sozialberufen

Mit Streiks sind in den letzten Jahren und Monaten auch vermehrt Arbeiterinnen aus dem Pflegesektor in den Arbeitskampf getreten und haben auf ihre miserablen Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht. Die langanhaltenden Kämpfe der outgesourcten Tochtergesellschaft CPPZ der Charité und die Kämpfe der Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen sind Kämpfe, die zum großen Teil von Frauen angeführt werden. Auch eine Kollegin der CPPZ sprach in Berlin bei der Kundgebung unter großem Applaus. In all diesen Berufen wird mehr Personal, eine menschenwürdige Absicherung im Alter sowie eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich gefordert.

In München organisierten die Arbeiterinnen der internationalistischen sozialistischen Frauengruppe „Brot und Rosen“ gemeinsam mit den ver.di-Frauen und dem Frauenstreik-Komitee einen Infostand vor dem städtischen Klinikum Harlaching. Mit einem Banner „Pflegestreik ist Frauenstreik“ machten sie auf den Frauenstreik aufmerksam. Sie setzten sich um fünf vor zwölf auf Stühle und hielten Schilder mit „Ich streike für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege“ oder „Ich streike, weil Freiheit bedeutet, ohne Angst leben zu können“ hoch. Lisa Sternberg, eine Initiatorin des Infostands, beklagte, dass „Berufe, die fast nur von Frauen ausgeübt werden, am letzten Platz der Gewerkschaftstagesordnung sind. Nur etwa ein Drittel der Mitglieder in den DGB-Gewerkschaften sind Frauen.“

In einer weiteren Streikaktion in München unter dem Motto „Frauenstreik ist Erziehungsstreik“ setzten Erzieherinnen Streikaktionen in ihrem Betrieb, dessen Namen nicht in der Presse stehen soll, um. In Form eines Aktionsnachmittags fanden unterschiedliche Bildungsangebote für Kinder zwischen ein bis sechs Jahren und auch für deren Eltern statt, die sich rund um die Themen des Frauenstreiks bewegten. „Beispielsweise bot eine Kollegin Experimente mit Waagen an, in Bezug auf die Lohnungerechtigkeit. Für die Eltern waren neben unserem Streikaufruf auch Statistiken und Grafiken geboten, die diese Missstände ganz klar deutlich machten.“ Besonders beliebt und gut besucht war ein Kasperletheater, welches die Geschichte des Bilderbuches „Die Prinzessin in der Tüte“ aufgriff. Eine Geschichte, in der die Prinzessin den Prinzen vor einem Drachen rettet und diesen am Ende, aufgrund seines Verhaltens, NICHT heiratet. Eine der zentralen Fragen an diesem Tag war: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der mein Kind aufwächst?

Der Frauenstreik ist jung, dynamisch, kreativ und internationalistisch

Nach den Sitzstreikaktionen gab es in ganz Deutschland Demonstrationen. Mit Töpfen, Kochlöffeln, Spülhandschuhe und zahlreichen Transpis mit kämpferischen Aufschriften wie „Küche, Herd, Vaterland. Unsere Antwort: Widerstand“ zogen Frauen gemeinsam durch Berlin. Auch Kinder mit selbstgebastelten Plakaten wie „Kein Mensch ist illegal“, und solidarische, unterstützende Männer nahmen an den Demos teil. In München sowie in Berlin schlossen sich tausende streikende Schülerinnen nach den Fridays-for-Future-Aktionen gegen den Klimawandel den Demos und Kundgebungen zum Frauenkampftag an. In München liefen Frauenstreik-Aktivistinnen auf der Demonstration in einem gemeinsamen Block mit Krankenpflegerinnen, Erzieherinnen, asylsuchenden Frauen und Studentinnen.

Trotz schlechten Wetters und Polizeirepression gehörten die Straßen in Berlin den kämpferischen Sektoren der Arbeiterklasse. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei, anlässlich des Schwingens zahlreicher YPJ-Flaggen während der Demo, zeigten sich Frauen solidarisch und schützten die Flaggenträgerinnen. Ein selbstbewusster Internationalismus konnte somit in direkte Solidarität umschlagen.

Auch die Missachtung der Aufenthalts- und Asylrechte von Asylsuchenden seitens der deutschen Regierung ist ein zentrales Thema der Demonstrationen gewesen. Ein uneingeschränktes Recht auf Bildung, das Recht auf Sicherheit und ein Leben ohne Verfolgung wurde dabei immer wieder thematisiert – nicht zuletzt in den Forderungen des Frauenstreiks. Das Recht auf Arbeit, auf Wohnung und Bewegungsfreiheit wurden genauso gefordert wie ein uneingeschränktes Bleiberecht für alle Menschen in Deutschland.

100 Sekunden – bringen wir das ganze Land zum Stillstand!

Um 17 Uhr schrien Frauen in ganz Deutschland 100 Sekunden; gegen 100 Minuten mehr Arbeit für den gleichen Lohn wie Männer und um all ihre Wut und all ihren Kummer in das Universum hinaus zu lassen. Denn, es sind Frauen, Trans-, Inter- und nicht-binäre Menschen, deren Leben von Zwang und Moral am stärksten bestimmt sind. Sie sind es, die besonders unter patriarchaler sexualisierter Gewalt, Geschlechter-Binarität, erzwungener Monogamie, Homo- und Transfeindlichkeit leiden müssen. Es sind Frauen, die von der Illegalisierung und Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und Immigrantinnen betroffen sind. Es sind Frauen, die größtenteils putzen und kochen, Wäsche waschen, Kinder auf- und erziehen, kranke und alte Menschen pflegen, nicht bezahlte Sorge-Arbeit tagtäglich verrichten und dafür noch nicht mal Anerkennung erhalten. Und es waren Frauen, Trans-, Inter- und nicht-binäre Menschen die das ganze Land für 100 Sekunden zum Beben brachten.

Ein qualitativer Sprung

Wir beobachteten dieses Jahr eine qualitative aber auch quantitative Entwicklung der Frauenkampftags-Mobilisierung in Deutschland. Es waren diesmal doppelt so viel Menschen auf der Straße wie letztes Jahr.

Jedoch gab es auch viele Frauen, die an diesem Tag nicht mit auf der Straße sein konnten; weil sie kranke oder alte Angehörige und Kinder pflegen mussten, weil es aufgrund ihres Aufenthaltsstatus zu riskant ist auf Demos mitzulaufen, weil sie als Pflegekraft oder Hebamme ihre Patientinnen nicht vernachlässigen wollten, weil viele Arbeiterinnen wegen ihrer befristeten Arbeitsverträge ohne Aufruf von der Gewerkschaftsführung ihre Lohnarbeit nicht niederlegen konnten. Auf diese Frauen, aber auch auf die tausenden Frauen, die die Festung Europa auf dem Gewissen hat oder die von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet wurden, wurde am 8. März ebenso aufmerksam gemacht.

Viele Frauen konnten unter dem Hashtag #ichstreike8M ihre Art von Streik durch Fotos oder einem einfachen Posting, ihre Wut und ihren Frust in den Sozialen Medien sichtbar machen. Arbeiterinnen des Franziskushauses Berlin posteten: „#ichstreike8M, weil wir für Diversität und Vielfalt einstehen und sich jede Frau in ihrer Weiblichkeit, die sie für sich wählt, ausdrücken und wahrnehmen dürfen sollte! Wir streiken außerdem für mehr Toleranz, Respekt und Achtsamkeit!“ Aus Köln lasen wir: „Ich streike, weil ich den ganzen Tag arbeite (Teilzeitjob, Kinder, Haushalt, Ehrenamt…), aber meine Rente trotzdem nicht reichen wird.“

Den qualitativen Sprung des 8. März im Vergleich zum Vorjahr sehen wir darin, dass Frauen auch in Deutschland den Streik als Kampfmittel gefunden haben. Dies war nur durch die starken Mobilisierungen der letzten Jahre zum Beispiel im spanischen und argentinischen Staat möglich. Erst hierdurch kam die Kraft, auch in Deutschland zum Frauenstreik zu mobilisieren. Der Streik ist ein Mittel, welches seinen Ursprung in der Arbeiterbewegung hat, und zugleich eine außergewöhnliche Möglichkeit darstellt, um Frauen- und Arbeiterinnenkämpfe wieder zusammenzuführen.

Wir sind Lohnabhängige und wir sind Frauen. Wieso sollte diese Realität also in unseren Kämpfen getrennt werden? Patriarchale Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung sind wie Produktion und Reproduktion direkt miteinander verbunden und können nicht getrennt bekämpft werden.

Auch der Kampf gegen Rassismus als Unterdrückungs- und Diskriminierungsform ist unmittelbar mit der Frauenbewegung verbunden. Insbesondere migrantische Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und überausgebeutet. Sie arbeiten überproportional oft in den prekärsten Sektoren, wie Sorge- und Pflegeberufen, wo die Arbeitsbedingungen katastrophal sind und die Bezahlung miserabel. Am härtesten trifft es hierbei asylsuchende Frauen: In Bayern werden sie beispielsweise in ihren Lagern für 80 Cent pro Stunde für Reinigungsarbeiten beschäftigt. Darüber hinaus sind sie von formalen demokratischen Strukturen ausgeschlossen, denn auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht in Deutschland dürfen Millionen von ausländischen, illegalisierten und asylsuchenden Frauen nicht wählen. In Berlin und München, wo wie in anderen Städten migrantische und asylsuchende Frauen in den Streikkomitees tatsächlich beteiligt waren, wurden diese Themen diskutiert und dazu Forderungen formuliert.

Ein voller Erfolg

Der Internationale Frauenkampftag am 8. März, sowie die vorausgegangene immense Mobilisierung waren bundesweit ein Erfolg. Viele, die sich für den Streik engagiert haben, haben sich untereinander kennengelernt und die Vereinzelung überwunden. Unsere Mobilisierungen haben es geschafft, junge Frauen auf die Straße zu bringen und sie zu politisieren. Dabei wurde außerdem die Tatsache, dass die meisten von uns Arbeiterinnen sind, und als Arbeiterinnen kämpfen können, endlich wieder in unser Gedächtnis gerufen. Es wurden darüber hinaus die notwendigen ersten Schritte unternommen, um Beschäftigte an ihren Arbeitsplätzen mit Fragen der patriarchalen Unterdrückung und dem Kampf dagegen in Berührung zu bringen. Auf diese Erfolge können wir aufbauen, wenn wir gemeinsam für ein besseres Leben für alle kämpfen, statt uns mit besseren Möglichkeiten für ein paar wenige Frauen auf dem Rücken anderer zufrieden zu geben.

Allerdings gibt es noch viel zu tun. Um das Land und die Welt nach unseren Forderungen zu verbessern, müssen die Gewerkschaften am Frauenkampftag zum politischen Streik aufrufen. Daher besteht die Aufgabe der proletarischen, antirassistischen, internationalistischen Feministinnen darin, in Betrieben, bei der Arbeit, in Schulen, Unis, Nachbarschaften und Asylsuchenden-Lagern Frauenstreikkomitees zu gründen, uns zu vernetzen und zu organisieren, um die Gewerkschaftsbürokratie mit der massiven Mobilisierung an der Basis unter Druck zu setzen. Wir müssen uns dort organisieren, wo wir sind, die Themen und Probleme, die uns das Leben schwer machen, bearbeiten und sie politisieren. So können wir wachsen und eine tatsächliche Massenbewegung von unten aufbauen.

#Narges Nassimi (Frauenstreik Komitee München) und Chandrika Yogarajah (Frauenstreik Komitee Berlin)

#Titelbild RubyImages/M. Golejewski Demonstration am internationalen Frauenkampftag in Berlin

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