Die TV-L Streiks sind vorbei, doch der nächste Streik steht schon vor der Tür. Am 8. März ist Frauenstreik.
Die Unzufriedenheit ist groß. Daran wird auch das Ergebnis der Tarifverhandlungen der Länder für den öffentlichen Dienst kaum etwas ändern. Die Kernforderungen von Verdi für die TV-L Eingruppierten lauteten: 6 Prozent mehr Lohn, jedoch mindestens 200 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten und 100 Euro mehr pro Monat für Auszubildende. Außerdem soll die Pflegeentgelt Tabelle um 300 Euro erhöht werden, was den prekär beschäftigten Pflegern und zahlenmäßig überwiegenden Pflegerinnen in den Krankenhäusern zu Gute gekommen wäre. Das Ergebnis nach mehreren Verhandlungsrunden soll gut klingen, doch ist bei genauerer Betrachtung nüchtern: 8 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 33 Monaten und abgeschwächt in drei Stufen. Das bedeutet rückwirkend zum 1. Januar 2019 eine Erhöhung um 3,2 Prozent (100 Euro), ab 2020 zusätzlich 3,2 Prozent (90 Euro) und ab 2021 1,4 Prozent (50 Euro).
Der neue Tarifvertrag gilt nach diesem Ergebnis drei Jahre und soll weitere Verhandlungen vermeiden. Dabei wäre deutlich mehr drin gewesen. Das Streikjahr 2019 in Berlin hatte traditioneller Weise mit den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst begonnen. Am 13. Februar, dem ersten Warnstreiktag, haben laut GEW 12.000 Beschäftigte an der Demonstration vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor teilgenommen. »Wir können nach zwei Verhandlungen gar nichts mehr ausschließen, weil wir in allen drei Punkten, über die geredet wird, komplett auseinander liegen«, so Verdi-Chef Frank Bsirske am 26. Februar im Morgenmagazin der ZDF. Am gleichen Tag haben 10.000 Erzieher und Erzieherinnen ihren berechtigten Unmut über die prekären Arbeitsverhältnisse und die sture Haltung der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) auf die Straße getragen. Am Mittwoch, dem dritten Warnstreiktag, nahmen 16.000 Beschäftigte an der Demonstration teil.
Verhandlungsführer der TdL, Matthias Kollatz (SPD), sagte in einem Interview im Deutschlandfunk vor dem Beschluss, dass die Forderungen nicht finanzierbar seien, der öffentliche Dienst als »Arbeitgeber« attraktiver sei als angenommen und er Warnstreiks nicht für nötig halte. Als Grund für die Ablehnung der Forderungen wurde immer wieder auf die hohe Verschuldung der Länder hingewiesen. Doch die Beschäftigten, wissen, dass die enorme Steuergeldverschwendung, wie für den Flughafen Berlin Brandenburg, auf ihrem Rücken ausgetragen wird.
Sparprogramme, Stellenabbau und niedrige Löhne haben insbesondere im Pflege- und Erziehungssektor zu katastrophalen Verhältnissen geführt. Einen drastischen Fall stellt die Kita Notenzwerge in Berlin Tempelhof dar. Diese wurde ab März 2019 kurzfristig wegen Personalmangels geschlossen. 113 Kinder haben jetzt keinen Betreuungsplatz mehr. Fehlendes Personal, Überarbeitung und schlechte Bezahlung sind jedoch kein Einzelfall in diesem Berufsfeld, sondern symptomatisch für die hauptsächlich von Frauen ausgeführte Arbeit der Erziehung, Versorgung und Pflege
Die Relevanz des Frauenstreiks
Am 8. März findet am internationalen Frauenkampftag in Deutschland nach 25 Jahren wieder ein Frauenstreik statt. Für den Frauenkampftag 2019 mobilisieren neu gegründete Komitees in über 35 Städten für den Streik. Die Inspiration, dieses Jahr am 8. März zu streiken, kommt dabei von der internationalen Frauenbewegung. In den letzten Jahren haben Frauen bereits in Argentinien, Polen oder dem Spanischen Staat massive Streiks auf die Beine gestellt. Eine der zentralen Gemeinsamkeiten besteht in der Forderung, dass legale, sichere und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche staatlich gewährleistet werden müssen. Daran können auch Frauen in Deutschland anknüpfen, denn Beratung und Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs sind nach wie vor im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und werden somit weiterhin kriminalisiert. SPD und CDU waren nicht einmal dazu bereit, den Paragrafen 219a StGB abzuschaffen, der das Werben für Abtreibungen verbietet, doch in Wirklichkeit den Zugang und das Informationsrecht zu einem Schwangerschaftsabbruch einschränkt. Ärzte und Ärztinnen können aufgrund der öffentlichen Bereitstellung medizinischer Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch weiterhin strafrechtlich verfolgt werden.
Bei dem Frauenstreik am 8. März geht es darum und um mehr. Die grundlegenden Produktions- und Arbeitsverhältnisse von Frauen werden in den Fokus gerückt. Es sind insbesondere die Pflege- und Erziehungsberufe, die am stärksten von den neoliberalen Sparprogrammen der Regierung betroffen sind. Die Einigung im Tarifstreit der Länder ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die meisten Erzieherinnen werden nicht nach öffentlichem Dienst bezahlt, da sie über sogenannte freie Träger beschäftigt sind. Unsichere und schlecht bezahlte Lohnarbeitsverhältnisse können somit auch in Zukunft zu Fällen wie dem der Kita Notenzwerge in Tempelhof führen. Allein in Berlin sind 1000 Erzieher*innenstellen unbesetzt. Dadurch fehlen auch 6000 weitere Kitaplätze. Solange es nicht mehr Personal gibt, bleibt die geringe Lohnerhöhung nach den TV-L Verhandlungen ein Zuckerbrot mit schlechtem Beigeschmack.
Verbindung der Kämpfe
Am 8. März werden Frauen und queere Menschen in ganz Deutschland streiken. Das „Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ wird zusammen mit Beschäftigten der outgesourcten Tochterfirma »Charité Physiotherapie- und Präventionszentrum« (CPPZ), die sich seit drei Wochen nun im durchgehenden Streik befinden, einen Care-Block auf der Frauenkampftags-Demo am 8. März bilden. Josette Seeger, Betriebsrätin bei der CPPZ, sagt dazu: »Wir sind zuvor unerfahren gewesen im Streik. Die Streikerfahrung zeigt, wie wichtig das Vernetzen mit anderen Streikenden ist und wie viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Wir haben einfach keine Lust mehr auf zwei Klassen- oder Geschlechtertrennung. Wir stehen zusammen mit unseren angestellten Kollegen aus der Charité im Arbeitskampf und genauso stehen wir mit dem Frauenkampf Seite an Seite um der Gesellschaft zu zeigen, wir sind alle eins.«
Vor den Demonstrationen, eine beginnt um 14 Uhr am Alexanderplatz und eine um 15 Uhr am Frauengefängnis Lichtenberg, wird es um 11.55 Uhr eine Aktion am Robert-Koch-Platz mit Beschäftigten der Charité geben. Die Streikaktion ist jedoch nicht nur für den Robert-Koch-Platz geplant, sondern dezentral und bundesweit angelegt. Frauen und solidarische Männer werden aufgefordert, sich um 5 vor 12 mit einem Stuhl und einem Plakat, das ihre Streikgründe nennt, in den öffentlichen Raum zu setzten. Damit können kämpferische Mittagspausen eingeleitet werden. Einer der Gründe dieser Aktion ist die rechtliche Sicherheit, die mit einer kämpferischen Mittagspause einhergeht. Die Gewerkschaftsführungen haben sich geweigert, ihre Mitglieder formell für den Frauenstreik am 8. März aufzurufen und einen legalen Rahmen für den Streik zu schaffen. Deshalb greifen die Frauen auf verschiedene und kreative Streikaktionen zurück.
Unterstützung kommt auch von Beschäftigten der BVG. Aimo Tügel, der sich in der Basisgewerkschaftsgruppe »ver.di aktiv« engagiert und U-Bahnfahrer ist, hatte am 15. Februar bei der BVG Streik Kundgebung ein Schild mit »Beruf und Familie? Streik am 8. März!« dabei. Außerdem forderte er in einem Video von ver.di aktiv auf Facebook, dass Verdi nicht nur zum Frauenstreik aufrufen, sondern die BVG am 8. März auch einen weiteren Warnstreiktag bekommt. Die Basisgewerkschaftsgruppe appellierte in ihrem letzten Flugblatt vom 3. März an die Gewerkschaftsmitglieder, den Abschluss der TV-L Verhandlungen bei der Mitgliederbefragung abzulehnen: »Das Ergebnis Eurer Tarifverhandlungen liegt jetzt auf dem Tisch. Entspricht das Euren Forderungen? Diese sind mit dem Abschluss überhaupt nicht erfüllt. Dafür wurde nicht mit vielen Zehntausenden gestreikt. Lasst Euch nicht damit abspeisen.«
#Sophie Obinger