Öffentlichkeitsscheu und gewaltbereit

27. Dezember 2018

Hamburger Aktivist*innen wollen mit ihrem Projekt „copwatch“ Polizeigewalt dokumentieren – und verhindern. Doch die Behörde will durch Klagen verhindern, dass man ihr auf die Finger schaut.

Die Luft wird dünner. Wer sich heute noch entschieden gegen den Umbau des Landes in einen Polizei- und Überwachungsstaat stellt, steht mit einem Bein im Knast. Spätestens der G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 sollte das jedem klar gemacht hat. Wer gegen das Treffen der Herrschenden aufmuckte, wurde brutal zusammengeschlagen oder landete in den winzigen fensterlosen Zellen der Gefangenensammelstelle an der Peripherie.

Seitdem ist es nicht besser geworden. Das linke Portal linksunten.indymedia.org wurde verboten, dasselbe wird derzeit bei der Roten Hilfe versucht. In den Bundesländern sind neue Polizeigesetze entweder schon durchgesetzt oder geplant, die der Behörde kaum noch zu kontrollierende Durchgriffsmöglichkeiten verleihen. Umso wichtiger ist eine Bewegung, die hierzulande noch relativ jung ist, aber hoffentlich weiter wachsen wird: Copwatch.

Aktivist*innen von Copwatch-Gruppen drehen den Spieß um. Sie beobachten, filmen und fotografieren polizeiliches Handeln, machen Übergriffe öffentlich, etwa in sozialen Netzwerken online. Derartige Aktivitäten bleiben den Repressionsbehörden natürlich nicht verborgen, und dort verfährt man nach dem alten Motto: Wehret den Anfängen!

Vor einigen Wochen hat ein Hamburger Polizist, der bei einer Aktion der Gruppe Copwatch Hamburg aufgenommen wurde, die Aktivistin S. vor Gericht gezerrt. Der erste Verhandlungstag fand Mitte Oktober vor einer Richterin des Amtsgerichts Hamburg statt, das Verfahren soll im Januar fortgesetzt werden. So unscheinbar der Prozess auf den ersten Blick ist, es geht dabei um grundsätzliche Fragen, die vor allem für Linke von erheblicher Bedeutung sind.

Beobachten und dokumentieren

Ein paar Worte zur Geschichte von Copwatch: Die Bewegung hatte ihre Geburtsstunde im Jahr 1990 im kalifornischen Berkeley, wie bei Wikipedia nachzulesen ist. Damals ging es um Obdachlose. Die Aktivistin Andrea Pritchett wollte es nicht hinnehmen, dass sich Polizist*innen im Verborgenen an den Menschen vergreifen, die in westlichen Gesellschaften am wenigsten Schutz genießen. Sie und ihre Mitstreiter*innen begannen, unrechtmäßiges Verhalten gegenüber Obdachlosen zu dokumentieren.

Vor allem die zunehmende Polizeigewalt gegen Schwarze und Braune Menschen, wie die Tötung von Eric Garner in New York im Juli 2014, sorgte dafür, dass aus der lokalen Initiative eine nationale Bewegung wurde. Die massenhafte Verbreitung von Smartphones gab den Menschen ein Instrument an die Hand, um polizeiliche Übergriffe festzuhalten und sofort öffentlich zu machen. Mittlerweile gibt es auch in der Bundesrepublik erste Copwatch-Gruppen, so in Frankfurt am Main und Hamburg.

Die Gruppe in Hamburg hat sich auf St. Pauli aus Anwohner*innen gebildet, in einem Stadtteil also, in dem der rassistische Charakter polizeilicher Maßnahmen besonders offen zu Tage tritt und zugleich der Widerstand von links am stärksten ist. Seit April 2016 jagt die „Taskforce Drogen“ afrikanische Kleindealer*innen oder solche, die sie dafür hält durchs Viertel. Schwerpunkt der Aktivitäten sind die Hafenstraße, die Bernhard-Nocht-Straße und die Balduintreppe, die die Straßen verbindet. Schwarze werden hier anlasslos kontrolliert und festgehalten. Eine Praxis, die als „Racial Profiling“ bekannt ist.

Die Polizeitruppe ist nicht gerade zimperlich, immer wieder kommt es zu Übergriffen. Im Interview mit junge Welt im August berichtete ein Vertreter von Copwatch Hamburg von einem dieser Vorfälle Mitte Juli. Beamte der Taskforce wollten einen als Dealer verdächtigten Schwarzen bei einer Kontrolle, die angeblich der Eindämmung des Drogenhandels an der Balduintreppe dienen sollte, festnehmen und schlugen auf alle ein, die ihm zur Hilfe kamen. „Dabei wurde auch Pfefferspray eingesetzt“, erklärte der interviewte Aktivist: „Eine 16jährige wurde von Einsatzkräften so heftig gewürgt, dass sie keine Luft mehr bekam. Dann wurde sie festgenommen.“

Fast täglich würden Menschen verhaftet, vor allem als Dealer verdächtigte Schwarze. Auf sie warte in der Regel mindestens eine Nacht im Knast – auf manche mehrere Monate Vollzug mit anschließender Abschiebehaft. Dabei sei allen, die im Partyviertel St. Pauli leben, klar, dass seit mehr als 30 Jahren an der Balduintreppe gedealt werde. Es gehe also nicht um Drogen, sondern um die Menschen, die sie möglicherweise verkaufen. Und darum, eine bestimmte Personengruppe aus dem Straßenbild zu entfernen.

Ein Teil der Anwohner*innen lässt sich leider in den Feldzug der Stadt einspannen und entschuldigt die Razzien mit dem Hinweis, es müsse etwas gegen das ausufernde Dealen getan werden. Andere, vor allem das Wohnprojekt „Plan B“, stellen sich klar auf die Seite der von Repression Betroffenen. Die gern satirisch geprägten Aktionen von Copwatch Hamburg sind ein Teil dieses Engagements.

Im Verfahren vor dem Amtsgericht Hamburg geht es nun um eine Aktion, die Beamte der Taskforce mit selbstgebastelten Papp-Pferden persiflierte. Die Darbietung wurde dokumentiert, Bilder beim Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlicht. Die Polizei fand das nicht witzig, einer der abgebildeten Beamten zeigte die Aktivistin S. an, deren Personalien während der Aktion festgestellt worden waren.

Vertreten wird die Angeklagte von Lino Peters von der Kanzlei am Fischmarkt. Im Oktober erklärte er, das Verfahren habe grundsätzliche Bedeutung. Es gelte zu klären, ob polizeiliche Maßnahmen von der Öffentlichkeit überhaupt dokumentiert und damit auch kontrolliert werden dürften. Peters berief sich in seinem Vortrag vor Gericht auf die Paragraphen 23 und 33 des Kunsturhebergesetzes, wonach Einsatzkräfte regelmäßig als „Personen der relativen Zeitgeschichte“ zu sehen sind.

„In öffentlicher Berichterstattung ist die kenntliche Abbildung der an Polizeieinsätzen beteiligten Beamten die Regel. Sie kennen das aus der Tagespresse“, sagte Peters. Demgemäß sei selbst dem Standardkommentar zu strafrechtlichen Nebengesetzen des ehemaligen Bundesanwaltes Dr. Kohlhaas zu entnehmen, dass die entsprechende Verwendung von Aufnahmen Polizeibeamter jedenfalls dann straffrei ist, wenn es „um Einsätze geht, die Aufsehen erregen oder pflichtwidrig sind“.

Daran gemessen handele es sich bei den Einsätzen der „Taskforce Drogen“ um zeitgeschichtliche Ereignisse von jedenfalls lokaler Bedeutung. Sie seien „regelmäßig Aufsehen erregend nicht selten rechts- und pflichtenwidrig“ gewesen. Leicht sarkastisch stellte Peters fest: „Dies und damit der zeitgeschichtliche Charakter der Einsätze dürfte gerichtsbekannt sein und ist jedenfalls genauso unbestreitbar, wie, dass derartige Repression an der Hafenstrasse und auf St. Pauli das Interesse der nicht selten kritischen Öffentlichkeit findet.“

Es geht nicht um Drogen

In seinen Beweisanträgen ging Lino Peters über die Erörterung dieses Punktes hinaus und stellte die herrschende Drogenpolitik insgesamt in Frage. Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer habe selbst in einem Interview gegenüber dem NDR eingeräumt, dass es bei der Tätigkeit der Taskforce Drogen gar nicht um die Reduzierung des Handels mit illegalisierten Drogen geht. Seine Worte seien ein Eingeständnis, dass die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ ein Scheinkampf ist, so der Anwalt. Es gehe der Polizei um die Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung und um die Kontrolle und Deutungshoheit über den öffentlichen Raum. Dass die Prohibition systematisch verfehlt und für die Gesellschaft schädlich sei, entspreche der empirischen Erkenntnislage. Peters verwies dazu auf einen Bericht der „Weltkommission für Drogenpolitik“ von 2011 und Thesen des „Schildower Kreises“ von Strafrechtsprofessor*innen. Selbst der Bund Deutscher Kriminalbeamter habe 2018 erklärt: „Die Prohibition von Cannabis ist historisch betrachtet willkürlich erfolgt und bis heute weder intelligent noch zielführend.“

Auch auf das „Racial profiling“ auf St. Pauli ging Peters ein. Er beantragte, ein Sachverständigengutachten einzuholen, „zum Beweis der Tatsache, dass die Personenkontrollen der Polizei Hamburg im Bereich der Hafenstraße regelmäßig aufgrund dunkler Hautfarbe der Betroffenen erfolgen, bei schwarzen Personen dementsprechend 27 mal häufiger stattfinden und im Durchschnitt fünf Mal länger dauern als bei weißen Personen“.

Auch gegen Anwohner*innen werde „rücksichtslos, willkürlich und rechtswidrig“ vorgegangen, so der Anwalt weiter. Er forderte die Beiziehung einer Akte, in der eine „Vielzahl von Polizeieinsätzen“ dokumentiert seien, „bei denen die Bewohner*innen an der Hafenstrasse massiv mit in den privaten Bereich der Lebensführung eingreifenden Maßnahmen überzogen wurden“. So hätten 260 Polizist*innen, darunter mit Maschinenpistolen bewaffnete Spezialkräfte, das „Plan B“ am 18. Juli 2016 gestürmt und durchsucht, ohne dass für die betroffene Wohnung ein Durchsuchungsbeschluss vorgelegen habe.

Schließlich ging Peters vor Gericht noch darauf ein, dass die Aktion von Copwatch von der Kunstfreiheit gedeckt sei. Er erklärte: „Dass mit den „selbstgebastelten Schildern“ und den „selbstgebauten Papppferden“, die zudem „beritten“ wurden, ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung in Form deutlicher Kritik am polizeilichen Handeln kundgetan wurde, entzieht das „aktionistische“ Verhalten, das in der digitalen Verbreitung seine Fortsetzung erfährt, nicht dem Schutzbereich der Kunstfreiheit.“

Das Gegenteil sei der Fall, es handle sich um ein dem „Schutz des Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz unterfallendes Kunstwerk“. Eine Niveaukontrolle sei ausgeschlossen und auf die Form komme es nicht an. Wie das Gericht auf dies alles reagiert, darf mit Spannung erwartet werden.

# Kristian Stemmler

# Bildquelle: https://www.facebook.com/copwatchHH/

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