Internationalist*innen auf dem Weg nach Rojava: Ein Zwischenstopp im Kandilgebirge, wo der Luftkrieg der Türkei gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) tobt.
Anfang Juli sind wir – einige Internationalist*innen aus Deutschland – nach Nordsyrien aufgebrochen. Unsere Reise nach Rojava verzögerte sich allerdings, wie das häufig üblich ist, auf unbestimmte Zeit, da der Grenzübergang aus dem Nordirak schwieriger war als erwartet. Anstatt im Hotel zu versauern und das Leben frustrierter Tourist*innen, zwischen Klimaanlage und Coca-Cola zu fristen, entschieden wir, an einer Aktion der Jugend von Basur (Südkurdistan) in den Kandilbergen teilzunehmen. Seit dem faktischen Einmarsch der Türkei in den Nordirak und der kontinuierliche Bombardierung der grenznahen Gebirgsregionen, die als »Hauptquartier« der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gelten, durch die türkische Luftwaffe ist der Widerstand der Zivilbevölkerung in Basur stärker geworden.
Als wir um 05:30 in den Kandil-Bergen aufwachen überrascht uns die Schönheit der Berge, von denen wir ansonsten bisher nur lesen konnten. Die tiefgrauen Felsformationen, bewachsen von einzeln stehenden Bäumen, manchmal satt und grün, manchmal sandig und karg. Und doch strahlen sie durch und durch Leben aus.
Auf einer Ebene in den Bergen haben sich über 20 Internationalist*innen aus Europa, kurdische Jugendliche und Bewohner*innen zusammengefunden. Es handelt sich um eine „Schutzschild-Aktion“ der Zivilbevölkerung, den Versuch, der türkischen Luftwaffe die Legitimation für Luftschläge zu erschweren.
Kandil ist für den nun erneut „gewählten“ Autokraten aus Ankara Recep Tayip Erdogan ein rotes Tuch. Schon vor der Wahl versprach Erdogan eine rasche „Säuberung Kandils von der PKK“. Dass er dieses Versprechen, schon hundertfach wiederholt, nie einlösen konnte, liegt nicht allein an der militärischen Stärke der HPG-Guerilla, des militärischen Arms der PKK, nicht nur an der Unzugänglichkeit des Kandilgebirges, sondern vor allem an der politischen Symbiose die die PKK und die lokalen Bevölkerung im gemeinsamen Kampf bilden.
An diesem morgen fällt besonders der „große Vogel“ auf. Ein deutlich zu erkennendes weißes Aufklärungsflugzeug der türkischen Luftwaffe zieht langsam seine Runden über die Berge, verschwindet, taucht wieder auf. Sein Ziel ist es, einerseits Stellungen der Guerilla in den Bergen auszumachen, diese Stellungen durchzufunken und anschließend bombardieren zu lassen. Andererseits geht es darum, durch einen kontinuierlichen Bedrohungszustand die Zivilbevölkerung in Kandil zum Wegzug zu zwingen. Und so verwundert es nicht, dass die Luftangriffe nicht nur Stellungen der Guerilla, sondern regelmäßig auch zivile Ziele treffen.
Gegen Mittag hören und spüren wir die erste, dann die zweite Detonation der Bomben, vielleicht drei Kilometer weit entfernt. Der für uns verantwortliche Freund weist uns in seinem liebenswerten Englisch-Kurdisch-Mix an, ihm zu folgen. Eilig gehen wir die Straße entlang, an einem Zaun bleiben wir stehen und kauern uns an die grauen Betonsteine. Wir rutschen zusammen, um uns allen die Angst durch unsere Nähe zu nehmen. Während wir abwarten, ob weitere Angriffe folgen, schaut der Freund nach oben und entdeckt wunderbar aussehende kleine Trauben. Er reißt eine Rebe ab und verteilt sie an uns. Heval Berxwedan, einer unserer Wegbegleiter nach Rojava, schaut mich an und scherzt „Wann bist du schonmal von einem F16-Bomber angegriffen worden und hast dabei solche Früchte gegessen“. Auch wenn die Situation alles andere als erheiternd ist und wir in unseren Gedanken bei den Genoss*innen in den Bergen sind, nimmt der Humor doch ein wenig die Angst vor den Bomben. Nach ca. 30 Minuten ist alles vorbei und wir kehren zu unserem Camp zurück.
Kaum zehn Minuten bleiben uns, da folgt die zweite Angriffswelle, da wir nun wissen wir uns zu verhalten haben, laufen wir erneut schnellen Schrittes die Straße runter und gelangen zum Haus einer im Kandilgebirge wohnenden Familie. Freundlich werden wir hereingebeten und verweilen in dem wunderschönen Garten. Die liebevolle Pflege der diversen Kräuter und Gemüsesorten sieht man dem Garten an. Während wir die Bomber fliegen hören, verflucht die Gastgeberin die türkischen Bomber laufend auf kurdisch.
Nach einigen Minuten sitzen wir gemeinsam im Wohnzimmer der Familie und verspeisen köstliche kleine Gurken, bestrichen mit Salz. Zur Familie gehören auch drei kleine Kinder. Sie schauen ein bisschen verunsichert, wissen nicht wer diese Fremden gerade in ihrem Haus sind. Aber in ihren Augen können wir eine Stärke sehen, die uns berührt. Diese Kinder, die nahezu tagtäglich mit der Angst vor den Bomben leben müssen, sind ein weiterer Grund, der uns kollektiv darin bestärkt auch unseren Platz in der kurdischen Revolution in Rojava einzunehmen.
Die Aktion der Jugend gegen den türkischen Angriffskrieg gegen Kandil dauert weiter an. Unser Weg ging indessen weiter. Am 31. Juli kamen wir in Rojava an.
# # Bernd Machielski ist Mitglied der radikalen linken berlin (rlb) und in den kommenden Monaten Rojava-Korrespondent des Lower Class Magazine