Hubert Maulhofer sprach mit Emily Laquer von der Interventionistischen Linken (IL), die als Teil einer Wahlbeobachtungsdelegation die Wahlen in der Türkei am vergangenen Wochenende kritisch begleitete. Ein Gespräch über Krieg, Repression, Widerstand und Hoffnung in einer Diktatur.
Du warst am vergangenen Wochenende eine von mehreren Teilnehmern und Teilnehmerinnen einer Wahlbeobachtungsdelegation im mehrheitlich kurdischen Südosten der Türkei. Könntest du uns zuerst kurz sagen, wo du genau warst?
Ich war in Amed (Diyarbarkir), im Südosten der Türkei. Am Wahltag sind wir nach Bismil, ein Städtchen knapp 50 Kilometer außerhalb von Amed und in kleinere Dörfer gefahren. Die gewählte, kurdische Stadtverwaltung wurde vom AKP-Regime vor ca. 2 Jahren abgesetzt. Die Dörfer liegen in militärischer Sicherheitszone, sie unterstehen also dem Militär.
Was waren deine konkreten Beobachtungen vor Ort? Wie ist die Wahl abgelaufen?
Wir durften insgesamt nur die Hälfte der von uns aufgesuchten Wahllokale überhaupt betreten. Bei den anderen hat man uns mehr oder weniger aggressiv weggeschickt. In jeder dieser kleinen Schulen waren bis zu zwei Dutzend schwer bewaffnete Polizisten oder Soldaten in Tarnanzügen. In voller Montur und mit Sturmgewehren. Wenn man es gewohnt ist, in Deutschland wählen zu gehen, fällt einem sofort auf, dass das keine Bedingungen für freie und faire Wahlen sind. Uns haben mehrere Menschen vor Ort angesprochen und gesagt, dass sie Angst haben vor der massiven Militärpräsenz.
Du hast es bereits angeschnitten, dass die Situation den Menschen Angst gemacht hat. Was haben euch die Menschen, die ihr getroffen habt, erzählt? Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Unter diesen Umständen wählen zu gehen, ist für mich ein eindrucksvoller rebellischer und widerständiger Akt. Ich war überrascht darüber, wie hoffnungsvoll die Menschen waren. Sie haben uns von ihrem Traum erzählt, am Tag der Wahl in einer freien Türkei ohne Diktatur aufzuwachen. Sonntagnacht standen wir vor dem HDP Büro in Amed, der Wahlparty einer – dort – 80% Partei, die von allen Seiten mit Wasserwerfern umstellt war. Es war wie bei einem WM-Sieg: Tausende Menschen, die singen und Fahnen schwenken, Pyrotechnik zünden und mit ihren hupenden Autokorsos lange Staus in der Millionenstadt produzieren. Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht nur den Einzug der HDP ins Parlament, sondern vor allem ihre Widerständigkeit unter Besatzung und Diktatur feiern. Das hat mich tief beeindruckt.
Gab es konkrete Aufforderungen oder Wünsche an die linken Kräfte in der BRD oder in Europa?
Die Wahldelegation war ja Resultat eines Aufrufs der HDP und es hat ihnen spürbar etwas bedeutet, dass wir gekommen sind. Es gab keine Zeit für längere strategische Verabredungen, weil alle so sehr damit beschäftigt waren, dass ihre Stimmen nicht durch Wahlbetrug geklaut werden. Meines Erachtens sollten linke Kräfte Berührungspunkte zu den in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden suchen. Schon allein, weil sie eine der größten migrantischen Gruppen in Deutschland sind und sie ständig kriminalisiert werden – auch wegen des schmutzigen EU-Türkei-Deals und der strategischen Interessen der BRD in der Türkei. Unsere radikalen Utopien haben unterschiedliche Namen, man muss auch nicht alles teilen oder Öcalan gelesen haben. Aber ich bin mir sich, dass wir mehr gemeinsam haben, als uns trennt. Es würde die Vielfalt der radikalen Linken in Deutschland bereichern, wenn wir uns trotz kultureller Fremdheit beschnuppern und enger zusammenarbeiten. In vielen Städten gibt es auch schon gemeinsame politische Erfahrungen, nicht nur bei den Aktionen gegen den Krieg in Afrin, sondern z.B. auch bei feministischen Bündnissen zum 8. März.
Was glaubst du, wie sich die Wahl auf die Menschen in der Türkei und Kurdistan auswirken wird?
Der Weg in die Dikatur wird sich fortsetzen und der Macht Erdogans als Alleinherrscher steht nach der Wahl kaum noch etwas im Weg. Für Oppositionelle und Minderheiten wird es wohl noch schlimmer werden. Für sie steht eine finstere Zeit an. Der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung wird anhalten und auch Erdogans Expansionspläne und sein Angriffskrieg gegen Rojava wird in eine neue Runde gehen. Aber die unbeugsamen Menschen, die ich dieses Wochenende kennenlernen durfte, zeigen, dass Widerstand auch im Ausnahmezustand möglich ist. Sie werden nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen – das haben sie immer wieder betont. Ihnen, uns allen bleibt ja auch nichts anderes übrig.
Was können wir als außerparlamentarische Linke aus diesen Wahlen lernen? Wieviel Hoffnung kann man eigentlich noch in den Parlamentarismus stecken? Was sind da überhaupt noch Perspektiven?
Das ist eine spannende Frage, über die wir bestimmt lange streiten könnten. Man kennt Euch ja dafür, dass ihr u.a. die Linkspartei in aller Deutlichkeit kritisiert. Ich bin einerseits froh, dass es Die Linke gibt und sie im Parlament sitzt. In vielen Initiativen und Kampagnen ist sie außerdem ein wichtiger Bündnispartner. Aber: Reformen dieses Systems sind nicht genug und nur begrenzt möglich. Es braucht den revolutionären Bruch mit den Verhältnissen. Deshalb bin ich in der IL.
Interessant sind Parteiprojekte dann, wenn sie nicht nur links sind, sondern dissident, wenn sie größer denken, organisieren und radikalisieren. Die HDP hat einen Wahlkampf trotz der Inhaftierung ihres Präsidentschaftskandidaten und tausender Mitglieder geführt, in dem Wahlkampfveranstaltungen immer wieder von Nationalisten angegriffen wurden. Das kann nicht einfach als reformistisch abgetan werden. Aber in der kurdischen Bewegung ist „die Partei“, die HDP, die PKK, die YPG/YPJ, usw. sowieso untrennbar mit der Bewegung verbunden.
Eins will ich noch sagen. Darf ich?
Ja klar.
Die autoritäre Rechtsentwicklung gibt es nicht nur in der Türkei, es gibt sie überall. Die G20-Proteste letztes Jahr waren die ersten Massenproteste, die wir in Deutschland unter den Bedingen des Ausnahmezustands auf die Straße getragen haben. Die Wasserwerfer standen in Hamburg nur ein Wochenende an jeder Ecke, in Amed sind sie Alltag. Aber auch in der BRD gibt es den Trend zur schleichenden Militariserung und Ausserkraftsetzen von Grundrechten wie in Hamburg oder der Verschärfung der Straf- und Polizeigesetze. Das werden mit der AfD im Bundestag und einem Horst als Innenminister auch in absehbarer Zeit unsere Kampfbedingungen sein. Manche deutschen Linken denken, die Repression geht weg, wenn wir uns nicht – oder weniger – bewegen. Ich halte das für eine gefährliche These.
In Bismil habe ich mit einem Imam Mittag gegessen, der Gefallene der PKK beerdigt, obwohl er weiß, dass ihn das jedes Mal ein bis zwei Wochen in den Knast bringt. Er hat mir gesagt: „Wichtig ist nur, dass Du weißt, dass Du das Richtige tust“. Niemand hat gesagt, dass es leicht ist, in einer autoritärer werdenden Welt zu kämpfen. Wir müssen es trotzdem tun.
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