Publikumsschlager Militanz

21. November 2017

Das kürzlich bei Bastei Lübbe erschienene Buch „Mit aller Härte. Wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen“ sorgt für Aufregung. Der Autor Frank Brunner rekonstruiert darin die behördliche „Jagd“ auf die „militante gruppe“ (mg) als „True-crime“-Story. Kaum war das Buch veröffentlicht, gab es schon erste Kritik insbesondere gegenüber dem im „mg“-Verfahren zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilten Oliver Rast, der mit dem Journalisten Brunner eng zusammengearbeitet hat. „Was sich Autor Frank Brunner und der Linksradikale Oliver Rast dabei gedacht haben, bleibt wohl auf ewig deren Geheimnis“, schrieb der anonyme Erst-Rezensent auf Indymedia über die Wahl des „Arzt-Roman-Verlags Bastei Lübbe“. Nun, nichts ist für die Ewigkeit – wir haben uns ganz einfach mit den beiden getroffen und nachgefragt.

 

Wie fühlt es sich an, wenn ein bedeutender Teil der eigenen Biographie in fast jeder Buchhandlung ausliegt?

Oliver Rast: Hier muss ich gleich korrigieren: es handelt sich bei dem Buch von Frank Brunner um keine Einzelbiographie, sondern um ein Buch, das klandestine Militanz, staatliche Verfolgungsmethoden und letztlich auch ein Stück weit Situationen in der Haft beleuchtet. Angereichert ist das ganze um politbiographische Elemente. Ziel von mir was es aber tatsächlich, dass das Buch nicht nur in Szene-Läden zu finden ist, sondern eine breitere Wirkung entfaltet. Insofern kann ich nichts Falsches daran sehen, wenn das Werk nun in Bahnhofsbuchhandlungen ausliegt. Das war durchaus Teil der Zielsetzung.

Erläutere doch gleich etwas genauer deine Motivation, bei diesem Projekt mitzumachen.

Oliver Rast: Ich habe Frank Brunner vor mehr als zehn Jahren kennen gelernt. Er war damals Journalist der Tageszeitung junge Welt und hat in dieser Funktion den Prozess wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der „militanten gruppe“ (mg) besucht. Frank hat damals die ganze Wegstrecke mitgemacht, 63 Verhandlungstage – Hut ab vor dieser Kondition! Damals hat sich bereits ein Vertrauensverhältnis zwischen uns entwickelt, und als Frank die Idee für das Buchprojekt hatte, schien mir das mit ihm am ehesten umsetzbar. Er kannte das Material, hat den Prozess begleitet, die Akten studiert. Letztlich haben wir eine Ebene der Zusammenarbeit gefunden. Das ging nicht immer reibungslos vonstatten. Aber etwas Kontroverse muss bei so einem Projekt, bei dem man ja immerhin einen Teil seiner politischen Biographie preisgibt, auch dabei sein. Ein weiterer Punkt ist, dass ich Interesse daran hatte, sozusagen an einem „publizistischen Erstschlag“ mitzuwirken. Es gab in der „Post-RAF-Phase“ – also in der Zeit zwischen der „Deeskalationserklärung“ der „Rote Armee Fraktion“ 1992 und der offiziellen Auflösung der RAF und auch der der „Revolutionären Zellen“ – mehrere kleine klandestin-militante Organismen. Da wäre die „Antiimperialistische Zelle“ zu nennen, „Klasse gegen Klasse“, „K.O.M.I.T.E.E.“ und letztlich eben auch die „militante gruppe“. Diese haben alle auf ihre Art versucht, linksradikaler Militanz Präsenz zu geben. Diese Geschichte in Buchform zu erzählen fand ich spannend. Ein weiterer Aspekt, der für mich von Interesse ist, betrifft die literarische Form, die Frank gewählt hat. Es hätte mich weniger interessiert, an einem staubtrockenen Fachbuch mitzuwirken, wo das Thema ganz klinisch ideen- und organisationsgeschichtlich abgehandelt wird. Damit die zuvor beschriebene massenkompatible Ausrichtung gelingt, braucht es ein populäres Format, und da ist so eine True-Crime-Story ideal. Die ersten Reaktionen auf das Buch deuten auch darauf hin, dass es tatsächlich gelungen ist, das Thema „klandestine Militanz“ einem breiten Publikum vorzustellen, ohne dass dieses Thema in irgendeiner Form denunziert wird. Und daran ist nichts Schlechtes.

Stichwort „populäres Format“. Ich habe nachgesehen, was während der vergangenen Wochen bei Bastei Lübbe so erschienen ist. Da haben wir etwa „Der Hund. Ein Handbuch“ oder den Roman „Taste of Love – Zart verführt“. In der Tat ein bemerkenswertes Umfeld für ein Buch über ein linksradikales Thema. Wie kam es zur Kooperation mit dem Verlag?

Frank Brunner: Der Verlag veröffentlicht durchaus auch andere Bücher. Mein Freund und Kollege Carsten Stormer, ein Kriegsreporter, hat kürzlich in dem Verlag ein Buch über Syrien geschrieben. Ich habe Lübbe mein Konzept vorgestellt und offenbar fanden die es gut. Die Entscheidung des Verlags fiel auch nicht von heute auf morgen. Sie wollten ein ausführliches Exposé, später ein Probekapitel. Sicher hat auch geholfen dass es bei Lübbe einen Lektor gibt, der mit dem Thema vertraut ist. Bei Lübbe arbeiten eben unterschiedliche Leute. Neben Experten für Hunde und Liebesromane auch politisch belesene Menschen.

Erzähle doch etwas genauer über die Zusammenarbeit mit Bastei Lübbe. Wie stark haben Lektor*innen eingegriffen? Hattet ihr Einfluss auf Gestaltung und Titel?

Autor Frank Brunner (l.) und Oliver Rast bei der Buchvorstellung in Wien Mitte November

Frank Brunner: Inhaltlich gab es keine Einflussnahme. Mein Lektor hatte einige Vorschläge, aber die drehten sich um stilistische Fragen, beispielsweise darum, ob wir einen Prolog voranstellen, die Zeitleiste am Ende war auch seine Idee – letztlich alles sehr hilfreich. Es war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass ich das Thema journalistisch behandle. Ich mache mich weder zum Sprachrohr der „militanten gruppe“, noch zum Vertreter des Staatsschutzes. Ich erzähle eine Geschichte. Möglichst spannend und anschaulich, sauber recherchiert und belegt. Mehr nicht.

Was war die Motivation des Verlags, dieses Projekt umzusetzen?

Frank Brunner: Das müsste man den Verlag fragen. Ich war ehrlich gesagt selbst verwundert, dass der Verlag an diesem Thema interessiert ist. Ein Aspekt dürfte gewesen sein, dass 2017 einige Jahrestage anstanden – 40 Jahre „Deutscher Herbst“ und Todesnacht von Stammheim.

Jetzt habt ihr beide Spannungen zwischen euch beiden angedeutet. Was war da los?

Oliver Rast: Das betraf weniger unsere Zusammenarbeit direkt als das Projekt als solches. Mir war anfangs nicht so klar, dass so viele politbiographische Elemente, Unterthemen und letztlich auch Gefühlslagen und Befindlichkeiten einfließen werden. Da musste ich als Autonomer auch erst mal reflektieren, ob es politisch opportun ist, mich über dieses Buchprojekt stärker zu exponieren, als es in der radikalen Linken üblich ist. Ich begreife mich ja weiterhin als Linksradikaler und nicht im Ansatz als Renegat, sondern als einer, der Ausdrucksmittel sucht, um letztlich klandestine Militanz zu thematisieren – wenn nicht sogar zu legitimieren.

Frank Brunner: Da muss ich widersprechen: Es ging sicher weder Lübbe, noch mir darum linke Militanz zu legitimieren. Als Journalist sollte man sich bekanntlich nicht mit einer Sache gemein machen. Ich halte nichts von Zeigefinger-Journalismus, der dem Leser erklären will, wie er die Welt zu sehen hat. Ich recherchiere, schreibe und dann soll sich der Leser selbst ein Urteil bilden. Unser Konflikt drehte sich unter anderem darum, dass Oliver Rast während der Arbeit an dem Buch aufgrund seines Engagements für die Gefangenengewerkschaft sehr im medialen Fokus stand und ich befürchtete, dass einige Aspekte, die ich im Buch erzählen wollte, bereits vorher in anderen Medien auserzählt wurden. Als Journalist möchte man natürlich immer alles exklusiv haben. Diese Befürchtungen waren letztlich unbegründet. Ansonsten muss man sich vorstellen, dass wir uns wochenlang fast jeden zweiten Tag getroffen haben. Die Interviews mit Oliver Rast füllen zwei Leitz-Ordner. Es ist normal, dass es da irgendwann auch mal kracht.

Oliver Rast: Ja, letztlich haben wir es dann ja überstanden. Ich bin ja keiner, der Fahnenflucht begeht. (lacht)

Wie begegnest du allfälligen „Szene“-Vorwürfen bezüglich Ausverkauf oder Bedenken, dass du da Dinge öffentlich preisgibst?

Die „mg“ ist zwar längst Geschichte, doch in der linksradikalen Folklore weiterhin präsent (Aufkleber bei Riot Bike Records zu €1,50 für 20 Stk. erhältlich)

Oliver Rast: Also zum zweiten Punkt kann ich sagen: da wird nichts preisgegeben, was nicht aktenkundig ist. Das ist das eine. Bezüglich bereits vorgetragener Kritik, dass so etwas in einem linken Verlag stattfinden müsste: Das ist für mich inhaltlich nicht nachvollziehbar. Ich finde es natürlich überhaupt nicht schlecht, wenn solche Themen im Unrast Verlag oder bei Assemblage oder bei Assoziation A veröffentlicht werden. Das passiert ja auch. Erst kürzlich erschien etwa bei Assoziation A die Autobiographie von Lutz Taufer. Aber wenn ich mir das allein von der Breitenwirkung ansehe: In den ersten vierzehn Tagen ist von unserem Buch eine Zahl abgesetzt worden, die linke Verlage in der Regel als Gesamtauflage haben. Das ist natürlich nicht das einzige ausschlaggebende Kriterium, aber für mich ist es ein Versuch. Mir ist es in den vergangenen Jahren gelungen, mit der Gefangenengewerkschaft die soziale Frage hinter Gittern zu einem populären Thema zu machen. Jetzt versuche ich mal, ob es auch möglich ist, das Thema „klandestine Militanz“ populär zu machen. Und das funktioniert nur mit einem Publikumsverlag. Ganz prinzipiell ist für mich aber auch nicht nachvollziehbar, weshalb linksradikale Themen ausschließlich in linksradikalen Verlagen zu platzieren sind. Das entscheidende Kriterium ist doch, ob das jeweilige Thema – egal in welchem Verlag – denunziert und diffamiert wird, ob die Protagonisten bloßgestellt werden. Und das ist in dem Buch von Frank Brunner keinesfalls gegeben.

Ein Nutzen des Buches für Leser*innen ist der Einblick in behördliche Aufklärungsarbeit. Du stützt dich dabei auf Ermittlungs- und Geheimdienstakten, die nicht öffentlich zugänglich sind. Wie bist du an das Material gekommen?

Frank Brunner: Meine Quellen verrate ich natürlich nicht. Die größte Herausforderung bestand darin, die Unterlagen zu lesen, zu strukturieren, sie mit anderen Quellen zu vergleichen. Das waren ja tausende Seiten. Allein die Masse der Sachstandsberichte, Observationsprotokolle, verschriftlichten Telefonmitschnitte und Personagramme hat mich erst einmal erschlagen.

 

Frank Brunner: Mit aller Härte. Wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen. Bastei Lübbe, 256 S., € 15,-

 

Frank Brunner und Oliver Rast sind in den kommenden Wochen und Monaten mit dem Buch unterwegs. Nächster Termin:

08.12.: Leipzig, Cammerspiele in der Kulturfabrik, 19 Uhr

 

Fotos: de.indymedia.org, Bastei Lübbe, LCM, Riot Bike Records

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert