Der innere und äußere Pogrom in Südkurdistan

31. Oktober 2017

Das Chaos der letzten Wochen fand in den letzten Tagen einen weiteren, traurigen Höhepunkt.

Am Sonntag kündigte Mesud Barzani, der verfassungswidrig weiter am Amt haltende de facto Präsident der Autonomen Region Kurdistan1 an, kein weiteres Mal antreten zu wollen und die Machtverteilung in Kurdistan dezentralisieren zu wollen.2 Das Ganze wurde theatralisch vor dem vollkommen irrelevanten Parlament der KRG vorgelesen. Was darauf folgte war ein kleiner Vorgeschmack auf den faschistoid-feudalen Siff, den der Barzani-Klan nach Jahrzehnten der Korruption und des Betrugs hinterlässt. In Scharen mobilisierten sich Jugendliche in den Straßen von Hewler und Zaxo und stürmten das Parlament. Dort griffen sie oppositionelle Abgeordnete an, die nach ihrem Demokratieverständnis illegitime Verräter sind, und hielten diese teilweise als Geiseln.3 Des Weiteren wurden Journalisten von NRT, einem parteiunabhängigen Sender, der in der Hand eines kurdischen Oligarchen ist, mit Stöcken angegriffen und verletzt. Auch ihre Büros wurden gestürmt4. Zudem wurden die Parteibüros von YNK und Gorran angezündet5.

Wer gerade nicht genügend Muße für solche stumpfen Akte des Vandalismus hatte, der positionierte sich einfach vor die Kameras der klassischen Propaganda-Kanäle von K24 und Rudaw und weinte lauthals, den Abgang seines Führers beklagend und die Verräter beschimpfend.

Parallel dazu wird in keinster Weise aufgearbeitet, was der Rückzug der Peshmerga in den umstrittenen Gebieten und vor allem in Tuz Khormato angerichtet hat. Die Beweise mehren sich, dass wir in dieser Stadt einen rassistisch motivierten Überfall miterlebt haben, der so nicht aufgearbeitet wird. Zehntausende sind geflohen, ca. 20 Menschen wurden getötet und hunderte Existenzen sind vollkommen zerstört. In Interviews mit Geflüchteten zeichnet Amnesty International ein Bild eines rassistischen Pogroms, der allen voran von turkmenischen Kräften innerhalb der Hashd al-Shaabi angeleitet wurde und berichtet davon, wie sogar ehemalige Nachbarn kurdischer Bewohner ihre Taten angekündigt und mit Freude verrichtet haben.6 Es erweckt dunkle Erinnerungen an diejenigen Ezidinnen und Eziden, die nach dem Genozid von Shengal ihre Zeugenberichte teilten und von ehemaligen arabischen Bekannten berichteten, die sie wiedererkannten, als diese ihre Söhne und Väter erschossen und ihre Töchter vergewaltigten. Zudem wurde ein kurdischer Journalist vor den Augen seiner Familie erstochen, die traumatisierten Hinterbliebenen sprechen von turkmenisch sprechenden Angreifern, die bis zur Unkenntlichkeit auf ihn einstachen.7

Von Innen wie von Außen sammeln sich die faschistoidesten, patriarchalsten und blutrünstigsten Gesichter dieses zerberstenden Mittleren Ostens. Seien es Barzanis Schergen, die jeglicher demokratischer Konsolidation in Kurdistan im Wege stehen, oder die Söldner von turkmenischer oder schiitischer Seite: Flucht, Angst und Vertreibung suchen erneut das kurdische Volk heim. Die Mächte von Staat, Kapital, Stammeskultur und Patriarchat verbünden sich in einem internen und externen Rundumschlag gegen die Zivilisten vor Ort.

Es bleibt ein wichtiger Punkt festzustellen: Die Frage ist nicht, ob Barzani oder sonst wer Regierungschef oder Präsident wird. Es ist auch nicht die Frage, ob Abadi Regierungschef bleibt, oder Maliki ihm folgen wird. Die Bilder der grausamen Taten, die von aus der Bevölkerung mobilisierten Kräften ausgeht lehren uns, dass die Frage nach der Zukunft hier ganz anders zu stellen sein wird: Wie soll ein Volk, das so derartig an den Dauerzustand des Pogroms und des gegenseitigen Auslöschens gewöhnt ist, jemals zu einer demokratischen Entität werden? Wie sollen diejenigen, die vorher ihre Nachbarn ausraubten, ermordeten und vergewaltigten dazu in der Lage sein in einem gesunden kommunalen Verhältnis zum eigenen sozialen Umfeld zu stehen? Wie sollen Jugendliche, die Schläge auf Abgeordnete und Journalisten für selbstverständlich halten je dazu in der Lage sein, mündige und partizipative Teile einer egalitären Gesellschaft zu werden?

Es ist schwer abzusehen welche Rolle Barzani nun einnehmen wird. Ob er aus dem Hintergrund weiter agieren wird, oder ob das nun sein endgültiges Ende ist. Es ist auch schwer einzuschätzen, was gerade intern in der KDP abgeht. Weiterhin ist schwer abzuschätzen, wie sich das Säbelrasseln zwischen dem Iran und den USA auf die Zurückhaltung der USA gegenüber der Hashd al-Shaabi auswirken wird. Nur eines ist zu sagen: Diese Politik der verbrannten Erde hat eine gesamte verbrannte Nation hinterlassen.

Der Blick auf die momentanen Zustände im Nordirak und in Südkurdistan sollten wieder einmal bewusstmachen, dass der Faschismus mehr als eine Personalie wie Barzani ist, die durch Austausch oder Absetzung auszumerzen ist. Der Faschismus ist eine autoritäre und menschenfeindliche Haltung, die es immer wieder schafft das Mikrolevel der Zivilgesellschaft so derart zu verseuchen, dass jeglicher revolutionärer Anspruch aus diesem Mikrolevel heraus operiert werden muss.

1 Hier sei an die nette Person von der KGD erinnert, die mir vorwarf ich würde Baathisten-Sprech verwenden, wenn ich von ARK statt von „Region Kurdistan“ spreche – die Baathistenvergleiche sind etwa auf Nazivergleich-Niveau und die kann man sich gerne sparen. Im Deutschen ist die Region Kurdistan als Autonome Region Kurdistan aufgelistet, dann sollen sie sich eben dafür einsetzen, dass sich das ändert.

# Manî Cûdî

Titelbild: KDP-Anhänger kurz vor der Stürmung des Parlaments in Erbil. 29. 10. 2017

2 http://www.bbc.com/news/world-middle-east-41794083

3 http://www.bbc.com/news/world-middle-east-41804717

4 http://www.nrttv.com/EN/Details.aspx?Jimare=17277

5 https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-kurds-attacks/kurdish-parties-opposed-to-barzani-report-attacks-on-offices-overnight-idUSKBN1CZ0E6

6 https://www.amnesty.org/en/latest/news/2017/10/iraq-fresh-evidence-that-tens-of-thousands-forced-to-flee-tuz-khurmatu-amid-indiscriminate-attacks-lootings-and-arson/

7 https://reliefweb.int/report/iraq/unami-condemns-killing-journalist-kirkuk-governorate-acts-intimidation-and-violence

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