Der hier vorliegende Beitrag schließt an unseren ersten Teil „Die Illusion der Gewaltfreiheit“ an. In diesem haben wir, Hubert Maulhofer und Dieter Oggenbach, Rahmenbedingungen für eine wirkungsvollere militante Praxis auf der Straße, im Anschluss an bzw. im Kontext der G20-Straßenkämpfe, diskutiert. Im Folgenden Beitrag wollen wir das Feld des Militanzbegriffs erweitern. Wir wollen uns entfernen von einer Erzählung, die Militanz auf soziale Gegengewalt reduziert oder im bürgerlichen Sprech „Chaos“ und „Gewalt“. Im Folgenden Beitrag soll es um Grundlagen der und Perspektiven auf die „militante Persönlichkeit“ gehen.
Für eine Ethik des Widerstands
In den aktuellen Debatten um Militanz geht es unserer Meinung nach zu häufig um die konkrete Aktion. Das ist an sich nicht schlecht, da wir als Bewegung aufhören müssen immer alles zuerst auf der Metaebene zu diskutieren. Was hierbei jedoch häufig geschieht, ist, dass die militärische Logik Einzug in unser Denken erhält. Es geht nur noch um den Gegner, die richtige Taktik, sozialrevolutionäre Fragen treten hierbei schnell in den Hintergrund. Wir glauben, dass wir aufhören müssen Selbstverteidigung nur auf einer physischen Ebene zu diskutieren. Unserer Meinung nach muss aber der politische Kampf dem militärischen übergeordnet sein (auch wenn uns bewusst ist, dass Straßenmilitanz natürlich genuin politisch ist). Was wir sagen wollen ist, dass wir es für notwendig erachten unsere politischen Prinzipien über die konkreten Notwendigkeiten des militärischen Kampfes zu stellen (Uns ist bewusst, dass wir aktuell diesbezüglich in einer privilegierten Position sind und dass es unbeschreiblich schwer ist sich in kriegerischen Auseinandersetzungen auf diese Prinzipien zu beziehen. Für uns, die aktuell allerdings erst wieder anfangen über dieses Thema offen zu diskutieren erschien es wichtig, diesen Punkt noch einmal klar zu benennen. Die militärische Logik zu überwinden heißt für uns, dass wir Debatten über Ziele, Methoden etc. kollektiv als Bewegung führen, Kleingruppenisolation überwinden und gerade die feinen Unterschiede in den Aktionsformen nicht negieren oder übergehen. Wir schlagen vor sich wieder auf die Gesellschaft statt lediglich auf die Szene zu beziehen und auch diesbezüglich wieder aktivere Debatten um (Nicht-) Vermittlung/Vermittelbarkeit, Feindbestimmung etc. zu führen. Debatten, welche versuchen nicht nur die eigene Position zu bewahrheiten, sondern die versuchen die aktuellen Zustände in der BRD zu beschreiben, Linien zu finden, welche militanten Aktionen und Denkformen Raum und Akzeptanz verschaffen können. Wir erachten es als notwendig, das Aktionsformen strategisch durchdacht ausgewählt werden. Das kann sein einen Luxusbau zu verhindern, alternative Schulprojekte aufzubauen, Infrastruktur zu sabotieren, zu streiken, zu diskutieren, Begegnungsräume oder Kiezläden aufzubauen, ein Straßenfest zu organisieren, widerständiges Theater zu entwickeln, Essen für umsonst zu kochen und so weiter, und so weiter. Legitime Ziele sind unserer Meinung nach nicht wahllos. Unserer Meinung nach sind beispielsweise nicht die Gesellschaft an sich, sondern all die Elemente, die Versuchen den Selbstorganisierungsprozess der Bevölkerung anzugreifen legitime Ziele. Militant zu denken und zu handeln heißt für uns, konkrete Antworten auf konkrete Probleme zu finden. Antworten die einen klaren Trennungsstrich ziehen und die gleichzeitig fähig sind ein anderes Leben zu vermitteln und die generell dazu fähig sind mit anderen Menschen diskutiert zu werden. Strategien und Taktiken müssen erneuert werden, wir können ehemals wirkungsvolles nicht wiederholen nur aus Prinzip. Es geht um wirkungsvolle Mittel, nicht um ein dogmatisches Programm.
Was wir brauchen ist eine Ethik des Widerstands, denn dies erscheint uns die sinnvollste Verteidigung gegen militäristisches Denken. Diese Ethik sollte unserer Meinung nach auf mehreren Prinzipien basieren: 1. Antimilitarismus. 2. Internationalismus 3. sozialrevolutionäre und antistaatliche Ausrichtung
4. Frauenbefreiung als zentraler Aspekt 5. gelebte Kollektivität
Die bürgerliche Geschichte überwinden – Die eigene Geschichte erzählen
Wir beobachten allzu oft ein Problem, welches sich durch viele vergangene Revolutionen gezogen hat und welches Bewegungen wie die PKK und Freund*innen aus dem spanischen Bürgerkrieg auch heute noch beschreiben: Eine Revolution ohne grundlegende Veränderung der (eigenen) Mentalität, ohne Zerstörung herrschender Denkformen, ist zum Scheitern verurteilt. Die Frage nach der militanten Persönlichkeit ist eine regelmäßig wiederkehrende. Leider wird sie aber allzu oft auf die Fähigkeiten des Straßenkampfs, der Textproduktion oder den Kampf (ehemaliger) Stadtguerilliagruppen reduziert. Wir schlagen vor, dass die ehrliche, kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Person und unseren Zusammenhängen zentrale Grundlage von Militanz im Allgemeinen sein sollte. Wir hoffen das klar ist, dass es uns hierbei nicht um eine individualisierte, schlimmstenfalls neoliberale, Selbstoptimierung geht, sondern viel mehr das begreifen persönlicher Veränderung als revolutionären Schritt. Versuchen wir diese Persönlichkeit ein wenig greifbarer zu machen. Im Rahmen der Persönlichkeit (-sentwicklung) wollen wir Militanz verstehen als die Fähigkeit sich gegen Herrschaftsideolgie mental und physisch wehren zu können und andere Lebensformen denkbar und erlebbar zu machen. Wir gehen davon aus, dass hegemoniale Diskurse und die sich daraus ergebenden materialisierenden Effekte der zentrale Pfeiler von Herrschaftssicherung sind. Was heißt das konkret? Innerhalb der verschiedenen Diskurse, z.B. denen der anarchistischen Bewegung gegenüber denen des Staates, existieren verschiedene Deutungen, verschiedenes Wissen. Der Staat bspw. versucht seine Deutung der Dinge durchzusetzen, was aufgrund bestimmter Infrastruktur etc. auch oft gelingt. So werden die, die sich selbst als „Revolutionär*innen“ bezeichnen, zu „vermummten Chaoten und Terroristen“. Deutungshoheit at its best. Dies ist ein geläufiges Beispiel, jedoch funktionieren die Narrative (Erzählungen), die in den jeweiligen Diskursen beinhaltet sind auch auf weit komplexeren Ebenen, da sie nicht nur wahrgenommen werden, sondern die Individuen formen. So „optimieren“ sich Hartz IV – Empfänger*innen selber; individualisieren ihre Problemlage; verzweifeln an der Lüge des American Dream und denunzieren andere Erwerbslose Menschen beim Jobcenter. So hat die Gesellschaft die Erzählung angenommen, ohne die Polizei wären wir unfähig unsere Probleme selber zu lösen, ohne dass es Mord und Totschlag gibt. So baut sich die Lüge, dass Kameras uns Sicherheit bringen werden immer weiter auf. Aber auch viele innerhalb unserer eigenen Bewegung glauben häufig (zuerst) das, was die bürgerliche Geschichte vorgibt: Die Flugzeugentführung in Entebbe der RZ sei ein antisemitischer Terroranschlag gewesen; die RAF sei ein rein stalinistischer und sexistischer Haufen gewesen und Widerstand gegen Staat und Kapital habe es in Deutschland gar nicht wirklich gegeben – bestenfalls wird dass dann noch als Legitimation für die eigene Schwäche genutzt. Auch wir reproduzieren unsere erlernten sexistischen Denk- und Handlungsmuster. Ignorieren oft genug unsere Verhaltensweisen die wir so gerne bei „den Anderen“ kritisieren.
Die militante Persönlichkeit muss sich gegen die Durchsetzung dieser Diskurse und damit verbundenen Handlungen wehren können. Sie muss verstehen können, wie dieses Wissen entsteht, was seine Implikate sind, woher diese Erzählungen kommen. Gleichzeitig muss sie fähig sein diesen etwas entgegenzusetzen, sie muss die Lügen aus dem Geflecht sezieren. Die Diskurstheorie stellt für uns hierbei etwas brauchbares dar, wenn ihre Radikalität nicht in post-modernem Geschwaffel verwässert wird. Natürlich gibt es viele weitere Grundlagen um die Pfeiler der Herrschenden Ordnung ins Wanken zu bringen. Diese können wir an dieser Stelle nicht alle darstellen – zumal uns die meisten wahrscheinlich unbekannt sind -, wir wünschen uns aber eine breitere und öffentlichere Debatte hierüber, ohne ein Ständiges pochen auf „Ich habe recht“.
Ziel muss es sein, kollektiv Fähigkeiten zu entwickeln, die es braucht um die Faktoren auszuhebeln, die die Grundlagen der Gewalt darstellen. Weitergehend müssen die Militanten fähig sein, mit anderen Menschen zu sprechen. Was wir damit meinen, ist das klassische von Tür zu Tür zu ziehen, Menschen konkret anzusprechen bei unseren Veranstaltungen, unsere Angst vor dieser Welt abzulegen. Das erfordert Überwindung und Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten. Es erfordert Mut, die Fähigkeit Dinge auszuhalten und vor allem eins: Überzeugung in die Notwendigkeit der Revolution.
Kurz: Die Militante Persönlichkeit ist fähig sich und andere gegen den Zugriff des Staates (auf möglichst vielen Ebenen) zu verteidigen und dabei selbstbewusst auftreten und in die eigene Kraft und Aktionsfähigkeit vertrauen.
Eine militante Persönlichkeit zu entwickeln erfordert harte Kritik und Selbstkritik auf Basis solidarischer Zärtlichkeit. Weiterentwicklung, Bruch mit bereits gelerntem, dem eigenen Bild, dem eigenen Sexismus, der eigenen Isolation, dem eigenen Narzismus, dem eigenen ausschließendem Verhalten. Töten wir den Bourgeois in uns!
Von der individuellen zur kollektiven Selbstverteidigung
Wenn wir uns anschauen, wo der Staat und die Regierung am schwächsten ist, ist es meist dort, wo Menschen sich selbstorganisiert haben. Neben der persönlichen Auseinandersetzung und Weiterentwicklung, ist die Selbstorganisierung die wirkungsvollste Selbstverteidigung . Innerhalb dieser Organisierungsprozesse kommen zwei Faktoren zusammen welche beide notwendig sind für die Entwicklung militanter Persönlichkeiten: Erstens verändern Individuen sich im Prozess, genauso wie das Kollektiv. Zweitens beginnen Menschen, bestenfalls, ehrliche Beziehungen zueinander aufzubauen, die nicht auf kapitalistischen oder anderen negativen Interessen beruhen und merken, dass sie fähige Subjekte sind auch ohne Anwesenheit des Staates. Diese Selbstorganisierungsprozesse müssen davon gekennzeichnet sein, dass sich genossenschaftliche Beziehungen, freundschaftliche, durch den gemeinsamen Kampf und das gemeinsame Leben gestärkte, Beziehungen entwickeln. Solche Beziehungen, die es schaffen aktuelle interne Trennungslinien zu überwinden. Wir wünschen uns in den kommenden Jahren eine Zusammenkunft von Militanten. Von Militanten die selbstbewusst nach Außen treten und mit Menschen sprechen und denen, die sich sich zurückziehen um zu reflektieren und zu diskutieren. Von denen, die die Größe haben eigene Fehler klar und öffentlich zu benennen und denen, die ihre Aktionen selbstbewusst und kämpferisch vertreten. Von denen die Steine schmeißen und denen die sich theoretisch weiterbilden. Von denen die versuchen mit eigenen Denkmustern zu brechen und Herrschaft bei sich selbst als erste zu überwinden. Eine Zusammenkunft derer die das Ziel nicht aus den Augen verloren haben: Die soziale Revolution.
#Hubert Maulhofer und Dieter Oggenbach