Sind wir jetzt dafür oder dagegen?

25. September 2017

Wenn das Referendum, die Debatte um das Ja oder Nein und die gesamte Frage um das pro und kontra von Staatlichkeit uns eines gelehrt haben, dann ist es wohl die Floskel, dass alles nicht so einfach zu erklären ist.

Denn in der Tat, zu Beginn war sich die linke Öffentlichkeit rund um die kurdische Freiheitsbewegung einig: Das Referendum bedient eine plumpe, rechte und völkische Rhetorik, mit der man eigentlich wirklich nichts mehr zu tun haben will. Aus den stürmischen Zeiten des Paradigmenwechsels hat sich ein Konsens darüber ergeben, dass der Gedanke vom Nationalstaat die Krankheit des Feindes ist, mit der wir uns auf keinen Fall anstecken sollten. Und die Mobilisierung rund um die Kommunalwahlen in der Föderation Nordsyrien zeigten: Es ist möglich die praktische politische Lösung multikulturell, dezentral und föderal zu gestalten.

Die letzten drei Wochen verbrachte ich dort, in Südkurdistan, der Autonomen Region Kurdistan, wie man es auch nennen mag. Ich ordne mich einem „wir“ zu, welches links ist und sich mit der kurdischen Befreiungsbewegung solidarisiert. Ich bin der Prototyp der kurdischen Frau, die irgendwann mit 13 die Nase voll davon hatte von Männern bevormundet und von Almans verhöhnt zu werden. Die Art, die sich im politischen Aktivismus auf Identitätssuche begeben hat. Auf diesem Wege bin ich auf Öcalan gestoßen, so wie viele Genossinnen und Genossen in Deutschland. So viel zum „wir“.

Aber was sagen wir nun zu diesem Referendum? Uns ist das Kalkül Barzanis natürlich allen klar. Wieso braucht man denn noch ein Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans, wenn man 2005 bereits schon eines hatte, bei dem fast 100% der Befragten für die Unabhängigkeit stimmten? Was soll dieses Timing eigentlich? Wer sich den ein oder anderen kritischen Artikel gegönnt hat, der weiß: Barzani will am Ball bleiben. Verfassungswidrig im Amt nutzt er das gemeinsame Ziel eines Kurdistans, das ewige Leitbild der Unabhängigkeit um die noch so unvereinbaren Fraktionen der kurdischen Politik zu vereinen und sich zum weißen Ritter der Freiheit zu erklären.

Das wollen wir so nicht zulassen. Denn Alleinherrscher, Familienklans, Bruderschaften mit AKP-Funktionären, das gehört alles nicht zu dem Bild von einem freien Kurdistan, welches wir idealerweise sehen wollen. Es darf nicht sein, dass Barzani die Unabhängigkeit für sich reserviert.

„Aber Kurdistan ist viel größer als Barzani“, diesen Satz hörte ich in den letzten Wochen, die ich in Kurdistan verbrachte jedoch umso häufiger. Während sich die besagte links-kurdische Diaspora-Öffentlichkeit darüber einig war, dass dieses Referendum für die Katz ist und das alles eigentlich auf den Müllhaufen gehört, sorgten solche Sätze und die komplizierten und unklaren Antworten der Kurdinnen und Kurden mit denen ich Sprach für tiefe Risse in diesem linken Narrativ, dem ich mich auch verbunden fühlte. Da saß ich und las Pamphlete über den dritten Weg des Demokratischen Konföderalismus, dass Südkurdistan einfach dem Vorbild Rojavas folgen müsse, dass alles so einfach gehen könnte. Mit der Revolution und so.

Und schließlich war es so weit, das Narrativ zerbrach in Stücke. Verdammt es ist nicht so einfach! Barzani abzulehnen und sein Machtkalkül hinter dem Timing und den Rahmenbedingungen des Referendums zu erkennen und anzuprangern darf mich nicht dazu bringen meine Ethnie, meine Landsleute in ihrer Ambivalenz, in ihren Idealen aber auch in ihren Widersprüchen über einen Kamm zu scheren. Wir sind es gewohnt zu sagen, dass die Kurden kein monolithischer Block sind, dass da viele Unterschiede sind. Doch das Problem an der Sache war, dass diese Unterschiede in ihrer Gesamtheit auf die Unterschiede der Parteien bezogen wurden. Soziale und politische Spaltungen wurden nie soziologisch sondern parteiprogrammatisch, ideologisch verstanden. Als seien Parteien das einzige, was die Bevölkerung in ihrer Entscheidungsfindung und ihrer politischen Sozialisation beeinflussen würden.

Eine junge Guerilla Kämpferin der YJA-Star und ein Pesmerga der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) in Kirkuk, wo beide an derselben Front gegen Daesh kämpfen.

Also was mache ich jetzt, wenn da Leute sind, die mir sagen sie haben keinen Bock auf Barzani, aber sagen, dass sie doch schon ihr ganzes Leben lang für die Unabhängigkeit kämpfen. Die mir sagen: Auch ohne Referendum, ohne Unabhängigkeit, ohne den politischen Alleingang wurden wir verraten und vertrieben, vergast und verbrannt. Ist Kurdistan nicht größer als das? Sind diese ganzen Parteien nicht irgendwann mal für dieses Kurdistan gegründet worden und tragen sie alle nicht auch den Namen Kurdistans in ihren Titeln?

Aus Kandil hörte man wiederholt den Satz: Das Referendum ist das demokratische Recht der Kurdinnen und Kurden. Und so sehr sich die europäischen Polit-Blogger mal wieder sicher waren das Patentrezept zur Haltung gegenüber diesem Referendum in einem einfachen „Nein“ gefunden zu haben, so sehr hat Kandil mit diesem Satz Weitsicht und analytisches Geschick bewiesen.

Denn diese Risse, diese gesprengten geistigen Fesseln, dieses Einbrechen politischer Schubladen und Kategorien, die diese Pro und Kontra Stimmen in meinem Kopf auslösten, sind in den letzten Wochen millionenfach entstanden. Ein gigantischer Diskurs, der uns vor den Spiegel unserer Komplexität gestellt hat. Eine ziemlich derbe Therapiestunde unserer gespaltenen Existenz, die Narben aufbrechen ließ, die unsere Vorfahren einst mühsam zunähen mussten. Es sind diese Mächte des Pro und Kontra, des Diskurses und der Kommunikation, die Öcalan wohl dazu gebracht haben müssen sich sicher zu sein, dass diese direkte Konfrontation mit Argumenten und Meinungen das Potential dazu hat gesellschaftliche Fesseln zu sprengen. Eine Revolution von Unten zu erzeugen.

Denn die letzten Tage, in denen der Westen, die Türkei, der Iran, die Zentralregierung des gescheiterten künstlichen Staates Irak und alle weiteren Feinde des kurdischen Volkes gezeigt haben, dass ihre Haltung gegenüber der kurdischen Unabhängigkeit selbst beim größten Opportunisten der kurdischen Geschichte nicht abänderbar ist, diese letzten Tage haben den meisten die Augen geöffnet.

Die Diskussionen wandelten sich. Immer mehr folgten dem Statement des demokratischen Rechts des Referendums und merken, die Feinde haben nicht mal vor dem „Ja“ Angst. Sie haben Angst davor, dass wir selbst unter uns entscheiden wie es weitergeht. Sie haben Angst, dass wir uns selbst fragen, bevor wir sie fragen.

# Manî Cûdî

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2 Kommentare

    Michael Hübner 26. September 2017 - 0:21

    Wenn das der damalige deutsche „Führer“ noch erleben könnte.
    Der bekam auch glänzende Augen, wenn vom Volk bzw. den Völkern die Rede war.
    Während er natürlich das deutsche Volk am liebsten hatte.
    Merkt Ihr was?

    Grüße
    Michael Hübner

    lowerclassmag 27. September 2017 - 12:43

    Was sollen wir denn deiner Meinung nach merken?