Die Illusion der Gewaltfreiheit – Beitrag zur Militanzdebatte

4. September 2017

Hamburg brannte. In der Schanze, in der Elbchausse und an dutzenden weiteren Orten. Die Reaktionen auf die mehrstündigen Riots im Kontext des G20-Gipfels, die schließlich mit zwei SEK-Einsätzen befriedet wurden, verursachten innerhalb der bürgerlichen Presse einen Sturm der Entrüstung, dessen leere Worthülsen die meisten von uns inzwischen wohl im Schlaf verhersehen können. Dort war die Rede von Terroristen, Nazivergleiche wurden gezogen und Springers BILD-Zeitung übernahm direkt und unaufgefordert die Fahndung nach den vermeintlichen Terroristen und Terroristinnen. Nun diskutiert der deutsche Innenminister über die Fußfessel für sogenannte Gefährder*innen und Berliner Hausbesetzungen wie in der Alten Teppichfabrik werden nun anscheinend standardisiert vom SEK geräumt.

Im Anschluss an die G20 Riots begann innerhalb diverser linksradikaler Medien im Ansatz das, was es schon seit längerem braucht: Eine Debatte über Militanz. Der Folgende Text soll ein bescheidener Beitrag zu dieser Debatte sein.

 

Über das bürgerliche Verständnis von Gewalt brauchen wir uns an dieser Stelle nicht weiter zu unterhalten. Krieg, Austeritätspolitik, Knäste, Zwangsräumungen, Abschiebungen. NSU, Hartz IV, Kapitalismus – die Liste dessen, was es als gewaltvolles Verhältnisse zu definieren gilt, lässt sich um hunderte Zeilen weiter fortsetzen.

Revolutionen waren nie friedlich, auch wenn etablierte Parteien und die, die alles gerne mit ein paar Reformen ein wenig besser machen wollen, uns das tagtäglich gerne suggerieren wollen. Revolutionäre Umstürze sind gewaltvoll. Revolutionäre Gewalt aber, bedient keinen Fetisch. Sie ist ein Mittel, keine Leidenschaft. Sie ist ein Mittel, um die zu enteignen, die alles besitzen (wollen). Sie ist Mittel, um die Auseinandersetzung mit denen zu führen, die das bestehende bewahren wollen.

Militanz – eine Worthülse, die es zu füllen gilt

Militanz ist ein beliebtes Wort. In der bürgerlichen Presse Synonym genutzt für „Gewalt“, wird es in manchen linken Kontexten differenzierter genutzt. Die Militanzdebatten der vergangenen Jahre können an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Viel eher soll versucht werden, den Begriff „Militanz“ mit unseren Inhalten zu füllen.

Militanz heißt Unversöhnlichkeit. Militant zu sein heißt, den Antagonismus zu Staat und Herrschaft in das eigene Leben zu integrieren. Militanz ist dann nichts, was in einer bestimmten Situation entsteht. Wenn wir den Antagonismus verinnerlichen und auf unseren Alltag anwenden, dann werden wir militante Persönlichkeiten und bewegen uns auf ein militantes Leben zu. Dynamisch und in ständiger Entwicklung. Diesen Antagonismus zu leben, hat weitreichende Konsequenzen.

Die kurdische Freiheitsbewegung versteht diese militanten Persönlichkeiten, sinnvollerweise, als Persönlichkeiten, die sich gegen Angriffe verteidigen können. Es geht allerdings nicht nur um das Abwehren physischer Angriffe. Es geht auch und vor allem um das Entwickeln eines revolutionären Bewusstsein. Ein Bewusstsein über die eigene Geschichte, eine Leidenschaft für den eigenen Kampf und die Revolution zu entwickeln, denn all das sind wichtige Grundlagen für den Kampf gegen Staat und Herrschaft.

Wenn wir militant leben wollen, müssen wir uns bilden. Wir müssen uns kollektiv Wissen und Widerstandsformen aneignen, ihr Effektivität und ihre Inhalte diskutieren.

Wir müssen aber auch mit den konkreten Verhältnissen arbeiten. Wenn wir uns anschauen, an welcher Stelle die radikale Linke in Deutschland aktuell steht, müssen wir ernüchtert feststellen, dass die eigene Relevanz marginal ist. Unsere Ideen sind wenig präsent in den öffentlichen Diskursen, wir haben kaum eine starke Verankerung in unseren Kiezen. Wenn wir uns nun mit militanten Aktionen, die revolutionäre Gewalt beinhalten, auseinandersetzen, gilt es dies, im Hinterkopf zu behalten.

Diese Aktionen dürfen niemals ein Selbstzweck sein. Diese Aktionen müssen eingeordnet sein in strategische Überlegungen. Was ist das Ziel dieser Aktion? Unterstützt es konkrete Kämpfe? Was gibt es durch die Aktion zu gewinnen, was zu verlieren? Können wir die Aktion vermitteln?

Hier erscheint bereits das erste Problem, da viele autonome Kleingruppen heute anscheinend nicht besonders daran interessiert sind, dass jemand ihre Aktionen nachvollziehen kann oder bestenfalls nachahmt. Allerdings sollten wir uns gerade diese (vielleicht manchmal etwas mühselige Arbeit) aber machen, ansonsten Überlassen wir die gesamte Deutung und Erklärung einer Aktion der bürgerlichen Gesellschaft. Es geht hierbei um den generellen Aspekt der Vermittlung nicht um die Frage der Vermittelbarkeit. Der Yuppie zwei Blocks weiter wird es wohl kaum nachvollziehen können, dass jemand sein Auto flambiert hat. Diejenigen die durch ihn verdrängt wurden schon. Hierfür benötigen wir den Aufbau weiterer Möglichkeiten, um Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Diese müssen verständlich und zugänglich sein. Dies können Wandzeitungen, Sprüherein, Radios oder Printmedien sein, genauso wie Internetblogs.

Gleichzeitig ist es nicht irrelevant, was diejenigen, die man mit einer Aktion ansprechen will (das will man immer, ansonsten würde man ja keine Aktionen machen), über die Aktion denken.

Nehmen wir uns ein nicht allzu altes Beispiel. Im Vorfeld des G20-Gipfels gab es einige flambierte Kabelschächte der Deutschen Bahn AG. Der Zugverkehr fiel über Stunden aus, der wirtschaftliche Schaden für dieses Scheißunternehmen dürfte nicht gering ausgefallen sein. Und trotzdem standen an den Bahnhöfen Tausende, die die Aktion nicht nachvollziehen konnten und sie kritisierten. Ist die Aktion, ein Angriff auf die Logistik und die Infrastruktur von Staat und Kapital, deshalb generell schlecht? Unserer Meinung nach nicht. Die Aktion ist allerdings keine, die dem derzeitigen Stand der Bewegung angemessen ist.

Zwischenziel: Militanter Konsens

Militanz ist Vielfältig und das ist gut so. Innerhalb der radikalen Linken existiert eine Vielfalt der Mittel und die meisten sind akzeptiert. Das ist gut so. Bei der breiten Bevölkerung sieht dies jedoch deutlich anders aus. Hier gibt es diesen Konsens meist nicht. Die meisten Menschen können es nicht nachvollziehen, warum Steine auf Bullen fliegen oder ihre Fahrzeuge angezündet werden. Sie können auch mit Diebstahl und Plünderung (was nichts anderes als Enteignung ist) oft wenig anfangen. Da wir aber nun Revolution in diesem Land machen wollen und müssen, gilt es zu überlegen, wie Militanz verbreitet werden kann, denn nur auf einem breit getragenen Konsens zu Militanz können wir kollektiv und mit deutlich mehr Menschen agieren. Dann haben wir Rückhalt und Unterstützung in der lokalen Bevölkerung. Ein militanter Konsens würde vor allem aber eine breitere Zustimmung zu unseren Ideen schaffen. Natürlich darf dies nicht heißen, die Angriffe des Staates auf uns unbeantwortet zu lassen. Es ist richtig und wichtig, sich gegen die herrschenden Verhältnisse zu wehren, die Frage ist nur mit welchen Zielen und Perspektiven.

Vom eigenen Standpunkt aus kämpfen

Die direkte Aktion ist unsere Waffe auf der Straße, aber was es aktuell mit deutlich mehr Anstrengungen umzusetzen gilt, ist es ein Feuer in den Herzen der Menschen zu entfachen. Eine Alternative abseits von (Proto-)Faschismus, Staat und Kapitalismus aufzuzeigen. Es gilt Solidarität und Kollektivität als Waffen gegen soziale Isolation und Neoliberalismus erlebbar zu machen. Das wird allerdings nicht vom Himmel fallen. Dies geschieht durch die mühsame und vor allem kleinteilige und alltägliche Arbeit. Durch Arbeit an den Orten, an denen wir uns aufhalten, in denen wir arbeiten und uns bewegen. Genau dies meinten wir, als wir oben schrieben „vom eigenen Standpunkt aus kämpfen“. Durch diese kleinteilige Arbeit kann dann an den kleinsten Punkten des gesellschaftlichen Lebens so etwas wie Gegenmacht entstehen. Also eine Macht, die sich gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse stellt und auch behaupten kann. Gegen all diejenigen, die der Staat uns auf den Hals hetzen wird, um uns und unsere Ideen klein zu halten, brauchen wir diese Standhaftigkeit. Wir brauchen perspektivisch neue Formen der Massenmilitanz. Situationen wo hunderte wenn nicht tausende sich gewaltvoll gegen die nächste Zwangsräumung oder rassistische Polizeikontrolle stellen. Wir brauchen einen Wissenstransfer, der es ermöglicht eine militante Persönlichkeit zu entwickeln – auf allen Ebenen. Hierzu gehört historische und politische Bildung ebenso wie das Wissen um den Bau eines Molotowcocktails oder den Schwachstellen der Bullen.

All diese Zeilen hier möchten wir als Ideen, nicht als Konzept verstanden wissen. Wir solidarisieren uns mit allen Militanten weltweit. Mit all denen, die den Traum von einer besseren Welt noch nicht aufgegeben haben. Denn irgendwann werden wir aufwachen, uns in die Augen schauen und uns denken: „so ein Tag. SO wunderschön wie heute“.

# Hubert Maulhofer und Dieter Oggenbach

 

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