DIY statt Bel Ami

21. Juni 2017

Der alternative Christopher Street Day (CSD) in Kreuzberg, der in den vergangenen 20 Jahren zum kleinen, schmutzigen und vor allem politischen Stiefkind des inzwischen kommerziellen, entpolitisierten CSDs in Mitte und Schöneberg geworden ist, war 2017 erneut in seiner Existenz bedroht. Immer wieder strapazierten politische Diskussionen – 2013 um einen Rassismusvorwurf gegen eine Hiphop-Gruppe und 2016 über die Teilnahme einer palästinasolidarischen Queergruppe – die Lust am Feiern und am organisieren. 2017 hatten dann alle die Schnauze voll von der Streitsucht der queeren Szene in Berlin und wollten den Kreuzberger CSD erstmalig ausfallen lassen.

Schade fanden das insgesamt drei Kreuzberger*innen und organisierten über Facebook eine Art Ersatz unter dem Motto „K*csd: Kein XCSD, kein Problem“ über Facebook für den kommenden Samstag, den 24. Juni in Kreuzberg. Keine Demo, keine Kundgebung, eher ein loses Treffen. Sie haben wohl einen Nerv getroffen. Inzwischen klickten fast 1000 User auf „Zusage“ und über 2000 ihr Interesse bekundeten. Zumindest das virtuelle Bedürfnis ist also da. Wie die Realität am Samstag aussehen soll, verrieten zwei von ihnen im Interview mit LCM.

Vor ein paar Wochen sah es noch so aus, als würde es aufgrund politischer Verwerfungen keinen alternativen CSD in Kreuzberg geben. Warum wollt ihr das ändern?

Staci: Weil es ein wichtiger Tag ist für die Menschen der Community ist. Aber auch aufgrund der Zeiten, in denen wir gerade leben. Die Scheiße ist durch den Aufstieg der Rechten total am dampfen. Und daher ist es wichtig, dass Queers wieder starker den öffentlichen Raum gemeinsam übernehmen. Es gibt eine Zunahme homophober Attacken in den letzten Monaten in Berlin und es ist wichtig, dass wir Präsenz zeigen.

Bruce: Viele denken immer noch, dass Homophobie im linken Berlin kein Problem ist, aber es gibt immer noch Orte, an denen es für schwule Männer schwierig ist, sich zu küssen. Es ist immer noch ein Affront, selbst wenn sie es nicht einmal aus politischen Gründen tun, sondern nur weil sie sich lieben. Das ist noch schlimmer, als wenn man es als politischen Ausdruck betrachtet. Immerhin ist man in letzterm Fall vielleicht bereit, zurückzuschlagen. Wenn du es aber nur macht, weil du jemanden wirklich magst, ist es wirklich Scheiße, wenn das ein Problem darstellt. Das Private ist politisch. Als ich hierher kam, war der K*CSD, T*CSD, *X*CSD und wie auch immer der politische CSD hieß, das Beste, was ich jemals gesehen habe. Es war so spannend, diesen Alternativen Pride zu sehen und es ist so traurig, dass viele Kids – und auch Ältere – das nicht haben sollen.

Das klingt vielleicht lahm, aber sie wollen es und sollen es auch bekommen. Ich brauche das ja auch. Es gibt viele Straßenfeste, aber so viele Menschen waren enttäuscht, dass es keinen alternativen Pride geben wird. Nicht jeder möchte nur auf Bel-Ami-Models [Anm. Bel Ami ist ein tschechisches Schwulenpornolabel, das meist optisch „perfekte“ Durchschnittsdarsteller hat] am Brandenburger Tor sehen und fünf Euro für ein Berliner Kindl zahlen.

Staci: Große Firmen übernehmen die Idee von Queer und wir finden nicht, dass das OK ist.

In eurem Aufruf finden sich aber auch keine politischen Statetements. Ihr würdet euch aber dennoch nicht generell als unpolitisch bezeichnen?

Bruce: Nein, ich denke queer sein und das öffentlich zu zeigen, ist auf seine Art politisch. Der Grund, warum wir keinen politischen Slogan order eine Botschaft nutzen ist, weil die queere Szene sich so sehr in immer kleinere Teile aufspaltet, die sich untereinander bekämpfen. Ich habe kein Problem mit unterschiedlichen Meinungen, aber scheinbar ist es so, dass viele denken, dass alle am Ende die gleiche haben müssen.

Staci: Wir sollten kritisch bleiben. Es ist wichtig, politisch zu sein, sich gegenseitig zu kritisieren und sich auch herauszufordern. Aber die Idee war viel mehr, öffentlich zusammen zu kommen und einen Tag zu haben, an dem alle von uns zusammen sind, gerade weil derzeit so viel Scheiße passiert. Es ist wichtiger, dass alle zusammen sind anstatt dass alle die selbe politische Agenda haben.

Bruce: Eine Party und eine Feier kann ja auch sehr politisch sein. Wir haben das gleiche Recht zu existieren, wie alle anderen auch.

Aber der Kreuzberger CSD hatte immer ein klares Motto. Denkt ihr nicht, dass ihr für euren Ansatz Kritik ernten werdet?

Bruce: Wir haben zunächst einmal alle Kommentare auf Facebook ausgeschaltet. Nicht weil wir Kritik fürchten, aber wenn Menschen rumstressen wollen, bevor der Spaß überhaupt losgegangen ist, bleib einfach daheim. Komm nicht!

Staci: Ich denke, wir sind uns alle einig, dass öffentliches Diskutieren wichig ist, aber die Idee ist, sich nicht auf Politik zu focussieren. Wenn jemand diskutieren will: Großartig. Komm vorbei und mach es öffentlich und nicht online, wo alles sofort eskaliert und die Argumente schnell missinterpretiert warden.

Der Mainstream-CSD behauptet auch von sich, eine politische Demonstration zu sein. Wo ist da der Unterschied?

Bruce: Ja, auch der Mainstream-Pride am Brandenburger Tor hat eine politische Agenda. Die ist allerdings ziemlich schwach und schon etwas veraltet. Klar, die Homo-Ehe ist toll und wichtig und ich finde es auch gut, wenn Menschen heiraten dürfen, wenn sie es wollen oder auch polyamor leben, wenn sie wollen. Die haben das Recht dazu, aber wie oft kann man sagen „Vielfältigkeit ist wichtig – Diversity is important“? Das wissen wir! Damit erreicht man aber gar nichts, und das ändert auch nicht viel.

Staci: Der Unterschied ist, dass dort inzwischen hunderte von großen Firmen werben und ihren Kram verkaufen. Ab diesem Punkt hat sich die politische Bedeutung auch geändert.

Hab ihr manchmal Angst, dass es in diesem Jahr in Kreuzberg wieder so eskalieren könnte wie 2013 und 2016?

Bruce: Nein, weil wir keine Bühnen oder Reden geplant haben. Wenn Leute untereinander diskutieren wollen, ist das OK, aber bitte untereinander und eigenverantwortlich. Ich finde, ein Typ mit Makeup im Gesicht, der tanzt, kann sowieso als politische Person angesehen werden, der für seine Rechte eintritt. Vielleicht sind sie nicht alle identisch.

Staci: Meiner Meinung nach ist es das gleiche wie bei allen Arten von queeren Partys oder ähnlichen Zusammenkommen. Ich sehe da gar keinen so großen Unterschied. Es gibt auch viele Partys, die sehr politisch sind.

Keine Organisation? Gibt es nicht mal ein ein bisschen Musik?

Bruce: Nur wenn jemand selber was mitbringt, zum Beispiel diese kleinen Boxen. Wir nutzen nur das, was wir besitzen. Wir mieten keine Anlage. Es ist nur ein Zusammenkommen im Park.

Staci: Es ist 100 % DIY.

Bruce: Wir wollen zurück zu den Wurzeln. Warum muss das immer so kompliziert sein? Warum können nicht ein paar Freunde, die sich vielleicht noch nie zuvor getroffen haben, einfach zusammenkommen und in einem Park rumhängen? Viele haben mich gefragt, mit welchen Gruppen ich gesprochen habe. Mit keiner. Wir haben einfach nur dazu aufgerufen, zum Picnic zu kommen.

Staci: Vielleicht hätten wir es auch einfach Queer Picnic nennen sollen, und dann hätten uns nicht alle nach dem t*csd gefragt. Dann wäre es anders. Vielleicht ist es der Tag…

Bruce: Es ist der Name. Wir haben es in dieser Tradition gemacht. Dieses Jahr wird der alternative CSD 20 Jahre alt. 1998 war der erste offizielle CSD, aber 1997 rollte der legendäre Rattenwagen durch Kreuzberg. Wir feiern also 20jähriges!

Letzte Frage: Warum hat die queere Szene, besonders die in Berlin, so einen großen Spaß an der Eskalation?

Staci: Ich denke, dass es nicht nur die queere Szene ist – es ist die Linke generell, die sich gern streitet. Das passiert, weil diese Szene sich halt so offen für Kritik zeigt und weil die Organisation oft nicht hierarchisch ist. Wir kennen alle die Geschichten von Plenas, die 3, 4, 5, Stunden gehen, weil die Leute sich ständig streiten. Das ist fast schon eine natürliche Entwicklung bei dieser Art von Politik. Berlin ist nunmal sehr links und es gibt viele linke Queers hier. Deswegen kommen ja auch viele her.

Bruce: Das hat er sehr gut gesagt. Ich möchte noch hinzufügen, dass ein Grund sein könnte, dass Queers die Minderheit in der Minderheit sind.

Staci: Und die Gruppe ist sehr intersektional. Es sind ja alle möglichen Menschen queer, und man definiert sich nicht ausschließlich darüber. Da spielen noch so viele andere Dinge in das queere Leben und die Community rein. Das muss nicht schlecht sein, wenn die Leute diskutieren. Aber es ist besser, wenn sie konstruktiv sind. Es ist ja auch schwierig, ein klares Weltbild für unseren CSD zu haben, weil es eher bei einem Bier entstanden ist und dem Gespräch darüber, dass dieses Jahr nichts passiert und wir etwas Spontanes machen sollten. Und wenn man ein bestimmtes, politisches Ziel anvisiert, hätte man diskutieren müssen. Das wäre nicht spontan lösbar gewesen. Wir sind nur eine Gruppe von Leuten, und uns ist es wichtiger, dass die Menschen zusammenkommen.

 

Pix by Frank M. Rafik

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