Das Leiden hat ein Ende – oder halt eben nicht. Ostern steht vor der Tür, und das bedeutet für uns: Jesus-Filme anschauen bis die Augen rot sind.
Je öfter wir uns ins das Genre „Jesus-Film“ vertiefen – was bisher geschah siehe hier, hier und hier – desto schwieriger wird die Auswahl. Das Grundproblem dieser jährlichen Serie ist, dass wir mit dem Film-Schauen nicht nachkommen. Denn während die Liste der historischen Verfilmungen der Jesus-Geschichte schon endlos ist, werden auch ständig neue Streifen nachproduziert. Dies scheint sich während der vergangenen Jahre noch einmal beschleunigt zu haben. Ein Krisenphänomen? Je kaputter Weltwirtschaft und globale Politik, desto mehr Jesus-Filme? Vielleicht.
Fest steht, dass allein in den vergangen beiden Jahren ein paar exzellente Filme herausgekommen sind, die alle wert wären, sofort in unsere Serie aufgenommen zu werden. Die letzte größere Produktion war Risen, im Februar 2016 in die US-Kinos gekommen. Unter der Regie von Kevin Reynolds – KinobesucherInnen bekannt durch Rapa-Nui und Waterworld, CineastInnen als Ko-Autor des antikommunistischen Meisterwerks Red Dawn, mit Patrick Swayze UND Jennifer Grey als antisowjetische GuerillakämpferInnen – mimt da Joseph Fiennes einen römischen Soldaten, aus dessen Blickwinkel die Auferstehungsstory erzählt wird. Originell.
Außerdem wäre The Young Messiah zu erwähnen, der ebenfalls im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Der Film erzählt die Story des kindlichen Jesus, der dahinterkommt, dass er der Sohn Gottes ist und die Welt zu retten hat – präpubertärer Stress garantiert.
Und dann ist da noch Last Days in the Desert. Dieser beim Sundance Festival 2015 uraufgeführte und 2016 für kurze Zeit in ein paar Kinos gezeigte Film hat einen noch interessanteren Zugang zum Thema. Und deshalb eröffnen wir die Jesusfilm-Saison mit diesem Meisterwerk.
Klappe 7: Stonespotting
Es gibt Filmankündigungen, bei denen man unwillkürlich grinsen muss, weil man weiß: das wird gut! Etwa wenn man von einem Film liest, in dem Ewan McGregor gleichzeitig Jesus und den Teufel spielt. Denn Ewan McGregors Filmliste kann noch so lang geworden sein seit 1996 – wenn man diesen Namen liest, fängt im Kopf der Trainspotting-Soundtrack zu spielen an. Und dann beginnt Last Days in the Desert auch noch wie ein weiterer Jugenddrogenfilm. Jesus McGregor stolpert durch die Wüste, als wäre er grad am Heimweg vom Burning Man Festival: ungewaschen und schmutzig irrt er zwischen Steinen, Felsen und verdorrten Büschen herum, kämpft mit Halluzinationen, als käme er langsam runter von dem Zeug, das ihm irgendein Nachwuchskoch direkt aus dem SUV-Kofferraum verkauft hat.
„Father“, murmelt Jesus alle paar Minuten, während er durch die trostlose Landschaft wankt, „where are you? … speak to me…“ Aber der Vater antwortet nicht. Damit ist das Thema des Films auch bereits zusammengefasst: es geht um den Vater-Sohn-Konflikt, den Jesus mit dem obersten Chef ausficht, angestachelt vom Versucher, der nichts anderes als der personifizierte kritische Verstand Jesu ist (Sigmund Freud würde „Ich“ dazu sagen) – und eben deshalb genauso aussieht wie Jesus.
In dieser Stimmung trifft Jesus auf eine Vater-Mutter-Sohn-Familie, die mitten in der Steinwüste haust – und die im Buch zum Film (Das Neues Testament) nicht vorkommt. Vielmehr spiegeln sich in dieser Familie Jesus‘ Vater-Probleme. Der Wüsten-Teenager will weg, sein alter Herr lässt das aber nicht zu, die beiden sind einander fremd geworden. Die Mutter liegt krank im Zelt und spielt keine Rolle – so wie Maria, nachdem sie Jesus geboren hatte, keine Rolle mehr für die weitere Story spielte, und mit ihr für das offizielle Christentum so ziemlich alle Frauen.
Irgendwann ereignet sich eine Art Bergsteigerdrama. Der Vater stürzt von einem Felsen und stirbt, der Sohn ist endlich frei. „He looks so much smaller now, doesn‘t he?“ sagt er über den soeben verstorbenen Vater. Wenn der Vater/Gott mal gemordet ist, ist er
gar nicht mehr so respekteinflößend. Satan McGregor verfolgt dieses Schauspiel mit diebischer Freude: „A boy needs his fathers‘ permission to become a man. It‘s perverse, isn‘t it?“, fragt er Jesus McGregor, um dessen eigenen Zweifel an seinem Vater (Gott) anzuheizen, der nicht mit ihm sprechen will.
Jesus aber schert sich nicht weiter um die Einflüsterung seines Satans-Alter-Ego und bestärkt den Knaben, seinen eigenen Weg zu gehen. Der Teenager bricht schließlich tatsächlich aus der Wüste in Richtung der geheimnisumwitterten großen Stadt Jerusalem auf und wünscht sich zum Abschied den Segen des heiligen Mannes und ein paar Sinnsprüche für den Weg. Dies nützt Jesus, um das Dilemma zwischen der Loyalität zur väterlichen Autorität (Freud würde „Über-Ich“ dazu sagen) und der Lust aufs Leben (Freud würde „Es“ dazu sagen) noch einmal auf den Punkt zu bringen. „Love god above all things“, empfiehlt er dem Jungen, um gleich hinzuzufügen: „Love life.“ Und wer an dieser Stelle nicht an das „Choose Life“ aus diesem anderen Film gedacht hat, der werfe den ersten Stein.
Klappe 8: Kojak und John Wayne
Vom kurzweiligen Wüstenabenteuer zum langatmigen Epos. An einem langen Spätwinterabend vor einigen Wochen haben wir uns eine große Packung Erdnüsse geholt, uns am Sofa eingerichtet und den mehr als drei Stunden dauernden Jesus-Starreigen namens The Greatest Story Ever Told genossen. Schon der Vorspann dauert eine Ewigkeit – genau 4 Minuten und 49 Sekunden nämlich. Weshalb die Filmemacher der Monumentalfilm-Ära auf einen Vorspann statt auf einen Nachspann gesetzt haben ist leicht erklärt: nach 3 Stunden wäre einfach keiner mehr im Kinosessel sitzen geblieben, um die nicht enden wollende Liste der beteiligten SchauspielerInnen und Crew-Mitglieder zu studieren. Und gerade im Fall der Greatest Story wäre es Schade, nicht mitzubekommen, wer da aller durch die nahöstliche Wüste (bzw. die Wüsten von Arizona, Kalifornien, Nevada und Utah, wo gedreht wurde) zu Beginn unserer Zeitrechnung marschiert. Alle aufzuzählen würde den Umfang dieses Beitrags sprengen, aber ein paar Highlights müssen sein: Max Sydow gibt den sensiblen Jesus, der schon mal eine Träne verdrückt, als Lazarus gestorben ist. Charlton Heston spielt einen Johannes der Täufer, der sich nach bester Spaghetti-Western-Art mit römischen Soldaten prügelt, bis sie alle gemeinsam im Jordan landen. Angela Lansbury tritt als Claudia, Gattin von Pontius Pilatus, auf. Letzterer wird von Telly Savalas gespielt – auch wenn das schon wie ein Witz klingt. Doch bei den Nebenrollen kommt es noch dicker: Donald Pleasance hat einen Kurzauftritt als Satan, Pat Boone wacht als Engel am Grab, Sidney Poitier trägt als Simon von Cyrene das Kreuz und John Wayne spricht als römischer Soldat mit donnernder Cowboystimme den zentralen Satz, nachdem
Jesus am Kreuz vorerst verstorben ist: „Truly, this man was the Son of God.“ Schließlich wäre noch hervorzuheben, dass Claude Rains – allen bekannt als Captain Renault in Casablanca –, hier als Herodes seine Filmkarriere beendete.
Doch was ist nun zum Inhalt des Films zu sagen? Nun, es geht – wie meist in Filmen aus dieser Ära – sehr brav und glatt zu. Die Jesus-Geschichte wird runtergespult, ein paar Szenen sind schön inszeniert und wirken beinahe wie Gemälde (Abendmahl, Kreuzigung). Dies ist nicht verwunderlich. Einer der Gründe für die Kostenexplosion der Produktion, die schließlich 20th Century Fox zum Ausstieg aus dem Projekt bewog, war die Liebe zum Detail, die Regisseur und Produzent George Stevens bewies. Als Storyboard-Zeichner etwa engagierte er den französischen Maler André Girard, der nicht etwa ein paar Skizzen als Vorlage für die Filmszenen ablieferte, sondern 352 Ölgemälde biblischer Szenen.
Ansonsten herrscht gediegene Langeweile vor. Wenns endlich etwas tiefgründiger wird und etwa Jesus mit Pontius Kojak philosophische Dialoge darüber führt, was denn Wahrheit sei, scrollt man längst auf Facebook herum oder spielt eine Runde Quizduell – denn immerhin hat man dann schon knapp drei Stunden absolviert und die Erdnüsse sind längst verspeist. – Wie immer interessiert uns am meisten die Judas-Rolle, und wie so oft finden sich auch hier ein paar interessante Punkte. Judas spielt innerhalb der christlichen Theologie so eine zentrale Rolle (ohne seinen Verrat keine Festnahme Jesu, ohne Festnahme keine Kreuzigung, ohne
Kreuzigung keine Erlösung von der Erbsünde) und hat gleichzeitig einen so schlechten Ruf als Verräter, dass er die Drehbuchautoren am ehesten zu Interpretationen anregt, die über die biblische Vorlage hinausgehen. So auch hier. Das Gespräch
Judas‘ mit den Hohenpriestern, bei dem er ihnen Jesus anbietet, ist in den Evangelien sehr kurz: Judas fragt, was er für die Sache kriegt, die Priester versprechen ihm dreißig Silberstücke, und der Deal ist in trockenen Tüchern. In The Greatest Story fühlt sich Judas hingegen bemüßigt, sein Verhalten zu relativieren, indem er Bedingungen für den Verrat formuliert: „Ich übergebe ihn euch, wenn ihr versprecht, dass ihm niemand was zuleide tut“, sagt er zu den Hohepriestern. Außerdem bekräftigt er seine Loyalität zum Meister: „Jesus ist der beste und gütigste Mensch, den ich je kennengelernt habe“, erklärt Judas und unterstreicht: „Ich liebe ihn.“ Warum tut er dann, was er tut? Ist er eine Ratte oder ein willenloses Werkzeug des göttlichen Heilsplans? Und wenn letzteres zutrifft: was bedeutet das für das Menschenbild des Christentums? Seit Jahrhunderten diskutieren Philosophie und Theologie diese Fragen (Stichworte Prädestination vs. freier Wille) und kommen auf keinen grünen Zweig.
Interessant ist aber auch die Darstellung des Todes Judas‘ im Film. Die Bibel kennt zwei Versionen. Nach Matthäus 27,3-10 hängt er sich aus Verzweiflung über seine Schuld am Tod von Jesus auf – in vielen Bildern und Nacherzählungen der Bibel wird diese Variante
gewählt. Die Apostelgeschichte hingegen berichtet über ein merkwürdiges Drama am Feld: „Mit dem Lohn für seine Untat kaufte er sich ein Grundstück. Dann aber stürzte er vornüber zu Boden, sein Leib barst auseinander, und alle Eingeweide fielen heraus.“ (Apg 1,18) The Greatest Story erzählt nun eine Geschichte, die in der Bibel nicht zu finden ist, aber durchaus ihren theologischen Reiz hat. Judas wirft sich ins Brandopferfeuer vor dem Tempel. Somit ist er das vorletzte Opfer, denn mit der (Selbst)-opferung Jesu ist dieses Kapitel ja dann beendet: Aus der theologischen Reinigung der Menschheit von der Erbsünde durch Jesu Kreuzigung leitet sich religionsgeschichtlich das Fehlen ritueller Opfer im Christentum ab.
– Von René Dupé
Lust auf mehr? Hier nochmal die Links zu den ersten drei Teilen unserer Serie:
http://lowerclassmag.com/2014/04/keiner-starb-oefter-best-of-jesus-filme-teil-1/
http://lowerclassmag.com/2015/04/keiner-starb-oefter-best-of-jesus-filme-teil-2/
http://lowerclassmag.com/2016/03/keiner-starb-oefter-best-of-jesus-filme-teil-3/