Das Innenministerium verbietet die Flaggen kurdischer Vereine. Die linksliberale Kritik daran wirkt allerdings ihrerseits an der Delegitimierung der kurdischen Bewegung mit. Ein Kommentar von Fatty McDirty
Das deutsche Innenministerium hat dem türkischen Regime erneut ein Geschenk zukommen lassen: Die Fahnen zahlreicher legaler kurdischer Organisationen wurden verboten. Neben den Student*innen der YXK, trifft es auch die Fahnen der in Syrien gegen den Islamischen Staat, türkische Besatzer und andere Banden kämpfenden YPG und YPJ.
Das ist skandalös. Und es ist gut, dass dieses Verbot einen Aufschrei verursacht. Allerdings bringt dieser Aufschrei auch eine Reihe an Argumenten hervor, die inhaltlich eher schädlich sind. In den liberalen Kreisen der linken Öffentlichkeit Deutschlands findet sich seit Jahren folgende Einstellung: Man ist irgendwie für die kurdische Bewegung, insbesondere die Halklarin Demokratik Partisi (HDP) findet man total dufte. Auch des Zaubers, der von den in Nordsyrien kämpfenden Selbstverteidigungskräften YPG und ihren Fraueneinheiten YPJ ausgeht, kann man sich nicht ganz erwehren. Aber ansonsten ist man eben ganz und gar gegen „Gewalt“, egal von wem sie ausgeht und wem sie dient. Und deshalb hat man dann doch eher ein gebrochenes Verhältnis zur PKK und ihrer Guerilla HPG, denn mit revolutionärem Krieg will man nichts zu tun haben. Lieber soll die HDP die Wahlen gewinnen und dann wie eine Art kurdische Syriza das Schlechte ein bisschen besser machen.
Diese Auffassung ist zwar recht hübsch, wenn man an Universitäten dozieren oder bei Rotwein und Abendessen mit SPD-Freund*innen als „Linker“ reüssieren will. Man kann sie allerdings nur vertreten, wenn man auf Gedeih und Verderb vermieden hat, jemals wirklich mit der kurdischen Bewegung in Bakur, Basur, Rojhelat und Rojava in Kontakt gekommen zu sein. Und man muss sich eine immense Ignoranz gegenüber den tatsächlich bestehenden Unterdrückungsverhältnissen im Mittleren Osten antrainiert haben.
„Diese Region befindet sich im Dritten Weltkrieg“, erklärt uns ein Jugendlicher in Machmur, der in der YPG gekämpft hat. „Dutzende Staaten und ihre Proxy-Milizen sind hier aktiv. Wer hier keine Waffen hat, ist auch keine politische Kraft.“ Für alle hier – egal ob aus Syrien, den kurdischen Gebieten der Türkei, dem Irak oder Iran – sind PKK, HPG und YJA-Star, die Frauenguerilla, das Herzstück der gesamten kurdischen Befreiungsbewegung.
Das soll nicht bedeuten, dass legale Parteien wie die HDP oder die lokalpolitisch aktive DBP unwichtig oder gar überflüssig sind. Aber sie sind ein Mittel zu einem anderen Zweck, nicht schon für sich genommen der Zweck. Der eigentliche Anspruch der kurdischen Bewegung ist nämlich nicht, einfach die coolste Gang in der parlamentarischen Hood zu werden, sondern die kapitalistischen Staaten, die sie per se als Problem ansieht, durch andere Formen gesellschaftlicher Organisation zu ersetzen.
Um das zu erreichen, gibt es ein breites Netzwerk unterschiedlicher Organisationen. Manche davon sind (oder waren bis vor kurzem) legal – wie die oben genannten Parteien und hunderte verschiedene zivilgesellschaftliche Vereine – , andere sind semi-legal – wie die eigentlichen Rätestrukturen -, andere sind illegal – wie die Guerilla in den Bergen (HPG, YJA-Star) oder in den Städten (YPS, YPS-Jin). Der ideologische Kern dieses Netzwerkes, der alle verbindet, kann recht simpel zusammengefasst werden: Wir bauen unsere eigenen Formen eines neuen Zusammenlebens jenseits von Staat und Kapitalismus schon heute auf. Und wenn uns dabei jemand angreift, werden wir diesen Feind zur Not auch militärisch bekämpfen.
Dass am Ende immer jemand angreift, liegt an der Verfasstheit von Staaten in Klassengesellschaften und der geostrategischen Bedeutung der vier Teile Kurdistans. Insofern gibt es eben ohne die Guerilla auch alle die Dinge nicht, die von den Linksliberalen so bewundert werden: Ohne Guerilla keine HDP; ohne Guerilla keine Hilfsvereine; ohne Guerilla überhaupt keine Organisierung der kurdischen Bevölkerung, die nicht im politischen oder tatsächlichen physischen Genozid enden würde. „Die Guerilla verteidigt uns“, sagt ein Bewohner des Flüchtlingslagers Machmur. „Wenn es sie nicht gäbe, hätte uns 2014 Daesh hier vertrieben. Und heute würde die KDP Sengal besetzen und dann uns plattmachen.“
Wer sich also ständig bemüht, den „zivilen“ Teil vom „militärischen“ zu trennen, der sagt nicht nur etwas faktisch Falsches, sondern missachtet auch die tausenden von gefallenen Kämpfer*innen der PKK: Diejenigen, die geholfen haben, Kobane zu verteidigen. Diejenigen, die in Bakur Widerstand geleistet haben. Diejenigen, die im Irak gegen Daesh vorgingen.
Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Wer etwa dieses – allen Fakten trotzende – Märchen weiter erzählt, die YPG sei doch gar nicht mit der PKK verbunden, der spielt genau jener Strategie in die Armee, die die USA seit der Obama-Administration fahren: Bekämpfe mit der Türkei die PKK, trenne die YPG von ihrer Schwesterorganisation ab und mache sie zu einem liberalen, sozialdemokratischen Kollaborateursregime wie das Barzanis.
Wenn wir also nun gegen das Flaggenverbot des Innenministeriums vorgehen, lasst uns nicht mit gesenktem Haupt sagen: „Entschuldigung, lieber Staat, aber die sind doch gar nicht PKK. Erlaub‘ die doch bitte wieder.“ Lasst uns lieber sagen: „Eure Verbote interessieren uns nicht. Der Kampf der kurdischen Bewegung ist gerechtfertigt und wir werden ihre Farben, Symbole und Abzeichen tragen, wann wir wollen – und zwar alle!“