[Anarchistische und libertäre Perspektiven auf Selbstorganisierung in Griechenland 6/7] „Für das Getriebe der Bewegung“

1. März 2017

Im letzten Artikel haben wir die politische Vernetzung „Integral Cooperative Heraklion“ vorgestellt. Zusammen versuchen die Aktivist*innen, der kapitalistischen Agrarwirtschaft eine solidarische und ökologische Alternative entgegenzustellen. So haben wir einen Einblick in den Aufbau eines nicht-kapitalistischen „Produzent*innen-Konsument*innen“-Netzwerks erhalten. Mit dem folgenden Beitrag über die Oliven-Kooperative „Becollective“ auf Kreta kann dieser Eindruck weiter vertieft werden.

Während es bei unserem Besuch in Heraklion Ende Dezember immerhin noch kühle sieben Grad waren, hatte sich auf den Bergen Kretas bereits der Schnee festgesetzt. Einige Straßen waren nur beschwerlich passierbar, während wir mit Xabala telefonierten, einem Aktiven der 2010 gegründeten Kooperative „Becollective“. Später treffen wir ihn für ein Gespräch in einem Bezirk nahe der Innenstadt.

„Becollective“ ist eine anarchistische Kooperative, die auf Kreta ihre Felder und Olivenhaine bestellt. Politisch agiert sie jedoch weit über die gesetzten nationalen Grenzen hinaus. S[sg_popup id=“3″ event=“onload“][/sg_popup]o gibt es enge Verbindungen zu Aktivist*innen in Frankreich, Österreich und Deutschland, welche bspw. die Produkte in den jeweiligen Städten verkaufen. Darüber hinaus sind sie ebenfalls Teil der „autonomen Märkte“, die Aspekte einer Organisierung von unten nach außen sichtbar machen und bewerben wollen. Auf diese Weise können Konsument*innen für eine ökologische und solidarische Landwirtschaft politisch sensibilisiert werden.

„Aktuell sind wir eine Handvoll Leute in der Kooperative“, beginnt Xabala, „viele Genoss*innen helfen uns jedoch in der Erntezeit.“ Auf die Frage, ob sie sich als Teil einer „solidarischen Ökonomie“ sehen, betont Xabala den politischen Charakter der Kooperative: „Das kommt darauf an, wer diesen Begriff benutzt. Auch der Staat verwendet diese Begrifflichkeit. Wir jedoch sind Anarchist*innen und wollen uns von diesen staatlichen Ansätzen abgrenzen.“ Der anarchistische Ansatz bedeutet für Xabala konkret: eine horizontale Arbeitsorganisation, ohne Hierarchien, ohne Chefs.

Darüber hinaus wird in der Praxis aus dem ökonomischen Gewinn des Verkaufs der Produkte ein fester Prozentsatz an politische Projekte abgeführt. So kann ein wichtiger Beitrag zur Finanzierung lokaler politischer Basisansätze geleistet werden: „20 Prozent [des Gewinns, Anm. F.P.] gehen an den Solidaritätsfonds. Zum Beispiel an ‚Apatris‘, gefangene Genoss*innen und an Geflüchtete.“ [1] Xabala bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die die Unterscheidung zwischen „staatlichen Steuern“ und der, wie er es lächelnd bezeichnet, „Movement Tax [Bewegungs-Steuer]“. Außerdem ist „becollective“ teil der lokalen Währung „Kukis“ und des „fair coin“-Prinzips. Letzteres versucht sich als ein globales Zahlungsmittel für Basisbewegungen jenseits bestehender kapitalistischer Währungssysteme zu etablieren. Zudem werden Waren getauscht, um sie auch in anderen Regionen bekannter zu machen. Aktuell wird über ein Hamburger Kollektiv bspw. Olivenöl gegen Kaffeebohnen von einer Frauen*-Kooperative aus Bolivien getauscht. In Zukunft ist geplant, auch in anderen Bereichen der Konsumwaren ein explizit politisches und kollektiv produziertes Angebot ausbauen zu können. So soll neben dem ursprünglichen Fokus auf Olivenöl auch der Anbau und die Produktion von Bier, Gemüse, Honig sowie natürlichen Kosmetikprodukten einen größeren Platz einnehmen.

 

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage Griechenlands unter dem Spardiktat und der forcierten Neoliberalisierung durch die Quadriga stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit die kollektive Organisierung der Produktion einen Weg jenseits der bestehenden Verhältnisse aufzeigt. „Wir sehen unsere Arbeit nicht als Antwort zu den Problemen der kapitalistisch verfassten Gesellschaft“, stellt Xabala klar. „Wir sehen sie als Experiment. Wir probieren das unter dem bestehenden Wirtschaftssystem aus. Wir wollen so arbeiten, wie wir es in der Zeit nach der Revolution können.“ Am Beispiel der neoliberalen Gesellschaft erklärt Xabala, wie Selbstorganisierung auch vom kapitalistischen System genutzt wird. Am Beispiel vieler „unpolitischer“ Landkooperativen, u.a. im sogenannten „Bio-Segment“, lässt sich das nachvollziehen. Bei ihnen dient die eigene Produktionsweise nicht der Überwindung kapitalistischer Ausbeutung und der damit einhergehenden ökologisch fatalen Agrarwirtschaft. Stattdessen repräsentieren ihre Denkweisen von „bäuerlicher Romantik“ und „sicherem Einkommen“ eher ein kleinbäuerlich-kleinbürgerliches Gehabe.

„Wir haben eine selbstorganisierte Struktur, die auch gleichgesinnte Menschen unterstützen möchte. Wir möchten ein kleines Bild der Gesellschaft malen, die wir schaffen möchten.“ Mit dem wachsenden öffentlichen Bewusstsein für das Wirken der kapitalistischen Krise in Griechenland sei die Anzahl der Personen, die sich selbstorganisiert nach ökonomischen Alternativen umschauen, gestiegen, konstatiert er. Jedoch versuchen viele gerade in diesen Zeiten, ihre individuelle Existenz zu sichern. Die Genoss*innen um „Becollective“ sind zwar finanziell nicht vorteilhafter aufgestellt, bringen jedoch eine bedeutende gesellschaftspolitische Komponente ins Spiel: Wie wollen wir unsere Grundbedürfnisse, hier vor allem die Versorgung mit Nachrungsmitteln, eigentlich solidarisch organisieren?

Ähnlich wie im vorherigen Gespräch mit Michalis von „Integral Cooperative Heraklion“ sieht Xabala einen wichtigen Punkt im Preis der Produkte. „Wir wollen, dass sich jede*r unsere Produkte leisten kann. Ein Weg ist die Partizipation in einem lokalen Kollektiv, um Waren, Wissen oder Arbeit tauschen zu können. […] Damit können Beziehungen aufgebaut und das Produzent*innen-Konsument*innen-Verhältnis aufgebrochen werden. […] Das bezieht den*die Konsument*in aktiver in den Produktionsprozess ein.“ Xabala geht dabei näher auf das kapitalistische Konsumverhalten ein. Dies stütze sich darauf, immer mehr zu einem immer niedrigeren Preis konsumieren zu wollen, wodurch die Qualität der Produkte rapide abnehme. Die Beziehungsarbeit zwischen Käufer*innen und Produzent*innen müsse politischer werden, um ein Bewusstsein für gemeinsame Praktiken zu entwickeln, die die Verhältnisse progressiv (mit-)verändern können.

Dies passiert jedoch nicht allein im lokalen Rahmen. Vor allem die Ernetzeit bedeutet bei „Becollective“ praktische internationale Vernetzung. Aus vielen Ländern reisen Aktivist*innen an. Dabei leisten sie nicht nur Support bei der konkreten Arbeit auf den Feldern. Sie nehmen auch intensive Eindrücke von der kollektiven Produktion und Vernetzungsperspektiven „nach Hause“ mit. Hierbei kommt es für Xabala vor allem darauf an, keine opportunistischen Vernetzungen einzugehen. Aus diesem Grund wird auch die Verbindung zum „Bio-Segment“ abgelehnt, welches als „kapitalistische Lizenz“ firmiert, an der der Staat mitverdient. Die Arbeitsorganisation von unten bleibt der zentrale Punkt in der politischen Beziehung zu anderen Kollektiven/ Kooperativen.

Dennoch ist die Arbeit von „Becollective“ nicht losgelöst von den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen mit Ausgrenzung und Ausbeutung zu sehen. „Wir möchten von der Arbeit leben; dies ist uns jedoch noch nicht gelungen. Die meisten von uns haben noch Nebenjobs […] Viele versuchen hier zu überleben, ihre Existenz zu verteidigen„, gibt er preis. Die praktische Verschränkung der eigenen ökonomischen Situation mit der gesellschaftlichen tritt so offen zutage. Das Zusammenführen von sozialen Kämpfen, die Bezugnahme darauf in der Produktionsweise, im eigenen politischen Wirken und der Unterstützung anderer Kämpfe, ist da nur folgerichtig. „Diese Anätze werden am Ende nicht viel bringen, wenn wir den Kapitalismus nicht überwinden“, stellt Xabala zum Abschluss klar. Damit einher geht die Notwendigkeit, auch den Individualismus hinter sich zu lassen und Kollektivität zu leben anstatt sie immer nur einzufordern. Auch über den, im urbanen Raum oft vernachlässigten, landwirtschaftlichen Bereich hinaus, ist dieser Ansatz inspirierend.

von Felix Protestcu

[1] Artikel auf lowerclassmag zum Apatris-Network:
https://lowerclassmag.com/2017/01/anarchistische-und-libertaere-perspektiven-auf-selbstorganisierung-in-griechenland-17-informationen-fuer-die-soziale-revolte

„Becollective“ im Web:
https://becollective.espivblogs.net/category/who-we-are/uber-uns

Video:

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