Gespräch mit dem Sprecher der Gefangenengewerkschaft (GG/BO), Oliver Rast, über Sozialdumping hinter Gittern, basisgewerkschaftliche Arbeit und die Frage, was ein „linkes“ Projekt ausmacht
Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist derzeit oft in den Medien. Dabei standen in den vergangenen Monaten meist spektakuläre medientaugliche Ereignisse wie die Schmuggelaffäre in der JVA Tegel im Mittelpunkt. Wir wollen aber einen Schritt zurück gehen. Wie ist die heute so aktive Organisation entstanden?
Die Gefangenengewerkschaft wurde im Mai 2014 in der JVA Tegel gegründet. Der Ausgangspunkt war, dass wir keinerlei Ressourcen hatten. Es gab ein bisschen Unterstützung, ein paar Korrespondenzen mit Aktivisten außerhalb des Knasts, die sich in Basisgewerkschaften organisiert haben, sowohl in der FAU, als auch in der IWW. Allerdings war relativ schnell klar, dass es für die beiden erstmal nicht in Frage kam, eine Gefangenengewerkschaft quasi als Sektion in ihre jeweilig Organisation zu integrieren. Deshalb hat die GG/BO im besten Sinne des Wortes autonom begonnen, und daran hat sich bis zum heutigen Zeitpunkt nichts geändert. Nach wie vor gibt es aber gute Kontakte sowohl zu FAU, als auch zur IWW.
Aus den zwei, drei Mitgliedern in der JVA Tegel sind bis zum heutigen Tag etwa 1.000 Mitglieder bundesweit geworden. Das heißt nicht, dass jedes Mitglied total aktiv ist, aber jedes Mitglied zeigt über die Mitgliedschaft in der GG/BO eine Kontraposition zur bundesrepublikanischen Vollzugsrealität. Das ist diesen Menschen hoch anzurechnen, weil GG/BO-Mitglieder nicht nur keine Unterstützung seitens des Anstalts-Apparats erfahren, sondern eher mit Schikanen und einem knastspezifischen „Union busting“ konfrontiert sind.
Worum geht es der GG/BO?
Es gibt bei unserer Arbeit ein paar Kernpunkte. Zum einen ist da die Forderung nach Einbeziehung der Gefangenen in das Mindestlohnmodell und in die Sozialversicherung, konkret Rente und Krankenversicherung. Bei der Arbeitslosenversicherung gibt es weiterhin eine Schlechterstellung für Inhaftierte; arbeitsfreie Feiertage oder Sonntage etwa werden bei diesen nicht in die Berechnung miteinbezogen, was bedeutet, dass die Gefangenen letztlich länger arbeiten müssen, um nach einer etwaigen Entlassung Anspruch auf die jeweiligen Leistungen zu haben.
Abgeleitet von diesen Grundforderungen setzen wir uns für die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern. Da beziehen wir uns ganz sozialreformerisch auf das deutsche Grundgesetz, das die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit für jedermann vorsieht. Letztere ist derzeit juristisch noch umstritten und wird von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilt. Wir gehen davon aus, dass es irgendwann, vielleicht in zwei, drei Jahren, eine höchstrichterliche Entscheidung dazu geben wird.
Inhaltlich geht es darum, bestimmte Begriffe knastintern wirkmächtig werden zu lassen – also etwa Solidarität, Emanzipation oder Autonomie. Auch das ist natürlich ein völliges Kontrastprogramm zur Vollzugsrealität, weil Haftanstalten nicht der Ort sind, wo sich Inhaftierte autonom zu bewegen haben, sondern die haben sich zu fügen. Aber auch hier gilt: Inhaftierte haben Grundrechte, und wir leisten einen Beitrag, diese durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sprechen wir nicht von „Resozialisierung“, sondern von „Sozialisierung“.
Der wichtigste Punkt eurer Arbeit ist es, „die soziale Frage hinter Gittern zu stellen“, wie ihr oft formuliert. Was bedeutet das konkret?
Wir haben eine Untersuchung zur Arbeitsrealität in den Knästen durchgeführt. Dafür haben wir einen Fragenkatalog für die Inhaftierten erstellt, mit dem wir der Frage nachgegangen sind, welche Unternehmen in welchen Betrieben welche Produkte zu welchen Konditionen herstellen lassen. Da gab es einen überraschend großen Rücklauf, und es hat gezeigt, dass die „Billiglohninsel Knast“ Realität ist, und dass Sozialdumping hinter Gittern Realität ist. Der Urkonflikt zwischen Arbeit und Kapital ist hinter Gittern nicht außer Kraft gesetzt – ganz im Gegenteil. Konkret ist statistisch feststellbar, dass es in der BRD keinen Elektrokonzern, keinen Automobilkonzern gibt, der nicht zumindest über Subunternehmem die verlängerte Werkbank hinter Gittern nutzt. Besonders perfide ist dabei, dass die Unternehmen hinter Gittern sozialabgabenfrei produzieren lassen. Das macht das Ganze besonders lukrativ für sie. Letztlich bedeutet dies – auch wenn das nicht wirklich unser Punkt ist – auch eine Wettbewerbsverzerrung für das örtliche Gewerbe. Es gibt tatsächlich Fälle, wo Klein- und Mittelbetriebe Auftragseinbußen haben, weil Auftragsspitzen eher im Knast abgearbeitet werden als in den örtlichen Fabriken. Das ist insofern von Bedeutung, als ja oft behauptet wird, die Knastarbeit sei „marktfern“. Das Gegenteil ist der Fall: Knastarbeit ist Teil der Wertschöpfungskette und somit Teil des „Marktgeschehens“. Sieht man sich die Homepages des „vollzuglichen Arbeitswesens“ an, dann sieht man, dass mit diesen „Vorteilen“ auch offensiv geworben wird. Wir thematisieren das vor dem Hintergrund, dass es weiterhin vor-wilhelminische Arbeitsverhältnisse gibt, wo selbst die Bismarck‘sche Sozialgesetzgebung außer Kraft gesetzt ist. Dass das skandalös ist, ist selbst liberalen Menschen verständlich zu machen. Letztlich zeigt auch die mediale Resonanz, die wir erfahren, dass wir hier einen neuralgischen Punkt getroffen haben.
Ist die GG/BO ein linkes Projekt? Immerhin organisieren sich in dieser ja nicht nur Menschen, die sich selbst als „links“ bezeichnen.
Kernpunkt ist wie gesagt, die soziale Frage hinter Gittern zu stellen. Und dazu gehört auch, die GG/BO nicht auf eine reine Knastgewerkschaftsidee zu reduzieren. Unser Ansatz ist vielmehr, die soziale Frage hinter Gittern mit KollegInnen zu stellen, die inhaftiert sind und solchen, die nicht inhaftiert sind, und nach Antworten zu suchen. Das ist bereits ein emanzipatorischer Akt: die hinter Verschluss gehaltene Arbeitswelt hinter Gittern aufzureißen und Menschen aus dem basisgewerkschaftlichen Milieu oder auch aus der DGB- bzw. ÖGB-Basis für diese Frage zu interessieren. Das gelingt bei den Basisgewerkschaften IWW und FAU gut bis sehr gut, auch wenn diese nicht die organisatorischen Voraussetzungen haben, um den nötigen Support zu liefern, partiell gelingt es auch bei Untergliederungen des DGB: die ver.di-Jugend ist da offen, die DGB-Jugend, die IG-Metall-Jugend und die Studierenden in den einzelnen DGB-Gewerkschaften ebenfalls.
Aber konkret zur Frage, ob es ein linkes Projekt ist: aufgrund meiner Rolle als „Vortänzer“ der GG/BO soll natürlich anhand meiner politbiographischen Vergangenheit dokumentiert werden, dass bestimmte Inhaftierten-Klientele im Rahmen der GG/BO nicht so gerne gesehen sind. Allerdings schiebe ich gleich hinterher: wir unternehmen keinen Ideologie- oder Gesinnungstest. Jede und jeder kann im Rahmen der GG/BO aktiv werden, wenn er oder sie die Leitlinien unserer Organisationen anerkennt. Ich würde die GG/BO als gewerkschaftliches Projekt bezeichnen, das aufgrund der Selbstorganisierung und der Autonomie der einzelnen Sektionen sehr viel mit einem linken und emanzipatorischen Grundverständnis zu tun hat.
Ihr hattet von Beginn an viel Medienresonanz. Wie erklärst du dir das?
Nach dem, was ich von JournalistInnen gehört habe, scheint die GG/BO für diese ein Phänomen zu sein, für das sie erstmal kein Erklärungsmodell haben, und das genau deshalb interessant ist. Da ist wie Phönix aus der Asche eine kleine soziale Bewegung entstanden, deren Klientel auf der Beliebtheitsskala ganz unten angesiedelt ist. Gleichzeitig haben unsere Forderungen eine sehr hohe Anschlussfähigkeit – sowohl innerhalb der Haftanstalten, als auch außerhalb. Denn für die meisten Menschen ist es total plausibel, dass die Situation bezüglich Lohndumping im Knast nach
Veränderung schreit. Das interessiert viele Menschen, da auch eine große Unkenntnis darüber vorherrscht, dass es überhaupt eine Arbeitswelt hinter Schloß und Riegel gibt, wo real Mehrwert produziert wird und nicht Ausschuss. Dann kommt natürlich auch der Crime-Faktor hinzu, der vor allem für boulevardeskere Zugänge interessant ist.
Mit Georg Huß wurde vor einigen Wochen ein GG/BO-Aktivist in Frankreich neuerlich in Haft genommen. Wer ist Georg Huß und wie ist aktuell seine Situation?
Georg Huß war einer der Protagonisten des Aufbaus des österreichischen Ablegers der GG/BO. Wenige Monate vor seinem Haftende ist er im Frühling letzten Jahres nach Deutschland abgeschoben worden. Nach seiner Haftentlassung hat Georg in Berlin und Leipzig die GG/BO-Arbeit fortgesetzt. Gleichzeitig – und damit geht er sehr offen um – ist er als Hanfbauer unterwegs. Vor zwei Monaten ist er an der französisch-deutschen Grenze mit 1,5 Kilogramm Cannabisprodukten aufgefallen. Das brachte ihm in einem Schnellverfahren zwölf Monate Haft ein, die er jetzt im Elsaß im Knast in Mühlhausen absitzt. Er ist dort wieder sehr aktiv und versucht das GG/BO-Modell in französischen Gefangenenanstalten publik zu machen. Das Problem dabei ist allerdings, dass es im französischen Recht einen Passus gibt, der inhaftierten Menschen Gewerkschaftstätigkeit komplett untersagt. Deshalb ist Georg aber nicht inaktiv. Am 1. Januar ist er in einen Hungerstreik getreten, hat einen Forderungskatalog aufgestellt – mit gewerkschaftlichen Forderungen, aber auch solchen, die den Strafvollzug in Frankreich generell betreffen. Er ist weiterhin einer der agilsten Aktivisten der GG/BO und unter anderem auch in ständigem Austausch mit dem österreichischen Ableger des GG/BO-Projekts, das er auch nach seiner Entlassung weiter unterstützen will.
Wie ist der Stand des GG/BO-Aufbaus in Österreich?
Nach der Abschiebung von Georg hatten wir etwas Schwierigkeiten, die Sache in Österreich am Laufen zu halten. Oliver Riepan hat sich ebenfalls sehr engagiert, und vor einigen Monaten hat sich nun ein kleines, aber stabiles Solidaritätsnetzwerk in Wien gebildet. Dieses koordiniert in Österreich den Support von außerhalb der Haftanstalten. In nächster Zeit wollen wir auch hier die soziale Frage hinter Gittern und die Arbeitswelt in den Knästen stärker publik machen. Auch in Österreich bekommen inhaftierte Beschäftigte keinen Mindestlohn, sind nicht in der Pensionsversicherung, haben kein verbrieftes Recht, sich gewerkschaftspolitisch zu engagieren.
Die GG/BO in der Bundesrepublik ist für diese Aktivitäten eine Vorlage, die wir in Hinblick auf die Situation in Österreich adaptieren. Dafür sind wir derzeit auch in Gesprächen mit potenziellen BündnispartnerInnen, wobei es bereits vom Gewerkschaftlichen Linksblock positive Signale gab, und auch zum syndikalistischen und unionistischen Bereich gibt es enge bis engste Kontakte, also sowohl zum Wiener ArbeiterInnensyndikat, als auch zu den Wiener Wobblies. Da letztlich immer auch die „realpolitische“ parlamentarische Schiene befahren werden muss, um Veränderungen durchzusetzen, werden wir auch versuchen, mit progressiveren ParlamentarierInnen in Kontakt zu treten. Auch da gibt es bereits Signale von einzelnen Grünen in Wien, allerdings müssen diese Kontakt durchaus noch vertieft werden.
Weiter Infos zur GG/BO:
http://ggbo.de
http://ggraus.blogsport.at