Wie konnte ein sexistischer, rassistischer, soziopathischer Multimilliardär Präsident der USA werden? Und was bedeutet das für die Linke in den Vereinigten Staaten? Interview mit Stimulator vom anarchistischen und antikapitalistischen Filmkollektiv subMedia.tv
# subMedia.tv ist ein nord-amerikanisches Filmkollektiv, dessen Ziel es ist anarchistische und antikapitalistische Ideen zu fördern, und sozialen Kämpfe durch die Verbreitung radikaler Filme und Videos zu unterstützen. Gegründet 1994 in Kanada hat subMedia.tv hunderte von Videos produziert: Von der Antiglobalisierungsbeweggung, über Demonstrationen gegen den G20 Gipfel in Toronto bis Filme über die Black Panthers oder einfach Ladendiebstahl. Ihre Filme wurden schon weltweit in sozialen Zentren und Kinos vorgeführt und haben Millionen Zuschauer im Netz erreicht. Auch in Europa verfolgen meist Anarchist*innen und Sympathisanten die sehr unterhaltsamen Nachrichtenshows die schon seit 10 Jahren von dem fiktiven Charakter „Stimulator“ moderiert werden. In der letzten Sendung von 2016 annoncierte Stimulator seinen Rücktritt – um Platz für neue Projekte zu machen. Im Februar geht die neue Website sub.media online und der Fokus wird auf Bildungsproduktionen gelegt.
Sehr regelmäßig berichtet subMedia.tv auch über Proteste im Rest der Welt wie etwa die Riots auf dem Syntagma Platz in Athen oder die großen Ausschreitungen im Rahmen der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am 18. März 2015. Die aktuelle Seite www.submedia.tv zeigt alle Videos ab 2003.
Seit vielen Jahren verfolgt das Kollektiv sehr eng die Ereignisse in den USA und unterstützt mit ihren Videos diverse Mobilisierungen. Dazu gehört die Occupy Bewegung, Black lives matter oder letztens die zahlreichen Aktionen gegen Trump. Aktuell rufen sie dazu auf sich den Protesten am 20. Januar gegen dei Vereidigung Trumps in Washington D.C. (#J20) zu beteiligen. Die Übersetzer nahmen Kontakt zu ihnen auf, weil sie als solide US-Expert*innen gelten und neugierig waren wie der nordamerikanische anarchistische Geist zu den Erschütterungen des „Trumpismus“ tickt. Es lohnt sich neben dem Interview auch das subMedia.tv Video zu Trump reinzuziehen.
Ein irrer, autoritärer und super rechter Business-Mogul wird der nächste Präsident der USA. Das ist kein Simpsons-Joke, sondern Realität. Was zum Teufel ist bitte da los?
Tja, die Kacke ist am Dampfen. Ich würde sagen, dazu haben eine Menge unterschiedlicher Faktoren und Dynamiken, die sich seit einiger Zeit zusammenbrauen, geführt: Die Langzeitauswirkungen der neoliberalen Freihandelsabkommen und Austerität, wachsende Desillusion und Unzufriedenheit gegenüber der politischen Elite, eine von FOX News dominierte Medienlandschaft mit einem wuchernden Trend zum Stars-Anhimmeln – all das hatte einen massiven Einfluss auf die vornehmlich weißen, ländlichen Communities… und dabei kam Trump raus.
Wie konnten es die Demokraten dermaßen verbocken? Sie hätten Sanders haben können, aber sie haben sich für Hillary entschieden. Also wirklich, ausgerechnet Hillary? – vielleicht DIE heuchlerischste Politikerin der USA?
Ich habe in meiner Sendung schon länger gesagt, dass das Democratic National Committee (DNC) [nationale Organisation der Demokratischen Partei] nicht mal im Traum Bernie Sanders zur Kandidatur aufgestellt hätte – selbst mit entsprechenden Umfragewerten, die Sanders gegen Trump deutlich bessere Chancen attestiert hatten. Die verschiedenen Machtblöcke, die die US-Politik maßgeblich bestimmen und beide Parteien finanzieren, würden niemals einen selbst-erklärten Sozialisten als Präsidenten tolerieren. Das wird schlichtweg nicht passieren. Never ever.
Aus meiner Sicht bestand Bernies Rolle darin, junge Wähler*innen anzusprechen, die zunehmend der Politik die kalte Schulter zeigen. Diese jungen Leute sollten durch Bernie in die Hände der Demokratischen Partei gelangen, damit dieser später die Bühne räumt und Hillary all die Energie und Stimmen abbekommt. Bernie hat diesen Kurs vorangetrieben. Er hat drauf verzichtet mit der Unterstützung seiner Anhänger*innenschaft wirklichen Druck auf die Partei auszuüben und hat selbst die Hintertür einer unabhängigen Präsidentschaftskandidatur früh zugeknallt – was andernfalls wiederum politischen Druck gegenüber das DNC aufgebaut hätte.
Schließlich war das Parteiestablishment angesichts seines Erfolges sehr überrascht, vor allem durch das ganze „Bernie or Bust“-Phänomen [„Bernie oder nichts“]. Die Vorstellung, dass die Sanders-Anhänger selbst mit der Pistole an der Brust nicht Hillary Clinton wählen würden, war für sie undenkbar. Übrigens ist den durch WikiLeaks veröffentlichen Emails zu entnehmen, dass die Clinton-Kampagne bewusst Trump in den Primaries der Republikaner unterstützt hat; nicht wenige Demokrat*innen waren sicher, dass Hillary Trump im Duell fertig macht. Das zeigt, wie arrogant sie geworden sind und wie weit sie sich vom amerikanischen Standard-Wähler entfernt haben.
Trumps Kabinett komplettiert sich langsam – und es sieht übel reaktionär und chauvinistisch aus. Zeigt sich dieser Spirit immer noch auf den Straßen? Es gab ja einige Gewaltexzesse von sämtlichen Rechten, die auf alles und jeden losgingen, was nicht in ihr beschränktes Weltbild passte.
Man sollte zwischen den Kabinettsmitgliedern und denjenigen unterscheiden, die auf der Straße ihren Hass in Form von rassistischen, homophoben und menschenfeindlichen Übergriffen ausüben. Trumps Kampagne war eine Plattform für eine lose Allianz von Neo-Nazis und white supremacy Nationalisten, die unter der Fahne der sogenannten „Alt Right“ Bewegung zusammenfanden. Es ist nicht zu leugnen, dass sie sich durch Trumps Kampagne bestätigt fühlten – durch das Gerede um eine Grenzmauer zu Mexiko, die Registrierung und Abschiebung von Muslimen usw. Vor allem die Benennung Steven Bannons (Breitbart News) zu seinem Kampagnenleiter und nun zum Chefstrategen war Wasser auf die Mühlen dieser Trottel.
Schon während Obamas zweiter Amtszeit gab es vermehrt rassistische Übergriffe gegen Schwarze, Immigrant*innen und Muslim*innen. Trump und die Architekten seiner Kampagne mischten bewusst an einem brodelnden Kessel aus Hass mit und arbeiteten kräftig daran mit, diesen zu legitimieren. Kürzlich machte Trump vorsichtig Anstalten, sich von einigen seiner härtesten white-supremacy-Anhänger*innen zu distanzieren; vorausgegangen war das in sozialen Medien viral gegangene Skandal-Video von Richard Spencers Rede an der „National Policy Institute“-Konferenz in Washington, in der er offen eine Neo-Nazi-Agenda einforderte, dabei aus Respekt dem Nationalsozialismus gegenüber Deutsch sprach und derlei Scheiss.
Diese Distanzierung könnte darauf hinweisen, dass Trump sich nach seiner erfolgreichen Wahl nicht mehr groß um die Unterstützung solcher offen rechtsradikalen Strukturen schert, dass diese ihm und seinem Image sogar auf die Füße fallen könnten; eher wendet er sich nun den großen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen der USA zu, auf die er nun als Präsident massiven Einfluss hat. Wir werden sehen wie sich das entwickelt.
Für Anarchist*innen und Antirasst*innen wird es von großer Bedeutung sein, diese rechte Bewegung und Dynamik in den nächste Wochen, Monaten und Jahren im Auge zu behalten und gegen sie vorzugehen – sowohl in Solidarität mit marginalisierten und betroffenen Gruppen als auch um die Ausbreitung dieser Bewegung zu stoppen.
Die Menschen, die Trump in sein Kabinett ernannt hat, stellen eine ganz andere Art von Gefahr dar. Außer Bannon sind die meisten dieser Unsympath*innen eher Wall Street- und Lobbyschwergewichte, der wirklich weit rechte Flügel der Republikaner oder Dissidenten aus der Obama-Administration, die noch das ein oder andere Hühnchen zu rupfen haben. Mike Pence, der Vize Trumps, wird eine sehr gefährliche Figur in diesem Gefüge. Er ist ein fanatischer Christ, der gegen Abtreibung und LGBT-Rechte hetzt. Außerdem ist er einer der Kettenhunde der Koch-Brüder – die wichtigsten Geldgeber der Tea Party Bewegung. Besty DeVos, Trumps Auserwählte für das Amt der Bildungsministerin, ist eine milliardenschwere neoliberale Ideologin, die das gesamte amerikanische Schulsystem privatisieren möchte. Als ob das noch nicht genug wäre, ist sie die Schwester von Erik Prince, dem Gründer von Blackwater [größtes privates Söldnerunternehmen der USA; heißt mittlerweile Academi]. Noch mehr Beispiele gefällig. Eine Menge derjenigen, die er ins Amt für nationale Sicherheitsinteressen ernennt, befürworten Folter und wollen zum Beispiel den Iran angreifen.
Wird Trump Amerika wirklich „wieder großartig“ machen?
Na ja, wir müssen uns mal ernsthaft fragen – wann war Amerika jemals großartig? Es handelt sich um eine koloniale Nation, die aus dem Genozid gegen die Ureinwohner in diesem Land entstand und ihre Größe nicht zuletzt durch jahrhundertelange Sklaverei und weltweit wütendem Imperialismus erlangte. Es ist das reichste Land der Welt, gleichzeitig leben so viele unter unfassbarer Armut und das Land hat die zweithöchste Gefangenenrate der Welt. Ich halte diesen ganzen ernst gemeinten „Make America great again“-Kram für nostalgischen Quatsch von Leuten, die ignorant, verwirrt und unsicher sind, welche Rolle sie in der Welt spielen. Sie hören ständig, dass die USA das tollste Land aller Zeiten ist (glaubt es mir, nicht wenige in den USA glauben das), aber ihre eigenen, realen Erfahrungen von wachsender Armut und Unsicherheit können sie damit nicht in Einklang bringen – in Wahrheit passt ihre eigene Lebenserfahrung überhaupt nicht mit dem Bild der USA, das sie aus Fernsehen und Hollywood-Filmen kennen, zusammen. Das macht Menschen wiederum sauer, so als ob sie etwas verpassen… dieses USA der großen Utopie der Freiheit und der Möglichkeit ist ein Mythos, der aber – wenn man ihn oft genug wiederholt – für wahr gehalten wird.
Was Trump angeht: Ich glaube nicht, dass er die zwei Konzepte – die Wahrheit und den Mythos – zusammenbringen kann. Er wird „Amerika nicht wieder großartig machen“. Wenn du dir anschaust, welche Leute er in Machtpositionen hievt und wenn du dir die Geschichte seines Geschäftsimperiums vergegenwärtigst, ist es nach meinem Ermessen ziemlich klar, dass er die USA in eine dunkle Ära führt, geprägt von noch mehr Gewalt und noch höherer ökonomischer Ungleichheit, als ohnehin schon vorhanden ist. Und während all dem wird er noch reicher. Es ist fast schon faszinierend wie viele Menschen auf seine Lügen reinfallen – denn der Typ ist ein furchtbarer Lügner. Während seiner Kampagne war mehrfach glasklar, dass er sich ohne Ende Scheisse ausdenkt und dass er nicht nur ohne Ende Mist erzählt, sondern auch noch ein Soziopath ist. Aber am Ende des Tages glaubten ihm oder seiner Masche genug Leute, denn sie wollen so verzweifelt dass sich die Dinge zum Besseren entwickeln. Frag mich nicht wie die Reaktion dieser mehreren Millionen Leute ausfällt, wenn ihnen dämmert, dass sie mal wieder hinters Licht geführt wurden.
Andererseits erlebten wir vor allem kurz nach der Wahl mehrere Demos und Aktionen gegen Trump. Ist das eine Art spontane, verzweifelte Frustration, oder können wir da mehr erwarten?
Ich würde es nicht wirklich verzweifelt nennen, obwohl es auf jeden Fall spontan war. Ich glaube die Leute waren schockiert, sauer und sind dann ausgerastet, als ihnen klar wurde, dass es vor mindestens vier Jahren Trump als Präsidenten kein Zurück mehr gibt. Die ersten Demos gab es an der Westküste der USA, wo Trump nur wenig Unterstützung fand. In einigen Städten starteten zuvor einige Leute Mini-Riots bei Trump-Kundgebungen – von diesen Erfahrungen inspiriert waren sicher auch ähnliche Leute bei den Post-Election-Demos dabei. Trump-Wähler stammen vor allem aus kleineren Gemeinden und deindustrialisierten Städten – in den meisten Großstädten und Metropolen hat Trump kaum Unterstützung und aus diesen Orten hieß es immer: „Der kann doch nicht wirklich gewinnen“. Trump als Präsident – das war ein sich ziemlich lange haltender Running Gag. Einer, der für Lacher sorgte in Talk Shows und liberalen TV-Sendungen. Diese Leute waren bei der Verkündung der Wahlergebnisse schockiert – dieses Spektrum vor allem ging dann auf die Straße um ihre Wut darüber zu demonstrieren, dass so ein Abscheulicher wie Trump tatsächlich das mächtigste Amt im Land gewinnt.
Wir werden sehen wie sich das alles entwickelt. Aber ich denke es muss eine (selbst-)kritische Reflexion darüber geben, wie so viele Leute so sehr daneben lagen über das Ergebnis und somit letztlich darüber, wie stark Trumps Anhängerschaft doch war. Das sagt auch einiges über die kulturelle Spaltung in den USA ausw
Kein Scherz (wer würde es denken): Werden wir 2017 den „Amerikanischen Frühling“ erleben?
Ich schätze mal alles ist möglich… Aber ich wäre in dem Fall sehr baff. Ich hoffe, dass wir ab 2017 die Anfänge der Entstehung einer neuen Bewegung sehen, und vorzugsweise eine die sich nicht nur ausschließlich auf die häßliche Persönlichkeit Trumps fixiert, aber auf das gesamte kapitalistische und kolonialistische Staatsystem, das er vertritt. Es wird mit Sicherheit kein Tahrir Platz-Momentum auf den Stufen des Kongressgebäudes in Washington geben, oder am Times Square in New York oder sonst wo. Die USA sind sehr unterschiedlich im Vergleich zu jenen Ländern, in denen Revolutionen nach dem Vorbild des „arabischen Frühlings“ ausgebrochen sind. Es ist einerseits ein viel größeres Land… und es hat eine raffiniertere Überwachung- und Repressionsmaschinerie. Und es ist kulturell und politisch sehr unterschiedlich. Es hat andere Widersprüche, und andere Bruchlinien.
Ich hoffe aber, dass die Bewegungen die in den letzten Jahren entstanden sind – wie etwa die Bewegung von Schwarzen gegen willkürliche Ermordungen durch Polizei, oder der von Indigenen geführte Verteidigungskampf bei Standing Rock – kontinuierlich wachsen und in neue Richtungen aufbrechen. Ich hoffe Kämpfe und Bewegungen zu sehen, die sich verbinden und voneinander lernen… anfangen zu reflektieren, was wirklich funktioniert hat und mit neuen Taktiken und Organisierungsmethoden experimentieren. Aber ein „Amerikanischer Frühling“ … Dafür würde ich meine Hand nichts ins Feuer legen – aber ich wäre glücklich, das zu bereuen.
Werden wir bei #J20 wenn Trump seine Vereidigungsrede hält Rauch über Washington sehen?
Hmmmm… ich denke du meinst sicherlich die Zeremonie, wenn der neue Papst annonciert wird.
Ehrlich ey, ich kenn die Antwort nicht. Vereidigungszeremonien von Präsidenten sind hochgesicherte Events… und dieses wird besonders heftig bewacht. Aber es gibt auch Millionen von Menschen die Trump und alles wofür er steht wirklich hassen, die ohne Zweifel danach trachten ihm den Tag zu ruinieren. Also denke ich, wir müssen warten und sehen.
# Interview und Übersetzung: Hamid Mohseni und John Malamatinas