Offener Brief an die Polizisten, die Abschiebungen durchführen.
Liebe Polizisten, wir mögen Euch nicht. Und Ihr mögt uns nicht. Das ist normal so, denn wir stehen für ein ganz unterschiedliches Konzept von Zusammenleben und Gesellschaft. Aber nehmt Euch doch die fünf Minuten und hört uns zu. Denn unabhängig davon, was wir voneinander halten, könnte es doch sein, dass Ihr dieses eine Mal versteht, was wir Euch zu sagen haben.
Ihr alle kennt das Szenario: Ihr holt jemanden aus seiner Wohnung, manchmal auch Kinder aus Jugendeinrichtungen. Irgendeiner Eurer Chefs hat Euch gesagt, dass diese Menschen weg müssen, also macht ihr Euch daran, sie weg zu bringen. Manchmal ergeben sich diese Menschen ihrem Schicksal, sind still und „kooperieren“, wie Ihr das wohl nennt. Andere schreien verzweifelt, oft in einer Sprache, die Ihr gar nicht versteht und über die sich die Rassisten unter Euch lustig machen. Manche wehren sich. Dann wendet Ihr Gewalt an, bisweilen tödliche.
Am Ende steckt Ihr die Menschen in Flugzeuge, die sie in Länder verbringen, in die Ihr Eure eigenen Familien um keinen Preis verschicken würdet. Warum eigentlich? „Das ist unser Job. Wir entscheiden nicht, wer bleiben darf und wer nicht. Wir tun nur unsere Arbeit“, werdet ihr Euch sagen und erzählt Ihr anderen, die Euch danach fragen. Denkt Ihr manchmal nach einem langen Arbeitstag darüber nach, was Euer Handeln für jene bedeutet, die zum Objekt eurer Arbeit werden?
„Wir schicken ja niemanden in Kriegsgebiete zurück. Nur in sichere Länder“, werdet Ihr Euch einreden, wenn euch die Frage quält. Von „sicher“ sprecht Ihr? Ihr, die Ihr Kreuzberg oder St. Pauli für „unsicher“ haltet, meint, Afghanistan, Ghana, der Kosovo oder Ungarn seien „sicher“ für Geflüchtete? Nein, meistens meint Ihr das gar nicht. Denn eine eigene Meinung braucht Ihr nicht, Ihr habt ja Vorgesetzte, die Euch sagen, was Ihr zu meinen habt.
In Afghanistan könne man durchaus leben, denn es gebe auch „sichere Gebiete“, erklärt Euch Euer Dienstherr, Innenminister Thomas de Maizière. Der Mann, der sich nicht einmal in deutschen Universitäten ohne ein Großaufgebot an Bodyguards und Zivilpolizisten einfindet, muss es wissen. Schließlich war er schon in Sachsen Staatsminister des Inneren, später Verteidigungs- und Innenminister der Bundesrepublik. Er hatte also ein Drittel seines Erwachsenenlebens mit der Herstellung jener Form von „Sicherheit“ zu tun, die einen Großteil der Weltbevölkerung in absolute Unsicherheit wirft, um den Profiteuren eines barbarischen Systems das Gefühl von Ruhe, Wohlstand und Unversehrtheit zu gewährleisten.
Und Ihr? Wie gut dressierte Hunde dackelt Ihr dem Blödsinn hinterher, den Euch Eure Herren vorsagen. Lest Ihr manchmal selbst nach, wie es in den Ländern aussieht, in die Ihr Menschen „rückführt“? Wäre es „sicher“ für Euch und Eure Familien in Kabul? 26. November 2016: Bei einem Anschlag auf eine Moschee in Kabul sterben 27 Menschen. September 2016: Bewaffnete stürmen eine Hilfsorganisation in Kabul, wieder Tote und Verletzte. Am selben Tag: 24 Tote bei einem Autobomben-Anschlag. Juli 2016: Dutzende Menschen sterben bei einem Bombenanschlag auf eine Demonstration von Schiiten.
Das sind nur einige Nachrichten und diese kommen allein aus der als besonders „sicher“ geltenden Hauptstadt Afghanistans, Kabul. In anderen Provinzen gibt es offene Gefechte, Warlords und Taliban kontrollieren große Gebiete. Und das sind nur die offenkundig mit Krieg und Gewalt zusammenhängenden Gründe, da niemanden hinzuschicken. Darüber, wie sich jemand am Leben erhalten, Geld verdienen, Nahrung kaufen kann, haben wir noch gar nicht gesprochen.
Das ist also euer Beruf. Ihr schickt Menschen in die Hölle, weil es Euch jemand sagt, der im Rang höher steht als Ihr, und weil Ihr Geld dafür bekommt. Steht Ihr manchmal morgens vor dem Spiegel, schaut in Eure leeren Augen und fragt Euch: Was ist aus mir geworden? Träumt Ihr manchmal von den Familien, die Ihr im Balkan, in Afrika, in Griechenland oder Ungarn abladet? Oder seid Ihr schon so abgestumpft und verroht, dass es Euch nicht kümmert?
„Was sollen wir denn tun“, werdet Ihr sagen. Verweigert den Befehl. Ihr habt das Recht auf Remonstration. Und selbst, wenn Euch irgendwelche Juristen sagen, es träfe aus diesem oder jenem Grund nicht zu: Verweigert den Befehl trotzdem. Denn am Ende des Tages wird es Euch das Gefühl geben, etwas Richtiges getan zu haben. Am Ende des Tages werdet Ihr feststellen, es ist ein gutes Gefühl, aus eigener Überzeugung und nicht auf Befehl zu handeln. Jedenfalls aber ist es ein besseres Gefühl, als zum bezahlten Mörder zu werden.
– Fatty McDirty