Kommissar Google ermittelt

13. November 2016

Michaela Müller und Jürgen Becker forschen für das Bundeskriminalamt Organisationen der kurdischen Befreiungsbewegung aus. Einblicke in die Arbeitsweise zweier tragisch-komischer Gestalten.

Die Bundesgeneralanwaltschaft, die sich mit der Verfolgung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) befasst, bekommt zu diesem Zwecke Listen vom Bundeskriminalamt (BKA). Diese Listen sollen dokumentieren, dass die PKK eine Organisation ist, deren Praxis in der Türkei zu einem nennenswerten Teil auf „Mord und Totschlag“ gerichtet ist, so dass man ihre Funktionäre auch in Deutschland nach dem Terrorparagraphen 129b verfolgen kann.

Wer nun aus seinen sonntäglichen Tatort-Kenntnissen meint, da würde ermittelt, dass die Fetzen fliegen, es würden Zeugen vernommen, Quellen untersucht, Beweise gesammelt, der konnte sich beim Berliner PKK-Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Ali Hidir Dogan vergangenen Freitag in einer sechsstündigen Vernehmung der BKA-Beamtin Michaela Müller in die Wirklichkeit der Kunst des deutschen Listenwesens einführen lassen.

Kommissarin Google ermittelt

„Ich mache das so: Ich rufe die Seite hezenparastin.com [eine Webpräsenz der kurdischen Guerilla] auf. Dann kopiere ich die ganze Seite in den google-Translator und suche nach Wörtern wie ‘Anschlag’ oder ‘Aktion’.“ Wird Müller bei ihrer Investigativ-Recherche fündig, schickt sie die betreffenden Absätze an eine Dolmetscherin, denn sie selbst spricht – trotz 8-jähriger Beschäftigung mit der PKK – weder türkisch noch kurdisch. Kriegt sie das nun verdeutschte Bekennerschreiben zurück, trägt sie den Anschlag in eine Liste ein – und fertig.

Fertig? Nicht ganz. Es weiß ja jeder, dass die Angaben von Kriegsparteien manchmal eben nicht stimmen, deshalb führt die Kriminalistin nun ihre „Zweitrecherche“ durch. Sie nimmt das Datum der Aktion und googelt erneut. Die erstbeste Webseite, die irgendwas ausspuckt – oft nationalistische Blätter von aktifhaber über Sabah bis Milliyet -, trägt Müller nun auch noch in die Liste ein. Damit enden die Ermittlungen. Schwierig ist an diesem Beruf, so erzählt die Anfang 40-jährige, dass der google-translator manchmal Worte nicht kennt, so wie etwa den kurdischen Namen der Stadt Diyarbakir, Amed.

Noch schwieriger ist allerdings in diesem Moment der Beruf des Anwalts der Verteidigung, Lukas Theune. Er muss Fragen stellen, die zur sachdienlichen Aufklärung der Frage beitragen: War denn das Handelns der PKK während des Friedensprozesses von 2013 bis 2015 wirklich auf „Mord und Totschlag“ gerichtet. Und er stellt diese Fragen einer Person, der jenseits ihres Aufgabenbereichs (Strg+C → googletranslate) so ziemlich alles egal ist.

Seit acht Jahren, das muss man sich immer und immer wieder vor Augen halten, sitzt sie da und copy-pasted PKK-Bekennungen. Und kein einziges Mal ist in ihr der Wunsch aufgestiegen, in Erfahrung zu bringen, wie diese Organisation überhaupt funktioniert, was sie will, welche Gliederungen sie hat und welche Entscheidungsprozesse. Nicht alle Bekennerschreiben – darauf weißt Theune hin – die auf der Seite der Guerillakräfte HPG erschienen, sind welche von eigenen Aktionen. Müller blockt ab: Was auf dieser Seite erscheine, werte sie als Bekennung der HPG. Widersprechende Angaben zwischen ihrer Erst- und Zweitrecherche ignoriert sie („man muss sich ja an etwas halten“), und so kommt es vor, dass sie schon mal die Toten eines Autounfalls eines Bullenwagens als Anschlagsopfer der PKK kategorisiert. Ob etwas eine „Warnaktion“ war, warum eine jeweilige Aktion stattfand, ob die Internetquellen das Geschehen angemessen wiedergeben – who cares?

Man möchte Mitleid mit ihr haben: Da pilgert jemand jeden Morgen in ein Büro und google-translated vor sich hin, eine Tätigkeit von so grauenhafter Anspruchslosigkeit, dass ihr die sukzessive Verblödung des sie Ausführenden notwendig folgen muss. Doch das Mitleid hat seine Grenzen: Diese google-Listen fließen tatsächlich in die Anklageschriften gegen kurdische Aktivist*innen in Deutschland ein, ja sind ein wichtiger Bestandteil.

Ein ernsthafter Mann

Nun möchte man sagen: Ok, Frau Müller muss eben Google-Listen erstellen. Aber es wird doch eine Person beim BKA geben, die sich auch mit den Inhalten der kurdischen Befreiungsbewegung befassen muss, zumal ja auch diese nennenswert darauf Einfluss haben, ob die PKK verfolgt werden soll oder nicht. Auftritt Jürgen Becker. Der Kriminalhauptkommissar ist zuständig für die „Strukturakten PKK“ und hat bereits an früheren Prozesstagen ausgesagt.

Man muss sich Jürgen Becker als einen ernsthaften Mann vorstellen. Einen Mann, an dem alles grau ist. Vom Sakko bis zum Temperament, von der Art, wie er liebt, bis zur Art, wie er Diagramme zeichnet. Eigentlich ist es Beckers Aufgabe, herauszufinden, wie sich die PKK organisiert. Welche Gliederungen sie hat, aber, ein klein wenig auch, worum es in dieser Organisation geht. Erstere Aufgabe löst er so: Er zeichnet alle möglichen kurdischen Gruppierungen, von der Guerilla bis zum Kulturverein auf einen Zettel, um am Ende zu betonen, dass „aus polizeilicher Sicht“ sowieso „alles PKK“ ist – auch jene Vereine wie Nav-Dem, die in Deutschland keineswegs verboten sind.

Letztere Aufgabe, sich auch mal anzusehen, was jene dergestalt durchkartografierte Gruppe eigentlich ist, fällt auch bei Becker nicht so wirklich ins Tätigkeitsprofil. Die Situation der Kurdinnen und Kurden in der Türkei bei Gründung der PKK kann er nicht beschreiben, ein „Paradigmenwechsel“ hin zum Demokratischen Konföderalismus ist ihm nicht bekannt, und über die Unterstützung der Türkei für den IS weiß er nur zu sagen: „Das ist nicht mein Bereich, ich arbeite ja nicht gegen den IS.“

Auch Becker hat es in seiner langjährigen Tätigkeit gegen die PKK nicht für nötig erachtet, sich ein Wort Kurdisch oder Türkisch beizubringen. Auch Becker interessiert nicht, was diese Gruppe, die er vermisst, in Tabellen einträgt und sortiert, eigentlich ist oder will.

Grausame Gleichgültigkeit

Weder Müller noch Becker hegen Hass gegen die kurdische Bewegung. Beide machen nicht einmal den Eindruck, sie wollten dem Angeklagten irgendetwas Böses. Man gewinnt den Eindruck, Müller und Becker sind gar nicht in der Lage, die einfache Verbindung herzustellen, dass hier Menschen, die gegen eine brutale Diktatur kämpfen, wegen ihrer Arbeit ins Gefängnis kommen.

Müller und Becker ordnen, erfassen, teilen ein, sortieren, bilanzieren, machen Tabellen, schreiben Zusammenfassungen. Würde man sie beauftragen, den deutschen Bienenbestand oder die Bewuchsdichte von Moos in heimischen Wäldern zu bestimmen, sie täten es mit derselben Uninteressiertheit, wie sie nun Menschenleben zerstören.

Man kann sie für diese ihre grausame Gleichgültigkeit hassen, das ist sicher legitim. Aber man wird sie, wenn man sie genau beobachtet, auch bemitleiden. Man sieht Menschen, die ihr Leben damit verbringen, nichts zu tun, was irgendwie schön, von Wert, sinnvoll oder erfüllend ist. Würde man Eiferer vor sich haben, die wirklich hassen, man könnte sie leichter verstehen. Doch die beiden BKA-Beamten hassen nicht, sie erfüllen einfach eine Aufgabe. Sie sind innerlich tot.

Noch tragischer wird diese auf viele Bürokraten zutreffende Leere dadurch, dass Müller und Becker jeden einzelnen Tag ihres Lebens einen Millimeter von einer Einsicht entfernt verbringen, die ihnen doch unerreichbar ist. Würden sie anfangen, sich dafür zu interessieren, was diese Menschen, die sie da verfolgen, eigentlich antreibt, könnten sie so unendlich viel lernen. Tun sie aber nicht. Und so führt die Tätigkeit von Michaela Müller und Jürgen Becker nicht nur zur Bestrafung anderer. Sie ist auch eine jeden Tag, jede Stunde, jede Minute andauernde Strafe für die beiden BKA-Zombies selbst.

– Peter Schaber

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