Immer häufiger verfolgen bundesdeutsche Behörden exilierte Aktivisten der kurdischen Befreiungsbewegung und der türkischen Linken. Ein Aufruf zur Solidarität.
In Berlin beginnen Anfang Oktober Gerichtsprozesse gegen zwei angebliche Funktionäre der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Cem A. und Ali H. D. sollen – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – in verantwortlicher Funktion für die Organisation tätig gewesen sein.
Die beiden Verhandlungen reihen sich ein in eine größere Verfolgungswelle gegen kurdische Aktivisten seit dem Ende des Friedensprozesses zwischen Ankara und der PKK im Juli 2015. Insgesamt zwölf Männer wurden seitdem verhaftet, in einigen Fällen gibt es bereits Richtersprüche: Vor dem Oberlandesgericht Celle wurden Anfang September die kurdischen Aktivisten Mustafa C. und Kenan B. zu jeweils zwei Jahren und 6 Monaten verurteilt, zuvor hatte ein Hamburger Gericht bereits Bedrettin K. mit drei Jahren Haft bestraft.
Gute Beziehungen zum Terrorstaat Türkei
Der Rechtsgrundlage, auf der die Verurteilungen stattfinden, merkt man dabei durchaus den politischen Willen zur Verfolgung an. Die Repression begann eigentlich unmittelbar mit der Aufnahme des bewaffneten Kampfes 1984. Die Gesetzeslage wurde stets so angepasst, dass ein größtmöglicher Effekt gegen die PKK möglich war. Zunächst wurde 1987 der Paragraph 129a – der die Verfolgung „terroristischer Vereinigungen“ ermöglicht – auch auf „ausländische“ Grupperingen ausgedehnt, insofern sie in der Bundesrepublik Straftaten begehen, die die Sicherheit von Partnerstaaten beeinträchtigen.
1988 gab es die ersten Verhaftungen, 1989 das „große“ PKK-Verfahren, in dem über 20 Aktivisten sich vor Gericht verantworten mussten. Es kam nur zu vier Verurteilungen, die anderen Verfahren mussten eingestellt werden. „Der Prozess lief nicht so, wie man sich das gewünscht hatte“, erklärte die Rechtsanwältin Britta Eder kürzlich bei einer Informationsveranstaltung zur Repression gegen Kurden in Berlin. „Aber der Staat hat daraus gelernt. Es ist kein Zufall, dass heutzutage alle Angeklagten getrennt vor Gericht stehen und sie sich mit nur zwei – oder wenn es nach dem Gericht gehen würde, nur einem einzigen – Verteidigern begnügen müssen. Es ist eine Vereinzelungsstrategie.“
Später, im November 1993 – also genau zu jenem Zeitpunkt, als die PKK den ersten Waffenstillstand verkündete – erfolgte in Deutschland das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei. Schon in der Begründung dieses Verbots lässt sich absehen, worum es bei der Verfolgung kurdischer Oppositioneller geht: „Die kurdischen Aktionen in der BRD stören das Verhältnis zum türkischen Staat erheblich.“ Die Beziehungen zu einem Staat, der mordet, foltert und mit deutschen Waffen ganze Regionen platt macht, waren also seit Beginn des unsäglichen PKK-Verbots ausschlaggebend für die politische Einschätzung diverser Bundesregierung seit den 1990er-Jahren.
Nach der sogenannten Gewaltverzichtserklärung Abdullah Öcalans 1997 wurden einige Verfahren herabgestuft, sie wurden nunmehr nicht nach Paragraph 129a (also Bildung einer „terroristischen“ Vereinigung), sondern nach Paragraph 129 (Bildung einer „kriminellen“ Vereinigung) geführt.
Anfang 2002 trat dann der Paragraph 129b in Kraft, der die Mitgliedschaft in einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ betrifft. „Der Unterschied hier ist, dass mit dem 129b die Organisation hierzulande überhaupt keine Straftaten mehr begangen haben muss“, sagt Britta Eder. „Jegliche Form der politischen Unterstützung für eine Vereinigung, die im Ausland vermeintlich terroristische Straftaten begeht, reicht aus.“ Auf die PKK angewandt wurde das Gesetz ab dem Jahr 2010. Einer der Gründe dürfte gewesen sein, dass ein Punkt eingetreten war, wo die Behörden der PKK „nicht einmal mehr Straftaten wie Spendengelderpressung, Passfälschung, Schleusung oder ähnliches nachweisen konnte“, so Rechtsanwältin Eder. „Sie fanden einfach keine Straftaten mehr.“
Der Paragraph 129a kommt da sehr gelegen. Denn er ermöglicht Verurteilungen ohne Straftaten. Und so stehen auch die heutigen kurdischen Gefangenen in der BRD vor Gericht, ohne dass ihnen konkrete Verbrechen zur Last gelegt werden. „In der Regel wird hier politische Tätigkeit verfolgt“, konstatiert Britta Eder.
Zunahme der Angriffe
Blicken wir in die jüngste Vergangenheit deutsch-türkischer Beziehungen zurück, so drängt sich der Eindruck auf, dass hier Angela Merkels ohnehin schäbiger „Flüchtlingsdeal“ mit begleitenden Dienstleistungen unterfüttert wird. Abkommen zur stärkeren Zusammenarbeit „gegen den Terror“ wurden mit jenem Staat unterzeichnet, der seit Herbst 2015 Städte auf seinem eigenen Territorium mit Artillerie, Panzern und Luftwaffe dem Erdboden gleichmacht.
Die Anzahl der Verfahren und geheimdienstlichen Einschüchterungen stieg stetig: Die linke türkische Band Grup Yorum wurde mit einem Einreiseverbot belegt, ihre Konzerte systematisch behindert und deren Organisatoren polizeilich verfolgt. In München stehen zehn Aktivisten der „Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK)“ vor Gericht. Und zwölf Menschen werden wegen angeblicher Funktionärstätigkeit für die PKK verfolgt.
Immer wieder kommen dabei auch „Beweise“ zum Einsatz, die von türkischen Behörden wie dem Geheimdienst MIT zur Verfügung gestellt werden – und das, obwohl international bekannt ist, dass der türkische Staat foltern lässt. Einer der Anwälte im Münchener ATIK-Prozess, Roland Meister, fasst im Gespräch mit der jungen Welt zusammen, was hier geschieht: „Die deutsche Regierung unterstützt mit diesen Ermächtigungen das reaktionäre Erdogan-Regime.“
Schaut hin!
Strenge Isolation im Knast, massive Einschränkungen der Gefangenen, Eingriffe in das politische wie private Leben der Aktivisten begleiten diese Verfahren. Im Grunde geht es darum, linke Organisationsprozesse zu stören und den Willen der Revolutionäre zu brechen.
Gegen diese Angriffe können wir aktiv vorgehen. „Ich hätte mich sehr gefreut, wenn mir auch deutsche Linke geschrieben hätten, als ich im Knast saß“, erzählte ein kurdischer Gefangener kürzlich bei einer Informationsveranstaltung in Berlin. Das Herstellen von Öffentlichkeit und die moralische Unterstützung von Menschen im Knast gehören zum politischen Kampf wie das Veranstalten von Demonstrationen.
Am 11. Oktober werden in Berlin die Prozesse gegen zwei kurdische Aktivisten losgehen, es wird Kundgebungen und Prozessbeobachtung geben. Über andere Verfahren könnt ihr euch bereits hier und hier informieren. Geht hin, schaut hin und zeigt Solidarität.
Von Peter Schaber
Prozessbeginn in Berlin:
11.10.2016, 9:00 Uhr,
Kammergericht, Elßholzstr. 30-33