Während das Bild des verletzten syrischen Jungen Omran Daqneesh um die Welt geht, kennt kaum jemand den Namen jenes Kindes, das im Juli von US-finanzierten Dschihadisten vor laufender Kamera geköpft wurde. Dabei gibt es eine Verbindung zwischen beiden Fällen: Den Fotografen Mahmoud Raslan.
Das Foto des nach einem Angriff der syrischen Armee verletzten syrischen Jungen Omran ging um die Welt. Tausende Zeitungen druckten es ab, Millionen Menschen teilten es in den sozialen Netzwerken. Das Foto erzählte eine Geschichte. Es ist die der Unschuldigsten in einem grauenhaften Krieg. Es ist die von Kindern, die unter der Blockade Aleppos durch russische und Assad-Truppen leiden, gefangen in einer postapokalyptischen Welt des Grauens.
Doch die Geschichte wird erst vollständig, wenn wir den Spuren jenes Mannes folgen, der das berühmte Foto geschossen hat. Denn sie werden unseren Blick ergänzen und jenen von Russland und Assad drangsalierten Kindern, die von den Vereinigten Staaten und ihren „moderaten Rebellen“ geschändeten an die Seite stellen.
Der Mann, der den kleinen Omran mit seiner Kamera festhielt, heißt Mahmoud Raslan. Nachdem sein Bild um die Welt gegangen war, stürzten große Medien sich auf ihn, er wurde zum beliebten Interviewpartner. Er erzählte von den Grausamkeiten Assads und beteuerte, immer zu weinen, wenn er verletzte Kinder sieht. Und er wünschte sich: „Ich hoffe, dass alle Bilder von Kindern und den Angriffen in Syrien viral gehen.“
Das wäre in der Tat wünschenswert. Alle. Die von Assads Armee verwundeten und ermordeten, genauso wie die von den dschihadistischen Milizen verwundeten und ermordeten. Aber
„alle“ in diesem Sinn kann Raslan nicht gemeint haben. Denn es war nicht allzu lange her, da postete der Fotograf ein Selfie, das ihn mit Mitgliedern der syrischen Islamistengruppe Harakat Nour al-Din al-Zenki zeigt. Raslan, im Vordergrund, lacht, die islamistischen Mörder im Hintergrund auch.
Exakt jene Mitglieder der Gruppe, mit denen Raslan gut gelaunt posiert, hatten wenige Wochen zuvor ein Kind als „Kriegsgefangenen“ genommen. Der Junge heißt Abdullah Issa, die Angaben über sein Alter variieren (die meisten Quellen sprechen davon, dass er 11, 12 Jahre alt war). Ihre Heldentat hielten die Dschihadisten auf Video fest. Sie reichen den Jungen herum, posieren mit ihm. Immer wieder rufen sie „Allahu Akbar“. Irgendwann fragen sie ihn nach seinem letzten Wunsch. Der Junge sagt: „Ich will erschossen werden. Nicht geköpft.“ Er weiß, er wird nicht überleben. Er weiß er kann sich nichts mehr wünschen, als einen schnellen, schmerzlosen Tod.
Die Männer lachen. „Schlachte ihn, sagt einer“. „Wir sind schlimmer als ISIS“, sagt ein anderer. „Wo ist mein Messer?“ fragt schließlich einer der Kämpfer. Das Leben Abdullah Issas endet auf der Ablagefläche eines Pickups. Bei lebendigem Leibe wird ihm der Kopf abgeschnitten.
Harakat Nour al-Din al-Zenki, Teil der Mujahedeen-Armee, ist eine jener Gruppen, die in den Genuss von US-Hilfe kamen (und höchstwahrscheinlich immer noch kommen). 50 ihrer Kämpfer wurden auf Geheiß der CIA in Katar ausgebildet, die Kindermörder erhielten Waffen aus den Vereinigten Staaten, darunter Anti-Panzer-Projektile. In älteren Nachrichtentexten und Pressemitteilungen wird die Gruppe als eine der „moderaten“ präsentiert, weil sie gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfe.
Im Juli 2016 „schlachteten“ die „moderaten“ Rebellen Abdullah Issa. Am 5. August veröffentlichte der von verletzten Kindern immer so mitgenommene Fotograf Mahmoud Raslan das Selfie mit den Halsabschneidern auf seiner Facebook-Page. Immer wieder lobt er dort auch Selbstmordattentäter und trägt während der Selfies mit Dschihadisten die selben farbigen Stirnbänder wie die Kämpfer, deren Funktion sein könnte, im Chaos der verschiedenen Fraktionen, die Mitglieder verschiedener Gruppen auseinanderzuhalten.
Dass Raslan nicht gewusst haben könnte, mit wem er hier posiert, ist angesichts der Erfahrung, die der „Medien Aktivist“ vorweisen kann und der Nähe zur Opposition unwahrscheinlich. Dass er nicht wusste, dass sie ein Kind geköpft hatten, ebenso. Denn nach Mitte Juli gab es international hin und wieder Berichte über Abdullah Issa und die syrischen „Rebellen“ diskutierten den Fall.
Wie wenig bekannt heute ist, dass eine von Westen finanzierte, ausgerüstete und trainierte Rebellengruppe vor laufender Kamera einem etwa zwölf Jahre alten Jungen den Hals durchschnitt – und das mit einer Gelassenheit und Freude, die zweifelsfrei zeigt: Das war nicht ihre erste Enthauptung -, wirft ein grelles Licht auf die Medienpraxis in Syrien. Die grundsätzlich gegenüber parteiischen
Quellen aus Kriegsgebieten angebrachte Skepsis verschwindet häufig, wenn es sich um Meldungen, Fotos oder Einschätzungen von Rebellenseite handelt. Die grausame Kriegsführung Assads und seiner Verbündeten wird skandalisiert. Die des Islamischen Staates ebenfalls. Gegenüber vielen anderen, direkt mit der Türkei, den USA, Frankreich oder den Golfstaaten verbandelten Gruppen wird das eine oder andere Auge zugedrückt.
Das muss nicht immer bedeuten, dass es gar keine Berichte über einen Vorfall gibt. Über den ermordeten Abdullah Issa wurde gelegentlich der eine oder andere Artikel geschrieben. Vergleichbar mit den hunderten Titelseiten, auf denen der verwundete Omran abgebildet wurde, den Hintergrundberichten und Analysen zu ihm war die Berichterstattung bei Abdullah nicht annähernd. Dass durch das Foto Omrans die brutalen Angriffe Assads und Russlands skandalisiert werden, ist aus journalistischer Sicht völlig angemessen. Dass man die Enthauptung eines Kindes durch von den USA unterstützte Rebellen nicht zu einer ebenso aufrüttelten Story aufbaute, dagegen nicht.
– von Peter Schaber