Mitte August beginnt vor dem Amtsgericht Moabit in Berlin der Prozess gegen einen der Besetzer des „social center 4 all“. Interview mit Johannes Murkel
Am 12. August stehst du vor Gericht in Berlin. Warum?
Ich habe zusammen mit anderen Freund*innen an der ersten Besetzung im Rahmen der Kampagne social center 4 all teilgenommen. Das war im September 2015 in der Englischen Straße. Wenn ihr euch erinnert: Damals war die Situation vor der Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Moabit so katastrophal, dass gehandelt werden musste. Menschen schliefen in Parks, weil sie keine Unterkünfte hatte, andere kamen in beschissenen Unterkünften unter, in denen man nicht normal leben kann. Die Schlangen vorm Lageso, wo die Refugees anstehen mussten, waren lang; viele warteten wochenlang auf Einlass. Gewalt von Securities, medizinische Unterversorgung. Kurz, es mangelte an allem.
Wir haben dort viel Zeit verbracht und konnten letzten Endes nicht mehr tatenlos mitansehen, was die Stadt Berlin da macht. Zusammen mit geflüchteten Freund*innen kam uns dann die Idee, doch mal einen eignen Raum zu schaffen, den wir alle gemeinsam gestalten können. Und da haben wir dann diesen riesigen orangenen Bau gefunden, der unweit vom Lageso seit Jahren leer steht.
Wir haben den dann besetzt. Der Rest der Story verlief wie eben immer in Berlin. Aggressive Bullen setzten die Rechte des Eigentümers durch, der dort Luxuswohnungen hinbauen will. Wir bekamen die klassischen Anzeigen, Hausfriedensbruch. Da hätte man nun einfach sagen können, wir bezahlen die Strafbefehle, aber wir wollten zumindest einen Gerichtsprozess führen, um die Öffentlichkeit nochmal zu informieren, wie in Berlin Stadt- und Flüchtlingspolitik gemacht wird. Und auch nochmal ganz klar zu sagen: Was wir gemacht haben, war richtig.
Welche Strategie werdet ihr vor Gericht verfolgen?
Ich werde mich nicht für das entschuldigen, was ich getan habe. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es legitim und notwendig war. Mein Anwalt wird versuchen, juristisch über den Nothilfe-Paragraphen einen Freispruch zu erreichen. Das ist möglich, da die Voraussetzungen dafür vorliegen. Auch die Stadt selbst hatte ja einen Tag nach unserer Besetzung ein Haus beschlagnahmt, weil die Situation so untragbar war. Deshalb werden wir auch im Gerichtsprozess versuchen, die Verantwortlichen dieser Misere zu laden.
Letztendlich ist es mir aber egal, ob ich verurteilt werde oder nicht, die bürgerliche Justiz ist nicht mein Maßstab für politisches Handeln. Mir ist wichtig, dass man aufzeigt, dass man trotz Repression klare Haltung bewahren kann. Man macht etwas, das man für richtig hält. Und das bleibt auch so, selbst wenn dieser Staat und seine Justiz es anders sehen.
Das social-center-4-all-Projekt hörte ja mit der Englischen Straße nicht auf. Weitere Besetzungen folgten. Aber auch die scheiterten. Wie wird es weitergehen?
Mit unserer Besetzung fing die Sache erst an. Es wurden ja nachher nochmal zwei Häuser in Berlin besetzt. Bundesweit entstand eine richtige Bewegung zu dem Thema. Uns ging es nicht um die Besetzung der Besetzung wegen, sondern wir sind überzeugt, dass es Orte geben muss, an denen wir und Geflüchtete uns gemeinsam organisieren können.
Wir haben das auch jenseits der Besetzungen versucht, etwa durch Rechtsberatung am Lageso. Im Zuge der Kampagne für das social center gab es mehrere Konferenzen, wo ganz unterschiedliche Akteur*innen zusammenkamen: Geflüchtete, Hilfsorgas wie Moabit Hilft, Stadtteil-Inis und klassische autonome Gruppen.
Auf die ein oder andere Weise wird das Projekt sicher weitergeführt werden. Allerdings muss erst einmal eine Strategie gefunden werden, weil die Null-Toleranz-Strategie Berlins in Sachen Besetzung natürlich die ganze Geschichte immens schwierig macht. Aber in jedem Fall muss es weitergehen, weil solange das Bedürfnis da ist, wird es Initiativen geben, die versuchen, es durchzusetzen.
Welche Unterstützung wünscht du dir für den Prozess?
Ich würde mich freuen, wenn viele von euch den Prozess begleiten und sich im Gerichtssaal einfinden. Und klar, das social center 4 all braucht weiterhin Leute: Macht selber Aktionen, kreativ und sichtbar. Und am Prozesstag nach 22 Uhr könnt ihr euch in der großartigen Meuterei in Kreuzberg einfinden zu Diskussionen, Soli-Cocktails und Musik – damit mein Anwalt nicht nur von Luft und Liebe leben muss.
– Das Interview führte Fatty McDirty