Anlässlich des Prozesses gegen den Antifaschisten Bernd Langer: Ein Porträt des leidenschaftlichen Reaktionärs Alexander von Stahl
Es gibt Menschen, deren Tod das Positivste sein könnte, was sie je für die Menschheit getan haben. Nein, nein, ich spreche hier nicht von Lutz-PEGIDA-Bachmann, sondern von einem ehemaligen Bundesanwalt. Alexander von Stahl ist der fleischgewordene Hass einer ganzen Generation strammer Antikommunisten, die für sich vorsorglich die „Gnade der späten Geburt“ in Anspruch nahm, um nicht in direkten NS-Verdacht zu geraten. Wenn man genauer über den alten Beamten nachdenkt, wundert es einen, dass PEGIDA-Bachmann ihn nicht längst als ideologischen Einpeitscher umschwänzelt, und zu einer seiner „Lügenpresse“-„Wir sind das Volk“-Schauläufen eingeladen hat. Denn eigentlich ist von Stahl einer der wütenden Rechtsbürger, die argumentativ dem braunen Bodensatz sekundierten, der heute unappetitlich an die Oberfläche schwappt. Allerdings bewegten sich von Stahl und seine Mannen eher in einem Intellektualität imitierenden Umfeld und bekleiden oft lukrative Staatsämter, was den Hasspredigern von AfD und PEGIDA bisher nicht gelang. Aber die Schnittmengen sind unübersehbar groß, ebenso die Sympathien.
Gnade der späten Geburt
Als 1938 Geborener konnte von Stahl kein Parteibuch der NSDAP bekommen. Ob er das bedauerte, ist nicht überliefert. Zumindest fühlte er sich in der Gesellschaft alter Nazis nicht unwohl. Seine Wahlpartei war die FDP, nach 1945 Sammelbecken für auffällig viele Altnazis. Die sogenannten Liberalen brachten ausgediente NS-Mitglieder erneut in Amt und Würden:
- Ernst Aschenbach, Mitglied des Auswärtigen Amtes unter Hitler und 1943 für die Verhaftung und Deportation von 2000 französischen Juden ins Konzentrationslager Majdanek verantwortlich. Später Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied des Europaparlamentes.
- Rolf Dahlgrün, Mitglied in der NSDAP, später Bundesminister der Finanzen.
- Josef Ertl, Mitglied in der NSDAP, später Mitglied im Bundestag und Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten.
- Walter Scheel, Mitglied in der NSDAP, später Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bundesminister des Auswärtigen, Bundespräsident.
- Horst Huisgen, Hauptreferent im Stab der Reichsjugendführung, Mitarbeiter im Aufmarschstab der HJ und im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, später Mitglied des Niedersächsischen Landtages.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Allein die Hessen-FDP wies von 59 überprüften liberalen Landtagsabgeordneten 23 Fälle mit früherer NSDAP-Mitgliedschaft auf.
Doch zurück zum damals noch jungen Alexander, der 1961 in die FDP eintrat, Jura studierte und ab 1969 sein Unwesen in Berlin trieb. Als Staatssekretär in der Berliner Justizverwaltung buckelte er sich von einem FDP-Chef zum nächsten, bis er 1989 vom rot-grünen Senat in den einstweiligen Ruhestand zwangsversetzt wurde. Vielleicht konnten sie sein ewiges Gehetze nicht mehr ertragen. Offenbar hatte der Beamte zu viel Freizeit, denn nebenbei stänkerte er ständig aktiv von Rechtsaußen. 1979 gründete er gemeinsam mit Herman Oxfort die „Liberale Gesellschaft“, die sich eine rechtsliberale Erneuerung der FDP zum Ziel setzte, nach dem Vorbild des österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider und seiner FPÖ. Oxfort musste Jahre vorher (1976) – damals von Stahls Chef – als Bürgermeister von Berlin und Senator für Justiz zurücktreten, nach dem spektakulären Ausbruch der RAF-Mitglieder Inge Viett, Juliane Plambeck, Gabriele Rollnik und Monika Berberich aus der Frauenhaftanstalt. Insofern hat die RAF dem armen Mann die Karriere versaut und damit vermutlich den jungen Alexander in Rage versetzt. Doch Oxfort rächte sich später für die Schmach. Von 1983 bis 1985 war er in einer CDU-FDP-Koalition erneut Justizsenator und kämpfte mit aller Härte gegen linke Hausbesetzer und ihre angeblich „rechtsfreien Räume“.
Das hat dem Alexander sicherlich gefallen, der zeitlebens ein Händchen für rechte Unruhestifter und Nervtöter hatte. So schart er in der „Liberalen Offensive“ beispielsweise Klaus Rainer Röhl um sich, den ehemaligen Ehemann von Ulrike Meinhof und politischen Wendehals. Der war in der Auseinandersetzung um Militanz in der radikalen Linken ab Mitte der 1970er Jahre immer weiter nach rechts gedriftet, und ließ seiner Wut auf alles, was seine frühere linke Identität ausmachte, immer freieren Lauf. 1987 biederte er sich Ernst Nolte im so genannten Historikerstreit an. Dessen Kern war die Behauptung Noltes, dass der Nationalsozialismus nur eine Reaktion auf die Massenverbrechen der Sowjetunion gewesen sei. Diese Strategie verfolgen Nazis bis heute, indem sie dem NS seine Singularität absprechen und mit unterschiedlichen Argumenten so insgesamt die Verbrechen zu relativieren versuchen.
Lutz Bachmann und seine Bluthunde hetzen heute nach genau diesem Muster. Herr Röhl promovierte jedenfalls seinerzeit (1993) linientreu bei Ernst Nolte, intensivierte seine Freundschaften zu anderen Kommunistenhassern, und trat 1995 der FDP bei. Dort konnte er mit Alexander von Stahl, Heiner Kappel und Rainer Zitelmann zusammen gegen Gott und die Welt wettern. Kappel beispielsweise legte sich mit dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, an und brachte seine ablehnende Haltung gegen das Holocaust Mahnmal zum Ausdruck. 2001 wurde er Mitglied der rechtsnationalen „Deutschen Partei“. Rainer Zitelmann wanderte politisch vom Maoisten zum Rechtskonservativen, der Mitte der 1980er mit dem Thema „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ promovierte. Der Titel verformt offensiv einen Massenmörder zum Visionär.
Rauswurf 2
Leider blieben von Stahls Aktivitäten aber nicht auf außerparlamentarische Auswürfe beschränkt. 1990 poppte der Hardliner als Bundesstaatsanwalt auf, eingesetzt ausgerechnet vom frisch wegen Steuerhinterziehung verurteilten FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff. Von Stahls Amtszeit war von der gnadenlosen Strafverfolgung früherer Agenten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit geprägt. Hätte er vergleichbaren Eifer bei ehemaligen NSDAP-Mitgliedern in der Bundesrepublik an den Tag gelegt, er wäre aus dem Prozessieren gar nicht mehr herausgekommen. Aber darum ging es ihm ja nie, Alexanders Blick war immer nach links gerichtet. Dort stand und steht sein Feind. Ergo bekämpfte er die RAF und die PKK bis aufs Blut. Nach dem Brandanschlag von Solingen, bei dem am 29. Mai 1993 fünf Menschen türkischer Abstammung starben, verneinte von Stahl lange Zeit einen Neonazi-Hintergrund, obwohl bei einem der Täter ein Mitgliedsausweis der DVU gefunden worden war. Zwei Monate später flog er dann wieder aus dem Amt. Am 6. Juli 1993 versetzte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) von Stahl in den einstweiligen Ruhestand. Er war einfach unhaltbar geworden. Anlass war diesmal ein vom BKA geleiteter GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, bei dem der RAF-Angehörige Wolfgang Grams ums Leben kam. Bis heute darf nicht davon gesprochen werden, dass ein GSG-9-Beamter Grams ermordet hat. Die Zivilkammer des Landgerichtes Bonn bezeichnete die Tötungstat später als „nicht aufklärbar“, und zog damit einen juristischen Schlussstrich unter die Vorwürfe der Hinrichtung eines Verletzten durch Polizeibeamte.
Aller Ämter enthoben, war von Stahl nun gar nicht mehr stoppen. Als Anwalt setzte er sich voller Inbrunst für die rechte Zeitung „Junge Freiheit“ (JF) ein, die er zu Unrecht als vom Verfassungsschutz beobachtet sah. Das Blatt war damals schon ein Sammelsurium für allerlei irres und gefährliches Gedankengut von rechten Verschwörungstheoretikern und Neonazis, die gemeinsam gegen Kommunisten, Ausländer und Linke hetzten. Bachmann und Petry hätten es sicherlich als ihr Hausblatt bezeichnet, wären sie damals schon aktiv gewesen. Alexander von Stahl kam diesmal nicht die „Gnade der späten Geburt“ in die Quere, er schrieb aktiv in dem rechten Hetzblatt.
Unbekannte Antifaschisten wollten aber damals nicht dulden, dass die braune Soße ungehindert in die Hirne einfältiger Menschen gekippt wurde und starteten allerlei Aktionen gegen die Verbreitung des Hasspredigerblattes. Krönung war schließlich ein Brandanschlag, der am 4. Dezember 1994 Teile der Druckerei zerstörte. Als Anwalt und Autor der „JF“ war von Stahl von dem Brand persönlich betroffen. Nebenbei ließ er in der „Liberalen Offensive“ so richtig die Sau raus. Weil Ausländer überproportional kriminell seien, schlug er einfache Maßnahmen vor: Automatische Abschiebung, bei mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe. Man könnte meinen von Stahl würde heute für Lutz Bachmann „ghostwriten“, denn er rief schon seinerzeit ständig nach dem „starken Staat“ und mokierte sich darüber, dass man „Zigeuner“ nur noch in Verbindung mit Zigeunerschnitzel oder Zigeunerbaron aussprechen dürfe. Sein Kollege Kappel forderte in einem Interview ein Ende des Grundrechts auf Asyl und ein „gesundes nationales Selbstbewusstsein“. Gegen den EURO waren diese FDPler selbstverständlich auch, und für ein Europa der Vaterländer. Da staunen PEGIDA und die AfD. Eigentlich waren nämlich von Stahl und Konsorten ihr wahrer Vordenker, nicht der unrühmliche Prof. Lucke.
Die Ähnlichkeiten zwischen den braunen Sauciers sind unübersehbar. Auch von Stahls Umfeld war immer mit unappetitlichen Menschen gepflastert, die sich im stinkenden Bodensatz des Rechtskonservatismus am wohlsten fühlten und allerlei kruden Theorien nachhingen. Sie gehörten schon vor über 20 Jahren zu selbsternannten „Tabubrechern“, die „sich nicht den Mund“ verbieten lassen würden, „von denen da oben!“ Sie waren damit die Stichwortgeber für die hasserfüllten Doofen von heute. In der „Stimme der Mehrheit“, gegründet 1996, die übrigens nicht den Slogan „Wir sind das Volk“ erfand, tummelte sich Herr von Stahl mit weiteren unzufriedenen Stänkerern. Beispielsweise Prof. Hans-Helmuth Knütter, seit den 1990er Jahren Publizist in rechten Verlagen und Medien (u.a. „Junge Freiheit“), Referent bei Veranstaltungen am rechten Rand, Vertreter wissenschaftlich umstrittener Thesen und Aktivist von „Anti-Antifa-Kampagnen“. Er gilt als „Vordenker“ der „Neuen Rechten“. Oder Karlheinz Weißmann, überzeugter Antiliberaler, Antiwestler und Antifeminist“, seine „relativierenden Äußerungen“ über die NS-Zeit gelten als „Trivialisierung des Holocaust“, einflussreicher Hauptvertreter der „Neuen Rechten“. Erika Steinbach, politisch Rechtsaußen in der CDU zuhause, stellte sich 2012 mit dem Post „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI…“ in die Behauptungslinie von Dr. Joseph Goebbels, NS-Propagandaminister, der schon 1931 behauptete: „Die NSDAP verkörpert die deutsche Linke“. Der ganze PEGIDA-Quatsch ist also keine Erfindung der Neuzeit, die Irren wiederholen einfach nur den Schwachsinn der Beknackten vor ihnen.
2014 wächst zusammen, was zusammen gehört
Als sich die ersten Flüchtlinge nach Europa aufmachen und Faschismus in Deutschland immer mehr in den Alltag rückt, als Flüchtlingsheime angezündet werden, an den Grenzen wieder geschossen werden soll, und dumpfe Massen „Lügenpresse“ skandieren, kommt es endlich zum offenen Schulterschluss zwischen den Alten und den Jungen, zwischen von Stahl, der „Jungen Freiheit“ und Frauke Petry.
Im Dezember 2014 hatten zwei Antifaschisten dem „Neuen Deutschland“ ein Interview gegeben, das militanten Antifaschismus in den 1980er Jahren thematisierte. Darin erwähnte der Antifa-Aktivist Bernd Langer den Anschlag auf die „JF“: „Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994. Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen.“
Für Alexander von Stahl ist das eine Billigung von Straftaten, die Störung des öffentlichen Friedens und er erstattete Anzeige. Die „JF“ hatte den Anschlag von damals ebenfalls zum 20. Jahrestag kommentiert: „Der vergessene Terror“ hätte damals „zu einem Aufschrei führen, die Gefahren linksextremer Gewalt schlagartig im Fokus der Medien und Politik“ führen müssen. „Doch das Schweigen der Öffentlichkeit war entlarvend. Klammheimliche Freude spiegelte sich bei linken Medien“ wieder. Auch der AfD-Landesverband Sachsen nutzte das Jubiläum für eine Pressemitteilung „zum Brandanschlag auf die Pressefreiheit vor 20 Jahren“. Frauke Petry schreibt darin: „Das geistige Klima, in dem Gewalt gegen politisch Andersdenkende oder deren Existenzgrundlagen in Deutschland wachsen konnte, herrscht noch immer vor.“
Nur zur Erläuterung: Sie meint damit nicht die Mordanschläge auf Flüchtlinge oder Bürgermeister durch von AfD und PEGIDA angestachelte Neonazis.
Weil von Stahls wütender Kampf gegen links bis zum letzten Atemzug kein Ende kennt, wurde Bernd Langer 2015 in der ersten Instanz zu 3000 Euro Strafe verurteilt. Am Dienstag, 12. April 2016 findet nun der Prozess in der zweiten Instanz gegen ihn statt.
Ob Frauke Petry und Alexander von Stahl gemeinsam händchenhaltend teilnehmen werden, ist möglich, aber nicht sicher. Vielleicht druckt ja die „Junge Freiheit“ ein Foto ab. Oder eben auch nicht. „LÜGENPRESSE!“
Von Horst Schöppner