Ein Aktivist, der aus Deutschland zum kurdischen Newroz-Fest nach Diyarbakir (Amed) reisen wollte, wurde von der türkischen Polizei abgefangen und ausgewiesen – ein Gedächtnisprotokoll.
Am 20.03. machte ich mich auf die Reise um über Antalya nach Amed (Diyarbakır) zu fliegen und an der diesjährigen Newroz-Delegation, organisiert von YXK (Verband der Studierenden aus Kurdistan/ http://newrozbeobachtung2016.blogsport.de/) teilzunehmen. Da bereits vier Aktivist*innen über die Repression der türkischen Polizei und ihre Abschiebung berichtet haben, gehe ich im Folgenden vor allem auf die Unterschiede zwischen den Vorfällen ein (http://lowerclassmag.com/2016/03/3234/).
Im Gegensatz zur Gruppe, die vier Tage vor mir flog, wurde ich nicht gleich bei der Einreise herausgegriffen, sondern kam zunächst unbehelligt durch die Passkontrolle und konnte das internationale Terminal verlassen und mich frei zum Terminal für Inlandsflüge begeben. Als ich dort mein Gepäck aufgeben wollte, zögerte die Person am Schalter länger und kurze Zeit später kam ein Zivil-Polizist mit einer Dolmetscherin zu mir. Nachdem ich kurz befragt wurde, geleiteten die Beiden mich in einen Raum. Es begann ein 3-4-stündiges Verhör. Ich wurde nach dem Grund meiner Reise, was ich über die Situation in Diyarbakır wisse , nach Kontakten in Diyarbakır, nach türkischen oder kurdischen Kontakten in Deutschland von unterschiedlichen Personen befragt. Da ich wusste, wie es den anderen Freund*innen ergangen ist, behauptete ich über die ganze Gefangennahme hinweg, dass ich Student sei, der die Newroz-Feierlichkeiten wissenschaftlich untersuchen wolle.
Das Verhör und die Fragen wiederholten sich andauernd. Nach einer Stunde wurde mein Gepäck und ich durchsucht. Jedoch musste ich mich nicht, wie die anderen Freund*innen, ausziehen . Bei mir wurden Reisedokumente sowie ein Handy gefunden. Von allen Dokumenten, z.B. meinem Pass, machten unterschiedlichste Menschen (min. 6 Personen) Fotos mit ihren Smartphones – ich protestierte dagegen. Daraufhin erwiderten die Personen, dass sie das machen müssten. Außerdem wurde mein Handy untersucht und alle Telefonnummern ausgelesen und aufgeschrieben. Dabei wurde auch eine türkische Nummer gefunden und ich behauptete auf Nachfrage, dass sich diese Person in Deutschland befände. Nach ca. drei Stunden wurde mir erklärt, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit nach Deutschland abgeschoben werde. Die Polizei stellten mir zur Wahl nach Köln, Hannover oder Nürnberg zu fliegen. Ich protestierte dagegen und meinte, dass ich selbst für meine Sicherheit verantwortlich sei. Sie meinten, dass sie dafür zuständig seien und dass ich mit der deutschen Polizei auch nicht so reden dürfe. Die wiederholten Nachfragen meinerseits, telefonieren zu können oder einen Anwalt sprechen zu dürfen, wurden einfach übergangen. Insgesamt wurde die Stimmung aggressiver. Zwischenzeitlich erklärte mir ein anderer Übersetzer der Fluggesellschaft, dass sich „sein Land“ in einer schwierigen Situation befände und ich gern in ein oder zwei Jahren wiederkommen könne.
Nach längerer Diskussion willigte ich ein, nach Hannover abgeschoben zu werden, da ich wusste, dass bei der anderen Gruppe der rechtliche Weg, auch über die Botschaft nur zu einer Verlängerung in Abschiebegewahrsam geführt hatte. Nach der Einwilligung wurde mir auf meine Bitte mein Handy zurückgegeben, womit ich sofort Personen in Deutschland über meine Situation informierte. Dann wurde ich in die Räume der Abschiebehaft transportiert, in denen eine weitere Befragung begann. Ich sollte beantworten, ob ich nach Syrien wolle, Kontakt zu terroristischen Gruppen hätte oder solche kennen würde. Nach einer Weile wurde ich in einen Raum mit vier Betten gebracht, in dem die ganze Zeit das Licht brannte und der videoüberwacht war. Ein Mitgefangener berichtete mir, dass er sich schon zwei Tage nur in diesem Raum befand und wahrscheinlich noch 5 weitere Tage warten müsse. Immer wieder kamen Menschen in den Raum und fragten mich, warum ich nach Diyarbakır wollte. Ein Mitarbeiter des Flughafens erläuterte mir, dass es dort gefährlich sei und meinte, dass er vor vier Tagen vier „sehr gefährliche, junge Terroristen aus Deutschland“ festgenommen hätte und zeigte mir Fotos von den Pässen der vier Freund*innen, die vier Tage zuvor abgeschoben wurden, auf seinem Smartphone.
Nach einer Phase des Wartens änderte sich die Stimmung schlagartig. Der Mitarbeiter mit dem Smartphone und weitere Männer kamen in das Zimmer und brüllten mich auf Türkisch an. Ich versicherte auf Englisch, dass ich kein Türkisch sprechen könne. Doch sie schrien mich weiter an und beleidigten mich. Der Mitgefangene, der etwas Türkisch sprach, wollte intervenieren, wurde aber sehr grob abgewürgt. Nach einer Zeit verließen die Männer den Raum. Ab diesen Zeitpunkt sprachen mich die Personen nur noch auf Türkisch an, ich bekam kein Wasser mehr ausgehändigt (was zuvor der Fall war) und wurde wiederholt angebrüllt. Kurz bevor mein Flug starten sollte und ich nur noch aus dem Raum raus wollte (in dem ich mich nur ca. 4 Stunden befand), verlangten der Mitarbeiter meine Handynummer in Deutschland (nach einer Zeit auch auf Englisch). Ich wollte ihm die Nummer nicht geben und er erklärte mir, dass ich ohne diese Angabe nicht abgeschoben werden würde. Daraufhin gab ich innen eine falsche Nummer, die ich drei Mal bestätigen musste.
Dann wurde ich zum Flugzeug begleitet und mein Pass dem Bord-Personal ausgehändigt. Bei der Ankunft erwartete mich ein deutscher Polizist, der mich aber nach einem kurzen Telefonat und nach einem kurzen Bericht meiner Studi-Geschichte ohne Kontrolle passieren ließ. Er meinte noch, dass von türkischer Seite keine Gründe für die Abschiebung angegeben wurden.
Meine Abschiebung reiht sich ein, in die lange Kette von Repression gegen (Menschenrechts-)Delegationen und Journalist*innen, die über die Krisensituation in Bakur (Nordkurdistan) berichten wollen. Allein bei unserer Delegation wurden bisher, ohne Angaben von Gründen, insgesamt fünf Personen die Einreise in die Türkei verweigert und vier Personen im Amed festgenommen, geschlagen und bespuckt (http://civaka-azad.org/vier-teilnehmer-der-newroz-delegation-der-yxk-in-diyarbakir-festgenommen/). Der türkische Staat will damit verhindern, dass ausländische Personen über die Gewalt, die Repression und die Massaker in Cizîr, Sûr und jetzt in Gever berichten. Davon werden wir uns nicht einschüchtern lassen! Der Kampf gegen das AKP-Regime und für eine demokratische Autonomie und Selbstverwaltung geht weiter!