Vier AktivistInnen, die aus Deutschland zum kurdischen Newroz-Fest nach Diyarbakir reisen wollten, wurden von der türkischen Polizei schikaniert und ausgewiesen – ein Gedächtnisprotokoll.
Am 16.03.2016 haben wir, drei Freundinnen und ich, uns um halb zwölf nachts nach Hannover zum Flughafen aufgemacht. Von dort aus wollten wir zunächst nach Antalya und im Anschluss nach Amed (Diyarbakir) fliegen. Schon bei der Gepäckabgabe kam das erste schlechte Bauchgefühl auf. Die Frau am Schalter tippte, nachdem sie meinen Namen eingegeben hatte (ich war die erste), sehr lange irgendetwas in ihren Computer. Nachdem sie gesehen hatte, dass wir nach Antalya einen Anschlussflug nach Amed haben, hat sie den Hörer genommen und angefangen zu telefonieren. Zunächst schien es, als ob es nur um das Gepäck geht, wie das weitergeleitet werden soll. Jedoch ist verdächtig oft der Name „Diyarbakir“ gefallen, so oft, dass wir angefangen haben, uns darüber zu wundern. Wir fragten sie, wie das nun sei, ob das Gepäck im Flugzeug bleibt, weil wir nicht allzu viel Zeit zum Umsteigen hatten. Sie meinte, wir müssen in Antalya unser Gepäck abholen und dann vor Ort nochmal beim Flug nach Diarbakir einchecken.
Wir haben uns ins Flugzeug gesetzt und sind zunächst ohne weitere Vorkommnise geflogen. Bei der Landung hat die Boardcrew sich per Durchsage ganz normal verabschiedet und im Anschluss (was ich auch noch nie vorher gehört habe) durchgesagt: „Die Passagiere, die im Anschluss an den Flug einen weiteren Flug mit Sun Express haben, sollen sich bei der Boardcrew melden, sie werden dann direkt weitergeleitet“. Wir „freuten“ uns blauäugig, weil wir die Befürchtung hatten, dass wir den Flug verpassen würden. Wir sind dann nach vorne gegangen und haben uns gemeldet, dass wir einen Anschlussflug haben. Wir sind unmittelbar vor der Flugzeugtür stehen geblieben.
Wir wurden dann an einen Mann verwiesen, der uns zum „Anschlussflug“ bringen soll. Mir ist er schon da etwas komisch vorgekommen. Er war Türke, sprach Englisch, hatte aber weder die Mannschaftssachen an, noch irgendetwas, was ihn als Angestellten des Flughafens zu erkennen gab. Er trug eine normale Jeans und einen schwarzen Mantel.
Im Nachhinein sprach alles dafür, dass er keiner war, dem man hätte folgen sollen, aber wir waren im Stress, aufgeregt und ohne Erfahrung. Wir folgten ihm alle zusammen.
Wir standen kurz vor der Kontrolle und er meinte, wir sollen ihm die Pässe geben, damit er uns schnell nach vorne schleust. Wir taten das. Er hat die dem Polizisten in der Kabine geben, der hat angefangen zu kontrollieren. Zwei von unseren Pässen hat er kontrolliert und die Einreisebestätigung auf einem kleinen Zettel an uns gegeben, beim dritten Reisepass hat er dann gestockt, da unser Begleiter ihm auf Türkisch etwas gesagt hat. Dann hat er die Pässe unserem Begleiter wiedergegeben. Wir waren etwas überfordert. Er fragte uns, wie unser Gepäck aussieht, alles mit der Ausrede, damit es schnell weitergeleitet wird. Wir erklärten zögernd, dass es Rucksäcke sind.
Er ist dann losgegangen und meinte, wir sollen ihm folgen. 200 Meter weiter war eine Polizeistation im Flughafen. Dort kam einer raus und er gab ihm die Pässe. Sie unterhielten sich auf Türkisch. Wir fragten ihn, was das wird und er meinte: „ Kontrolle, Kontrolle“. Wir haben gewartet und eigentlich war es uns da schon klar, wieso ausgerechnet wir kontrolliert wurden, das Wort Diyarkabir ist dann wieder häufig gefallen. Wir standen draußen und die Polizei hat angefangen in dem Raum unsere Pässe in Computer einzugeben, das konnten wir durch das Fenster beobachten. Der Mann der uns begleitet hat, hat angefangen, uns Fragen zu stellen, wieso wir nach Diyarbakir wollen. Wir meinten, wir wollen da Urlaub machen, da uns von der Delegation gesagt wurde, wir sollen das mit der Delegation nicht erwähnen – ob das im Nachhinein schlau war oder nicht, wissen wir nicht. Er hat immer ungläubig gefragt, ob es nur Urlaub sei.
Irgendwann kamen immer mehr Polizisten und wir wurden dann hereingebeten. Sie haben uns in ein Zimmer gebracht, wo wir uns hinsetzten sollten. Es kamen zwei Männer in zivil. Sie haben angefangen, uns zu fragen, wieso wir nach Diyarbakir wollten. Wir sind bei der Story geblieben, wir wollen da Urlaub machen. Sie glaubten uns nicht. Wir meinten, wir wollen zunächst in Diyarbakir bleiben aber gucken, wo es uns da verschlägt, und dass wir die Kultur und die Gegend kennen lernen wollen.
Es folgten Fragen nach Hotelbuchung, eventuellen Bekannten in der Türkei und unserem Budget. Recht bald kam ein älterer Polizist, der versuchte, sehr nett zu uns zu sein und deutsch konnte. Er stellte dieselben Fragen immer und immer wieder. Wir antworteten gleichlautend. Er meinte: „Das ist nur eine Standardprozedur. Beantwortet die Fragen, dann könnt ihr weiter reisen“.
Immer wieder kamen Leute rein, die mit uns Englisch oder Deutsch gesprochen haben. Immer wieder wurden wir gefragt, ob wir nicht wissen, dass es da gefährlich ist und was wir da machen wollen. Irgendwann hat der „nette“ Polizist sich auf mich fokussiert, und meinte immer mit einem Lächeln, dass ich hier ja „Chef“ von der Truppe sei und sie anführe – und ob ich nicht Türkin oder Kurdin sei. Für paar Minuten lag die Aufmerksamkeit auf mir, weil ich als einzige nicht deutsch ausgesehen habe.
Sie fragten uns nach Telefonnummern, die wir ihnen nicht gaben. Das verärgert sie und immer wieder sagten sie: Ihr habt kein Hotel, kein Geld, keine Nummer. Was wollt ihr da wirklich? Wir sind bei der Story geblieben. Sie haben immer wieder versucht, uns vier zu trennen und uns einzeln zu verhören. Wir haben aber darauf bestanden, dass wir zusammen bleiben und nichts mehr sagen werden. Es kamen immer wieder neue Leute, bei dem Verhör waren es insgesamt an die 25 Menschen, die mitwirkten. Das waren sowohl Bullen, als auch Grenzschutz, als auch die Security vom Flughafen und irgendwelche zivilen Männer, woher auch immer.
Wir betonten, dass unser Anschlussflug gleich gehen würde (das war schon nach 1 ½ Stunden) und der „nette“ Bulle meinte: Keine Sorgen, wir würden den kriegen, wenn wir mitmachen. So ging das die nächsten Stunden, immer wieder Fragen: ob wir studieren, was wir da wollen, wen wir da kennen usw. Wir haben irgendwann beschlossen, überhaupt nichts mehr zu sagen. Da hat sich die Stimmung geändert. Es kam ein anderer Türke in den Raum, der auch Deutsch konnte und fing an genau die gleichen Fragen zu stellen, nur aggressiver. Er sei kein Bulle, nur Dolmetscher behauptete er. Sie sagten dann, wir würden ohnehin zurückgeschickt. Wir fragten: Auf welcher Grundlage. Sie antworteten: Weil es so ist. Noch blieb der angebliche Dolmetscher ruhig, aber aggressiv und irgendwann sagte er, wir sollen froh sein dass er kein Bulle ist, weil er mit uns sonst noch viel schlimmere Sachen machen würde, das sollten wir uns lieber erst gar nicht vorstellen.
Zwei von uns sind dann zur Toilette gegangen. Eine längere Zeit kamen sie nicht wieder, das war uns nicht geheuer. Wir fragen nach, die Bullen antworteten, dass die jetzt durchsucht werden. Die zwei Freundinnen wurden von zwei weiblichen Bullen in einen Raum anstatt zur Toilette geführt.
Nachdem die Tür geschlossen war, wurden sie sehr ruppig und unter Beleidigungen zur Leibesvisitation gedrängt. Eine Freundin musste sich vollständig inklusive Unterwäsche entkleiden, bücken, die Beine spreizen und von der deutlich angewiderten Bullin begrapschen lassen. Nach dieser Prozedur wurden wir zu einem Toilettenraum geführt. Die beiden kamen nach einer Weile wieder und sagten, dass bei denen eine Leibesvisitation durchgeführt wurde. Nun waren meine Freundin und ich als nächstes dran. Die haben uns in ein kleines Zimmer gedrängt, wo die meinten dass wir uns ausziehen sollten. Wir haben versucht uns dagegen zu wehren, aber die Frauen wurden sehr deutlich, was das anging. Wir zogen uns aus, sie haben uns mit hasserfüllten Blicken und unter Beleidigungen kontrolliert, fanden aber nichts.
Als wir wieder zurück gingen, meinte eine Freundin, dass sie das Armband in den Farben Rojavas gesehen haben und darüber geredet haben. Als wir vier wieder in dem Zimmer saßen, hat sich die Stimmung drastisch geändert. Sie wurde aggressiver und unfreundlicher. Die gleichen Fragen wurden wieder gestellt, aber dieses Mal eindeutiger. Ob wir nach Syrien wollen, wie wir die Situation einschätzen, ob wir glauben, dass es Kurdistan gibt etc.
Nachdem die Frauen denen berichtet haben, ob und was die gefunden haben, sprachen die alle lauter werdend durcheinander. Sie schnappten sich unser Handgepäck und fingen an, es zu durchsuchen. Sie fanden ein Telefon in einer der Taschen der Freundin. Als sie es fanden ging das Chaos los. Sie schrien uns an, was da ist, und wühlten noch mehr herum, sie fanden ein kurdisches Wörterbuch und Fäden in Rojavafarben. Sie fuchtelten damit vor uns herum und fragten, ob wir wissen, dass das „terrorstische“ Farben seien. Und wofür wir in der Türkei ein kurdisches Wörterbuch brauchten.
Sie betonten immer wieder: „Ihr habt jetzt ein riesiges Problem“ und haben versucht, uns einzuschüchtern und Angst zu machen. Wir blieben relativ stark und ließen uns nicht trennen und haben versucht, nichts mehr zu sagen. Oft hörten wir die Bullen das Wort „Newroz“ sagen. Da war uns spätestens klar, dass wir da nicht mehr weggekommen. Nach mehreren Minuten Chaos gingen die ersten wieder raus, dann waren nur noch wir vier da und drei Bullen.
Ein Bulle in zivil kam, der gut Englisch gesprochen hat. Sie haben angefangen, Zettel auszufüllen und fragten uns nach den Namen unserer Eltern. Wir schwiegen. Aus irgendeinem Grund hat er angefangen, mich auf russisch anzusprechen. Ich antwortete immer nur auf englisch, dass wir uns nicht trennen werden, aber allein da ich wohl drauf reagiert hab, hat er gecheckt, dass ich russisch kann.
Sie fragten uns, ob wir nach Syrien wollten oder schon mal dort waren, und ob wir einer „terroristischen“ Gruppe angehören. Wir haben das immer verneint und sonst nichts mehr gesagt. Sie haben immer wieder versucht, uns unsere Abschiebungspapiere unterschreiben zu lassen, wir verweigerten. Einen Anruf, auf den wir bestanden haben und der uns laut Protokoll auch zugesichert wurde, haben sie uns zunächst nicht gewährt, sondern meinten, erst wenn wir unterschreiben und alles sagen, können wir telefonieren. Oder gar erst in Deutschland. Wir haben immer wieder betont, dass wir über unser Recht Bescheid wissen und dass wir das Recht haben, zu telefonieren. Darauf meinten die Bullen nur, dass wir in der Türkei seien und nicht in Deutschland und hier klar andere Regeln gelten.
Nach vier Stunden Verhör haben sie uns in einen anderen Raum gebracht. Der Bulle, der uns hingebracht hatte, schrie uns immer wieder an und fuchtelte mit seinen Händen aggressiv vor uns herum. Wir kamen dann in einen 6m²-Raum wo es vier Betten gab und eine Toilette. Dort wurden wir für die nächsten 12 Stunden festgehalten. Vor unserer Tür standen immer zwei Frauen Wache. Zwischenzeitlich sind immer wieder neue Menschen vorbeigekommen, haben uns wieder die gleichen Fragen gestellt: „Was wolltet ihr in Diyarbarkir, seid ihr kurdisch, habt ihr kurdische Eltern“.
Nach weiteren Stunden und Nachfragen, durfte eine Freundin dann einen Anwalt anrufen. Dieser schaltete dann das Außenministerium ein, das uns aber im Endeffekt nicht half. Uns wurde angeboten, einen Flug um drei nach Frankfurt zu nehmen, was wir ablehnten. Dann meinten sie, wir müssen bis um Mitternacht warten und werden zurück nach Hannover geschickt. Wir hatten immer noch die Hoffnung, dass wir irgendwie durch unsere Gespräche mit Anwalt und co. weiter nach Amed könnten und wollten deswegen noch ein bisschen Zeit herausschlagen. Letztendlich haben wir den Flug um Mitternacht genommen. Wir wurden zwanzig Minuten vor Abflug von mindestens 5 Bullen plus Securities zum Flugzeug gebracht. Unsere Pässe wurden der Mannschaft übergeben.
Auf Nachfrage wurde gesagt die kriegen wir in Deutschland wieder. Angekommen in Deutschland wurden wir von der deutschen Polizei erwartet, die uns auch wieder fragte, ob wir wissen warum wir ausgewiesen wurden, ob wir nach Syrien wollten etc. Wir haben nicht viel dazu gesagt, nur dass wir keine Ahnung haben und sauer sind. Unser Gepäck wurde dann vom Zoll nochmal komplett gefilzt.