Die neu gegründete Gruppe „radikale linke | berlin“ will über die herkömmlichen Formen linker Politik in Deutschland hinaus – auch am revolutionären 1. Mai. Aber wohin? Ein Gespräch mit zwei AktivistInnen.
Schon der Ort des Treffens ist ungewöhnlich. Nach Wedding, nicht nach Kreuzberg, haben uns die GenossInnen der radikalen linken | berlin bestellt, nachdem wir um ein Interview angesucht haben. Wir sitzen auch nicht, wie es uns das Klischee vorschreiben könnte, in einer verrauchten Kneipe mit allerlei linkem Tand an der Wand, sondern in einem türkischen Café, das sogar ziemlich leckeres Kayseri Kahvalti hat. Bei Cay und Kippen erklären uns Can und Lara (Namen, ihr werdet´s nicht vermuten, von der Redaktion geändert), was ihre Gruppe so macht und wieso das neu und aufregend sein soll.
Der Tagesspiegel schreibt, ihr wollt am 1. Mai ein Haus besetzen. Stimmt das?
Lara: Wenn, dann wird nicht besetzt, sondern es werden Objekte
vergesellschaftet, die nur zum Zwecke der Spekulation leer stehen. Fest steht jedenfalls, dass wir ein Haus brauchen. Und nicht nur eines, viele. Wir haben in unserem Aufruf für den 1. Mai geschrieben, dass wir ein soziales Zentrum fordern und es uns nehmen werden, so oder so. Einfacher für alle Beteiligten wäre es, man gibt uns das Ding gleich und einfach so. Wenn nicht, werden wir dafür kämpfen und auf dem Weg dahin wird es viele Gelegenheiten geben, zu zeigen, dass es uns Ernst ist. Der 1. Mai könnte so eine Gelegenheit sein.
Can: Wichtig ist vor allem, eine Bewegung anzustoßen, in der es darum gehen muss, das urbane Leben als ein Kampffeld zu begreifen, in dem wir um Stellungen ringen müssen, wo wir – metaphorisch gesprochen – Stützpunkte, Schützengräben und Barrikaden gegen die Angriffe des Kapitals brauchen. Wenn wir anfangen, zu verstehen, dass wir unser Leben in dieser Stadt nur gestalten können, wenn wir gemeinsam kämpfen, dann ist schon viel gewonnen.
Kämpfen gegen was? Wo seht ihr denn die wichtigsten Bereiche, in denen was getan werden muss?
Lara: Das spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab. Die meisten von uns haben beschissene Jobs. Und dann stehen wir vor dem Problem, dass wir mit dem Geld, das wir aus dieser ohnehin schon für sich genommen erdrückenden Lohnarbeit rausbekommen, keine Wohnungen mehr finden, in denen wir leben wollen. Es sind ja nicht bloße Statistiken, die uns zeigen, dass Wohnen in Berlin immer teurer wird und immer mehr Menschen verdrängt werden. Gentrifzierung ist kein trockenes Phänomen aus Studien und Doktorarbeiten, es betrifft uns wirklich und konkret – und mit uns viele, viele tausende andere. Die Gentrifzierung und Zerstörung gewachsener sozialer Milieus begreifen wir als Klassenkampf.
Der Kampf um das „Recht auf Stadt“, wie das Ding von denen genannt wird, die sich theoretisch damit befassen, hört aber nicht bei den Mieten auf, auch wenn da ein zentrales Feld liegt. Er umfasst ja auch die Mitbestimmung darüber, wie die Stadt denn insgesamt aussehen soll, in welcher Art von Stadt wir leben wollen. Da fällt vieles mit rein, das fängt beim öffentlichen Verkehr an und hört bei Nachbarschaftszentren und Vereinsräumen noch lang nicht auf. Wenn sowas wie der linke Kulturverein Allmende geräumt wird, damit irgendsoein Knilch noch mehr Profit machen kann, dann betrifft uns das alle, denn da geht’s drum, wie diese Stadt am Ende aussieht und wem sie gehört.
Can: Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren Gelegenheit gehabt, uns außerhalb von Deutschland anzuschauen, wie produktiv der Kampf um die Aneignung von Stadt sein kann. Da ging viel, da wollen wir aus den Erfahrungen in anderen Ländern lernen …
Du meinst Griechenland und die Türkei …
Can: Ja, und andere. In Spanien etwa ist die Bewegung gegen Zwangsräumungen groß und kann uns Vorbild sein. Aber eigentlich hatten alle größeren Bewegungen der vergangenen Jahre irgendwo an zentraler Stelle den Kampf um das Recht auf Stadt. Das fängt ja schon damit an, dass die AktivistInnen ganz gezielt damit begonnen haben, sich die öffentlichen Plätze ihrer Metropolen anzueignen: Syntagma-Platz in Athen, Puerta del Sol in Madrid, Taksim in Istanbul, Zuccotti Park in New York. Da ging es auch darum, die Interesse derer sichtbar zu machen, die, geht es nach den Immobilienfirmen, Hauseigentümerkonzernen und Politikern, am besten aus dem Stadtzentrum verschwinden sollen.
Lara: Für uns war inspirierend, wie die Leute reagiert haben. In den meisten dieser Länder sind ja Nachbarschaftsorganisationen entstanden, oder Foren, in denen man sich getroffen hat, um
wenigstens mal anzufangen, darüber nachzudenken und zu reden, was man besser einrichten könnte und wie. Und das hat durchaus praktische Konsequenzen gehabt. In Griechenland haben die Leute zum Beispiel angefangen, ihre Skills und Fähigkeiten zu vergesellschaften. Wenn da einer der Strom abgedreht wurde, weil sie nicht mehr zahlen konnte, kam jemand und hat den illegal wieder angeschlossen. In der Türkei geht das ja noch weiter, da hat das eine längere Tradition und da gibt es ja ganze Viertel, in denen der Staat kaum noch Zugriff auf das Alltagsleben hat und die Dinge selbst in die Hand genommen werden. Die gleiche Tendenz findet sich auch in Kurdistan, da entstehen auch Rätestrukturen, die in Stadtteilen organisiert sind.
Man könnte einwenden, dass es sich da ja um ganz andere Situationen handelt und das in Deutschland alles so nicht klappen wird …
Lara: Klar, wir kämpfen hier unter anderen Bedingungen. Und klar, wir müssen auf viel niedrigerem Level beginnen, weil es hier kaum noch eine wirklich verankerte radikale Linke gibt, an die wir anknüpfen könnten. Aber auf unsere Weise können wir die Fragen, die wo anders gestellt und beantwortet werden, auch aufgreifen, weil die Probleme, zumindest was Gentrifizierung, Verdrängung, Mietsteigerung und so betrifft, sehr ähnlich sind. Es wird sicher ein langer Weg bis zu dem Niveau, das die Bewegung in Athen oder Istanbul hat. Aber auch ein langer Weg beginnt irgendwo. Und diesen ersten Schritt wollen wir gehen. Wir müssen ja glücklicherweise nicht ganz von Null anfangen, es gibt ja wunderbare Initiativen. „Zwangsräumungen verhindern“ gefällt uns etwa ganz gut, auch vieles, was grade in Wedding passiert, geht in die richtige Richtung. Es gibt viele lokale Initiativen in Berlin, die gute Arbeit leisten. Da wollen wir auch versuchen, die zu supporten und vielleicht ein wenig zusammenzuführen.
Can: Außerdem sehen wir nicht so richtig, was wir sonst machen sollten. Jahrelang haben die größeren Gruppen in Berlin eine Eventpolitik gemacht, bei der es darum ging, zu simulieren, dass es eine große, vitale Linke in der Hauptstadt gibt. Man hat dann zu einer Gelegenheit zehntausende Menschen auf der Straße, etwa am 1. Mai, und tut so, als sei das schon ein Wert für sich. Aber eigentlich ist es ja nie gelungen, diese Leute auch zu organisieren. Wir haben nichts gegen Großdemos und Kampagnen, ganz im Gegenteil. Aber wir sollten auch erstmal wieder damit anfangen, uns eine wirkliche Basis zu erkämpfen, wirklich irgendwo verankert zu sein. Es geht uns um reale Gegenmacht.
Und die wird durch ein soziales Zentrum geschaffen?
Can: Nicht nur, aber natürlich auch. Es geht um die Organisierung von größeren Menschengruppen, um den Aufbau sozialer Beziehungen zwischen Leuten, die Widerstand leisten wollen, aber noch nicht miteinander verbunden sind. Und es geht um die Etablierung einer Kultur der Widerständigkeit und der Revolte. Da haben wir Ideen, wie soetwas funktionieren könnte. Wir haben
gesehen, dass eine Linke vor allem da stark ist, wo sie nützlich sein kann, wo sie schon im Hier und Jetzt versucht, die Keimzellen des Neuen zu sähen. Und das kann viele Formen haben. Wie die das in Griechenland gemacht haben, haben wir ja schon grade erwähnt. Wir meinen, es wäre wichtig, einen Möglichkeitsraum zu eröffnen, wo Menschen zusammenkommen können, und auch ihr Alltagsleben kollektiv besser bestreiten können. Das fängt damit an, dass wir Anwälte fragen wollen, ob die kostenlos Hartz-IV-Beratung machen, wir wollen Sprachkurse machen, wo sich Leute gegenseitig Sprachen beibringen, wir wollen Kampfsport, Bildungsangebote und vieles mehr selbstorganisiert zusammenbringen. Und das ganze ohne irgendwelche Beschränkungen auf die eigene „Szene“. Und genau dafür brauchen wir Infrastruktur. Und die wollen wir uns jetzt erkämpfen, auf vielen verschiedenen Ebenen. Und eine dieser Ebenen wird der Kampf um ein soziales Zentrum, das den Raum für verschiedene solche Initiativen bieten sollen. Und dann kanns weiter gehen. Schafft ein, zwei, viele soziale Zentren.
Ihr mobilisiert auf euren Plakaten ja nicht nur zur revolutionären 1.-Mai-Demo in Kreuzberg, sondern auch zur DGB-Demonstration. Warum?
Can: Auf der DGB-Demo gibt es ja seit Jahren eine ganz vernünftige Initiative linker GewerkschafterInnen, den „klassenkämpferischen
Block“. Dazu rufen wir auf und die GenossInnen aus dem Block rufen für unseren Block auf der Abenddemo auf. Wir finden, dass man mit den linken Kräften in den Gewerkschaften zusammenarbeiten muss, das ist Teil der Strategie, aus dem Szene-Gehege auszubrechen.
Lara: Und wir rufen ja auch zur Walpurgisnacht-Demonstration im Wedding auf, die von den GenossInnen dort gemacht wird. Hier dasselbe Spiel: Wir mobilisieren dorthin, die FreundInnen da mobilisieren zu uns. Im Idealfall legen wir bei allen drei Demos eine gute Performance hin und freuen und dann bei der Party im sozialen Zentrum. Was aber jetzt nicht heißt, dass wir eins besetzen wollen. Niemand hat vor, ein soziales Zentrum zu besetzen.
Der Tagesspiegel befürchtet jetzt schon, es könnte deshalb am ersten Mai knallen …
Lara: Ach, das ist jedes Jahr dasselbe Spiel. Die Berichterstattung über die Demo braucht immer ihre Riot-Komponente, sonst ist die Hauptstadtpresse traurig und schreibt gar nix. Wir haben keine Ahnung, ob´s „knallen“ wird oder nicht. Da sind wir gelassen und warten ab. Empfehlenswert wäre für die Behörden sicher, deeskalativ vorzugehen. Wir finden: Die Stadt sollte mal in ihrem Liegenschaftskatalog kramen und uns eine schmucke geräumige Immobilie zwischen Wedding und Neukölln geben. Für sinnlose Großprojekt wie einen Flughafen, der nie eröffnen wird, ist doch in Berlin offensichtlich genug Geld da. Warum dann nicht mal zur Abwechslung etwas für die Menschen? Das wäre doch mal eine vertrauensbildende deeskalative Maßnahme.
Can: Zwei Immobilien wären noch besser. Und nen Garten. Wenn es keinen Garten gibt, dann dreh ich durch.
Danke für das Gespräch, wir sehen uns auf der Straße.
# Interview: Fatty McDirty
Proteste in Berlin rund um den 30. April und 1. Mai 2015 - RASH 27. April 2015 - 9:35
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