Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“: Politisches Statement, Marktsegment, beides oder nichts davon? Über Wandel und Stagnation eines Intelligenzlerberufs
Es war der 7. Januar 2015: Zwölf in der Redaktion des Pariser Satireblatts „Charlie Hebdo“ Angestellte werden bei einem Anschlag getötet. Am selben Tag erschien „Soumission“, der neue Roman des französischen Erfolgsschriftstellers Michel Houellebecq (geb. 1956). Zwei Geschehnisse, die miteinander seitdem unausweichlich in Verbindung gebracht werden, war Houellebecq doch mit Bernard Maris, einem der Opfer, gut befreundet. Außerdem zierte das Cover der aktuellen Hebdo-Ausgabe Houellebecq. Zentral scheint dabei der Inhalt des Buchs, welches kurze Zeit später, am 16. Januar bereits unter dem Titel „Unterwerfung“ in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Denn im Buch geht es um den Schrecken der sieben Kontinente: Die baldige Islamisierung und wie sie in nahester Zukunft, nicht allzufern von Dunkeldeutschland zur Realität werden könnte.
Polemisiert Houellebecq mit seinem Buch bewusst? Ist der Skandal eine ökonomisch-geplante Aktion? Treffen solche künstlerischen Inszenierungen überhaupt noch den Nerv gesellschaftlicher Stimmungen und sind in eine Nische am Rand degradiert? Let´s have a look…
Was will uns der Künstler sagen, kleiner Timmy?
Inhaltlich zeigt „Unterwerfung“ ein fiktives Frankreich, vor, während und nach den Präsidentschaftswahlen 2022. Der rechtsradikale Front National hat sich zur stärksten politischen Kraft gemausert und dabei die rechten und linken bürgerlichen Parteien hinter sich gelassen. Weiter links stehende Parteien, Organisationen und Bewegungen als der sozialdemokratischen PS von Francois Hollands, sind im Roman ziemlich konsequent ausgespart worden.
Mit einer jungen, mit der PS in der Wähler*innengunst gleichauf stehenden Partei, hat es der abendländisch-kleinbürgerliche Frieden zutun: Eine international vernetzte Muslimbruderschaft manövriert sich geschickt nach oben. Innerhalb eines Wahlbündnisses gegen Front National gelangt sie an die Spitze des einstigen westlichen Vorreiterstaats in Sachen Laizismus, der strikten Trennung von Kirche, Staat und Wurstwasser. Plötzlich ist nicht nur das schöne christliche Europa, samt Weißbrot-EU im Eimer, auch die bürgerliche Demokratie kommt gehörig aus dem Kreise drehenden Trott: „Seltsamerweise war der Westen überaus stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war, als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs, nicht selten kam es sogar zu einem Krieg, um dieses System anderen Ländern aufzuzwingen, die diesbezüglich weniger enthusiastisch waren.“ Die parlamentarische Demokratie macht etwas falsch: Sie spuckt plötzlich keinen marktpassablen Sozen, oder verklemmten Nadelstreifenchauvinisten als neues Staatsoberhaupt heraus.
Was es heißt, in einem solchen Wandel zu leben, zeigt Houellebecq – wie sollte es denn anders sein – an einem sexuell frustrierten Mitvierziger, namens Francois: Misogyn hat der eigentlich gar nichts gegen Männerherrschaften per se („Ich bin für gar nichts, wie du weißt, aber das Patriarchat hatte zumindest den Vorzug zu existieren, also ich meine, als Sozialsystem, es hatte Bestand […]“), ist als angestellter, später frührentnernder Dozent und Kenner des französischen Schriftstellers Joris-Karl Huysmans (1848-1907) und Larifari-Nichtwähler ebensowenig vom Unterschreiten des Existenzminimums, wie von unnötigen Moralismen gefesselt, die ihm den Umstieg allzu schwierig machen. Was solche Durchschnittsakademikerarschlöcher ausmacht, legt Houellebecq seinem Ich-Erzähler selbst auf die Zunge: „Mit zunehmendem Alter näherte auch ich mich Nietzsche immer mehr an, was zweifellos unvermeidlich ist, wenn man untenrum Probleme hat.“
Irgendwo fundierte, faustische, sicher einen Jota mit Kafkas Vater in Relation stehende, wie im Grunde allen innewohnende Angst essen Autor auf!
Die Zeiten waren einmal, als Literaturnobelpreisträger wie Thomas Mann Reden (in seinem Fall zuerst für, später wider den deutschen Imperialismus) hielten und in breiter Masse gehört wurden. Helene Fischer und Co. haben den abgedrehten Wirrköpfen und Bücherwürmern zumindest im monopolkapitalistischen Europa den Rang abgelaufen, wenn es heißt, die politische Kompassnadel im Ottonormalkopf zu justieren.
Was Schriftsteller*innen übrig bleibt, sind Wege, wie: 1. trotzdem weiterappellieren, auch wenn´s keiner hört, der nicht schon einen Master of Arts im Wandschrank stehen hat (und man im Glücksfall danach auch weiter verlegt wird), 2. politisch resignieren und checken, dass man selbst auch nur als Geistesarbeiter*in ein Korn im Scheißhaufen des Marktes ist, an den man auf Gedeih und Verderb klebt ist (das mag manchmal auch ein gewisses Bewusstsein fördern und seltener noch wieder zu 1. führen), oder 3., mit den ersten beiden Optionen spielen, sich inszenieren.
Letzteres zeigt, wie hoch sich die Performance als Bestandteil der neoliberalen Arbeitswelt eingepegelt hat: Bei Christian Kracht (geb. 1966), z.B., der sich in Zuge der Promo für seinen 2008er Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ urplötzlich zum agitpropenden Autor ummodelte, handelt das Buch doch von einer Sowjetschweiz nach Leninscher Bauart, die sich in einem ewigwährenden Krieg mit Nazideutschland befindet.
Ähnlich verwurschtelt sich auch scheinbar Michel Houellebecq, als Privatperson und als inszenierte Künstlerfigur, ohne Chance, von außen das eine vom anderen ohne Weiteres zu scheiden.
Mein Kunstwerk und ich, wir sind jetzt zusammen
Trotzdem: Ob nun der Schreiber, der Performer, oder die öffentliche Person: Wenn Houellebecq Bullshit sagt, wie „Die dümmste Religion ist doch der Islam“, dann muss man darauf reagieren. Denn Houellebecq selbst und „Unterwerfung“ im Speziellen entspringt einem islamophoben und rassistischen Klima, das seit langem in Westeuropa Einzug hält und deren Träger*innen und Profiteure von Marine Le Pen, über den in Frankreich innovierten identitär-faschistischen „Bloc identitaire“ (von welchem Houellebecq ein ausgefeiltes fiktives Profil im Roman entwirft), oder der rechte Journalist und „Ein-Mann-Pegida“ Eric Zemmour reichen. Dagegen muss man antworten und eine größtmögliche antirassistische Gegenmacht aufbauen.
Inmitten dieser Angstmache ein Buch auf den Markt knallen, das gerade jene engstirnigen Phobien bedient, ist gleichzeitig ein unmotivierter Gang mit dem Zeitgeist und bewusster Hechtsprung in einen Goldtopf. Dabei muss man Michel Houellebecq für seine mittelmäßige Midlifecrisis-Allegorie weder zu einem Märtyrer der achso freien Meinung stilisieren, noch ihn in die braune Ecke der Blut-und-Boden-Autoren stellen (den Orden, hat er sich mit „Soumission“ sicher nicht verdient). Eher noch zum gutverdienenden Spinner, der nicht mehr weiß, wo er anfängt und sein belletristisches Produkt aufhört. Auch eine Form der Entfremdung von der eigenen Arbeit – irgendwie.
-Houellebecq, Michel: Unterwerfung, DuMont, Köln 2015 [Übersetzung: Cassau, Norma/ Wilczek, Bernd]
-Pat Batemensch