Es ist selten, aber bisweilen passiert es doch: Ein Bulle wurde wegen Körperverletzung und Verfolgung Unschuldiger verknackt. C. Stahl hat den Fall für euch ausgewertet.
Schürfwunden, Hämatome, eine Schädelprellung und ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung nebst Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. So lautete für einen unserer Leser das Ergebnis eines Abends in Ingolstadt, an dem die Zweitvertretung des FC Ingolstadt den FC Eintracht Bamberg in der Regionalliga empfing.
All dies geschah am 26. Juli 2013, einem Freitagabend. Insgesamt 30 Bamberger Fußballfans machten sich an diesem Nachmittag gegen 16 Uhr auf den Weg ins gut zwei Stunden entfernte Ingolstadt. Vor dem Spiel, welches nebenbei 1:0 für Ingolstadt endete, flogen ein paar Böller durch die Gegend. Zudem ereignete sich einer der dreistesten Akte bayrischer Kriminalgeschichte, als ein alkoholisierter Bamberger Fußballfan 40 Karten aus dem Kassenhäuschen des FC Ingolstadt entwendete und daraufhin in der Obhut der Ingolstädter Ordnungshüter landet. Diese Tat soll in unserer Geschichte noch eine Rolle spielen.
Das wenig ereignisreiche Spiel wird bewusst übersprungen, da hier schlichtweg nichts Relevantes passierte. Nach dem Spiel traf die Bamberger Zugbesatzung, abzüglich unseres bereits erwähnten Langfingers, am Ingolstädter Bahnhof ein. Ziel der Polizei war es nun endlich dem verdienten Feierabend zu frönen und die verbliebenen Bamberger möglichst schnell in irgendeinen fahrbaren Untersatz zu verfrachten. Nun kommt es aber in seltenen Fällen dazu, dass Menschen den Anweisungen der eingesetzten Beamten nicht unmittelbar Folge leisten. So auch an diesem Abend in Ingolstadt.
Die Zugreisenden aus Bamberg wollten nämlich keineswegs ohne ihren zu diesem Zeitpunkt noch in der Obhut der Polizei befindlichen Freund abreisen. Grund genug für die Polizei, ihrem Gewaltmonopol Nachrdruck zu verleihen und den Versuch zu starten, die Gruppe eine Treppe herunter auf das Gleis zu drängen. Im Zuge dieser Drängelei versetzte unser Leser, wir nennen ihn hier M. M., dem 39-jährigen Polizeibeamten S. einen Stoß gegen den Rücken. Obwohl M. M. sofort von mehreren anderen Bullen angegangen wurde, ließ S. es sich nicht nehmen, ihm mehrere heftige Schläge mit dem Schlagstock zu versetzen. Auch als er schon fixiert auf dem Boden lag, folgten weitere Schläge in die Rippen. M. M. war kurzzeitig bewusstlos, verbrachte die Nacht in der Zelle, bevor dann gegen halb 6 am Samstagmorgen das volle Programm erkennungsdienstlicher Maßnahmen folgte.
Beim Blick in die Zeitung folgte die Ernüchterung. Die rasenden Reporter der örtlichen Tagespresse hatten in der vergangenen Nacht die ganz große Story gerochen und erregt an den Lippen des Pressesprechers der Ingolstädter Polizei gehangen. Nun titelte der Donaukurier aus Ingolstadt: „Im Treppenabgang des Hauptbahnhofes trat ein 23-jähriger Bamberger ohne Vorwarnung in den Rücken eines Polizeibeamten und drohte ihm mit einer abgeschlagenen Glasflasche.“ Auch die Redaktion des Fränkischen Tag aus Bamberg hatte Bock auf ein bisschen Action im schnöden Alltag, suchte ein möglichst martialisches Randale-Foto, wurde bei einem Spiel von Rot-Weiss Essen fündig und titelte dazu „Fan-Randale in Ingolstadt fordert die Polizei“. Der Erstdruck dieser journalistischen Glanzleistung soll Insider-Informationen zufolge tagtäglich in einer feierlichen Prozession durch die heiligen Hallen des Fränkischen Tag getragen werden.
Wenige Tage später folgte dann die Vorladung der Bundespolizeiinspektion Würzburg, die M. M. zum Gespräch bat. Zudem hagelte es ein Stadionverbot bis zum 30. Juni 2016 und ein halbjähriges Bahnverbot. All dies auf Grundlage folgender Aussage des Polizeibeamten Schwarzmüller:
„Als ich mich auf der vorletzten Stufe dieses besagten Treppenhauses befand, bekam ich von hinten einen heftigen Fußtritt in die Wirbelsäule ab, wodurch ich starke Schmerzen verspürte. Als ich mich umdrehte sah ich den o.g. Beschuldigten M., der gerade eine Bierflasche am Treppengeländer zerschlug und sich in meine Richtung näherte. Einer der Splitter traf mich am Jochbein der rechten Gesichtshälfte. Durch den Splitter erhielt ich eine kleine, blutende Schnittverletzung. Unter Mithilfe meines Mitarbeiters PHM B. konnte der Beschuldigte unverzüglich zu Boden gebracht und dort fixiert werden.“
Was S. in seinem ausgeklügelten Szenario allerdings nicht bedachte, ist, dass seine Glanztat für die Nachwelt festgehalten wurde. Also gönnten wir uns ein paar Tütchen Mikrowellen-Popcorn und hofften gebannt auf ein bisschen „Alarm für Cobra 11“ – Action. Doch auch nach dem 20. Mal anschauen, verschiedenen Blickwinkeln inklusive Nase auf die Glotze, sahen wir keine abgebrochenen Glasflaschen, keine Tritte und auch keine Schnittverletzungen. Vielmehr die bewusste Misshandlung eines jungen Mannes ohne irgendeinen gerechtfertigten Grund.
Mit diesem Material wandte sich M. M. wenige Tage später an die „Rot-Schwarze Hilfe“ (RSH), aus Nürnberg, einer Solidaritätsgemeinschaft die sich unter anderem dem Kampf gegen die repressiven Maßnahmen der Sicherheitsorgane verschrieben hat. Hier nahm sich ein Anwalt des Falles an.
Mit Erfolg. Im November 2013 wird das Verfahren gegen M. M. eingestellt und gleichzeitig ein Verfahren gegen S. eingeleitet. Der entschließt sich dann im März 2014 über seinen Anwalt zu erklären, dass seine Wahrnehmung doch ein wenig getrübt gewesen sei, die ganze Story mit der abgeschlagenen Flasche irgendwann früher geschehen ist und dass mit Hand und Fuß auch alles leicht schwierig war in dem Gedrängel. Kann ja jedem mal passieren.
Die Staatsanwaltschaft scheint sich allerdings auch zu einem Fernsehabend bewaffnet mit Robe und tütenweise Chips eingefunden zu haben und hat sich nach langen Diskussionen dazu durchgerungen, zur Tat zu schreiten und der Gerechtigkeit Genüge zu tun. So wurde am 2. Mai 2014 das Hauptverfahren wegen „gefährlicher Körperverletzung im Amt in Tatmehrheit mit Verfolgung Unschuldiger“ eröffnet und S. Ende Oktober zu 16 Monaten auf Bewährung verknackt, was gleichzeitig das Aus für seine glorreiche Beamtenlaufbahn bedeutet. Im Saal anwesend sind neben der Frau S.´s noch rund 30 Bullen die zur Unterstützung ihres Kollegen herbeigeeilt sind, der sich selbst nur als „großes Opfer“ bezeichnet.
Die Krönung liefert tags darauf der bereits ausgiebig mit Lob überschüttete Ingolstädter Donaukurier, der es sich nicht nehmen lässt das Urteil als „Schock für die Ingolstädter Polizei“ zu bezeichnen. Klare Kritik am Vorgehen der Polizei? Fehlanzeige!
Was bleibt ist auf der einen Seite die Genugtuung darüber, dass wir es hier mit einem der wenigen Fälle zu tun haben, in denen eine Polizei, die sich in Deutschland scheinbar außerhalb des Rechtssystems bewegt, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen wird. Auf der anderen Seite bleibt jedoch die Gewissheit, dass nur ein großer Zufall dabei half, dass in diesem Fall die Wahrheit ans Licht kam. Und natürlich die abenteuerliche Geschichte unseres Ingolstädter Lieblingsbullen S., der schon eine Gedenkstatue vor der Ingolstädter Polizeiwache in greifbarer Nähe sah und sich nun wohl nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen muss. Viel Glück dabei!
Trotzdem bleiben ein Jahr Stadionverbot, 500 Euro Anwaltskosten, die Gewissheit, dass bayrische Bullen genauso scheiße sind, wie wir immer angenommen haben, und die Aufnahme des Ingolstädter Donaukuriers in die Bestenliste der beschissensten Tageszeitungen Deutschlands.
– Von C. Stahl