In Wiener Neustadt ging der „Schlepperprozess“ zu Ende. Sieben der acht Angeklagten wurden wegen „gewerbsmäßiger Schlepperei in krimineller Vereinigung“ verurteilt
Es kam wie es kommen musste. Trotz aller Skandale und „Ermittlungspannen“ wurden in Österreich sieben Asylwerber als „Schlepper“ verurteilt. Alles deutet darauf hin, dass die aus Pakistan, Afghanistan und Indien geflohenen Männer nichts anderes getan hatten, als sich gegenseitig und andere Geflohene zu unterstützen. Für Staatsanwaltschaft, Richterin und nicht zuletzt auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) stellte sich die Sache aber von Beginn an anders dar: kriminelle Vereinigung, gewerbsmäßige Schlepperei. Die Innenministerin phantasierte bei der Festnahme der Männer von einem „brutalen Schlepperring“, der schwangere Frauen auf der Fluchtroute ausgesetzt habe. Später musste die Politikerin zurückrudern und behauptete, nur ganz allgemein von den kriminellen Machenschaften von Schleppern gesprochen zu haben. Die öffentliche und veröffentlichte Vorverurteilung stand damit aber bereits fest.
Wenn das skandalöse Verfahren – Stichworte: Polizeirazzia im Kloster, falsche Übersetzungen von Telefonüberwachung – mit seinem ungeheuerlichen Ende etwas Gutes hat, dann das, dass in Österreich endlich eine etwas breitere Debatte über Schlepperei und Fluchthilfe stattgefunden hat. Endlich wurde zumindest ein bisschen darüber diskutiert, dass es politische Situationen gibt, in denen es heldenhaft sein kann, anderen bei der Flucht zu helfen. Und dass die Aufrüstung der Festung Europa inklusive bewaffneter Flüchtlingsabwehr sowie bewaffneter Schaffung von Fluchtgründen (schlag nach unter „humanitäre Intervention“) das zugrunde liegende Problem ist.
Den Verurteilten nützt das natürlich herzlich wenig. Zwar haben sie mit ihrer langen Untersuchungshaft die unbedingten Gefängnisstrafen bereits abgesessen – Bestrafung per U-Haft ist in Österreich mittlerweile zur Normalität geworden –, doch für die laufenden Asylverfahren bedeutet eine Verurteilung nichts Gutes.
Das unmittelbare zugrundeliegende Problem bleibt natürlich auch bestehen. Das europäische Asylsystem ist derart gestaltet, dass es Flüchtenden faktisch nicht mehr möglich ist, auf legalem Weg in die EU zu kommen und einen Asylantrag zu stellen. Fluchthilfe wird so zu einem unabdingbaren Bestandteil von Flucht, und tatsächliche kriminelle Schlepper reiben sich die Hände. Es gilt, was Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not“, Anfang des Jahres geschrieben hat – und wofür er beinahe vor Gericht gezerrt worden wäre: „Es gibt auch Schlepper, die Verbrecher sind. Die ihre Leute elendig sterben lassen. Oder Frauen auf den Sklavinnenmarkt liefern. Zuhälter und Mörder! Keine Frage. Diese Lumpen sind Abfallprodukte der Festung Europa. Sie werden erst verschwinden, wenn eines Tages die Festung fällt. Aber vor jedem ehrlichen Schlepper, der saubere Arbeit macht: der seine Kunden sicher aus dem Land des Elends und Hungers, des Terrors und der Verfolgung herausführt, der sie sicher hereinbringt, den Grenzkontrollen zum Trotz, in unser ‚freies‘ Europa, habe ich Achtung.“
Somit bleibt nur, den Kampf gegen die Festung Europa zu intensivieren. Denn deren Wirtschafts- und Kriegspolitik ist dafür verantwortlich, dass jeden Tag hunderte oder tausende Menschen in Afrika, Asien oder sonst wo sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Man kann getrost sagen, dass die Politik des Westens die Menschen aus ihren Ländern vertreibt. Und diejenigen schließlich, die es entgegen allen Widrigkeiten lebend in die EU schaffen, sind anschließend polizeilicher Verfolgung und medialer Hetze ausgesetzt und werden von rechtsradikalen Schlägerbanden und „besorgten Bürgern“ bedroht. Und wenn sie sich dagegen wehren und für eine menschenwürdige Behandlung einsetzen, dann gehts es richtig los. Der jetzt zu Ende gegangene Prozess war nicht zuletzt auch ein Rachefeldzug gegen die Refugee-Proteste in Wien vor zwei Jahren, an denen sich einige der nun Verurteilten beteiligt hatten.
– Karl Schmal