Josef S. ist wegen Landfriedensbruch inkl. Rädelsführerschaft, schwerer Sachbeschädigung und versuchter schwerer Körperverletzung bei den „Ausschreitungen“ im Rahmen der Proteste gegen den rechten „Akademikerball“ in Wien im Januar nun zu 12 Monaten Haft verurteilt worden, davon 8 bedingt. Nachdem Josef bereits 6 Monate in U-Haft gesessen ist, kann er also nach Hause gehen. Als Verurteilter. Die Beweise für seine Schuld? Gibt es nicht. Ein bis zu Prozessende anonym auftretender Polizist war Hauptbelastungszeuge der Anklage. Dass sich der Mann während des Verfahrens immer wieder in Widersprüche verstrickt hat, seine KollegInnen die Aussagen nicht unterstützten, Bild- und Videomaterial ebenso wenig – das hat weder Staatsanwaltschaft noch Richter interessiert. Keiner der geladenen PolizistInnen konnte Josef S. identifizieren – auch egal. Ein anonymer Zeuge reicht. Im Schlussplädoyer des Staatsanwaltes hörte sich das laut Prozess-Protokoll der Tageszeitung Standard so an: „Die Wahrnehmungen (des anynomen Belastungszeugen; Anm.) sind im Einklang mit anderen Beweisergebnissen: mit dem Schmauchspuren-Gutachten, das für sich nicht ausreichend wäre für eine Verurteilung – in Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen aber schon. Und mit dem Video des ORF-Kameramannes, das zeigt, wie der Angeklagte eine Mülltonne aufstellt.“ In anderen Worten: der Angeklagte hat eine Mülltonne aufgestellt. Ansonsten gibt’s keine ausreichenden Indizien, aber irgendwie zusammenkombiniert reicht‘s schon irgendwie für eine Verurteilung.
Von ähnlicher Qualität und Logik ist die Urteilsbegründung. Im Lauf des Verfahrens tauchte der Vorwurf auf, Josef S. habe mehrmals telefoniert, dies sollte als Beweis für seine „Rädelsführerschaft“ herhalten. Die Auswertung dieser Telefonate ergab: nichts. Josef hat 2 Mal versucht zu telefonieren, 1 Mal wurde er angerufen, in den Gesprächen ging es um irgendwas. Das Telefon als Beweismittel wollte sich das Gericht aber nicht nehmen lassen. Und so wies der Richter in der Urteilsbegründung allen Ernstes darauf hin, dass Josef S. eine österreichische SIM-Karte hatte, die dessen kriminelle Absichten untermauern würden: „Und die SIM-Karte – warum reist jemand an, der nichts Böses im Schild führt, der ein deutsches Handy hat, und besorgt sich hier eine österreichische SIM-Karte?“ Äh… Wie bitte??
Von ähnlichen Absurditäten war das gesamte Verfahren gespickt. Die Widersprüche in den Aussagen des Hauptzeugen wertete der Richter etwa als Beweis für dessen besondere Glaubwürdigkeit, weil Irren ja menschlich ist. Und so weiter und so fort. Man reibt sich bei der Lektüre der Prozess-Protokolle die Augen. Auch bei der Urteilsbegründung. Diese folgt im Wesentlichen der Logik, dass die meisten ZeugInnenaussagen zwar die Indizien nicht erhärtet hätten, aber eben auch die Unschuld des Angeklagten nicht beweisen würden. Die Unschuldsvermutung existiert in der österreichischen Rechtsprechung offensichtlich nicht mehr. Josef S. wurde wegen Teilnahme an einer Demonstration verurteilt.
Besonders perfide schließlich der Hinweis des Richters, dass antifaschistischer Protest den Faschisten dazu dienen würde, sich als Opfer darzustellen: „Welche Möglichkeit geben Sie den Leuten, die in der Hofburg tanzen?“, so der Richter bei der Urteilsbegründung in Richtung Josef. „Da gibt es Aussagen wie ‚Wir sind die neuen Juden‘ – die stellen sich als Opfer hin. Da sitzen namhafte Politiker in ‚Im Zentrum‘ (Diskussionssendung im österr. Fernsehen; Anm.) und gerieren sich als Opfer“. Dies wäre nach Ansicht der Richters ohne „Ausschreitungen“ nicht passiert. AntifaschistInnen sind also in den Augen der österreichischen Justiz verantwortlich für Aussagen und Handlungen von Nazis.
Viele Fragen wurden in dem Prozess nicht beantwortet und auch von den meisten Medien – trotz einhelliger Kritik an dem Verfahren – nicht gestellt. Zum Beispiel die Frage, welche Aufgabe so ein Zivilpolizist auf einer Demo eigentlich hat. Bei der ersten Verhandlung stellte sich bekanntlich heraus, dass der Hauptzeuge selbst vorübergehend von seinen KollegInnen festgenommen worden war. Abgesehen davon, dass es die Qualität seiner Aussage doch einigermaßen beeinträchtigen müsste, dass er den Angeklagten gar nicht die ganze Zeit beobachten konnte, wie es zunächst geheißen hatte, stellt sich die Frage: Warum wurde der Zivile festgenommen? Was hatte er getan? Nimmt die Polizei einfach so mal DemonstrationsteilnehmerInnen fest, die gar nichts Verbotenes tun? Oder hat sich der Zivilbulle etwa selbst an den „Ausschreitungen“ beteiligt?
Wie man es dreht und wendet: der ganze Prozess hatte keinen anderen Zweck als die Kriminalisierung von antifaschistischem Protest und den Versuch, potentielle Demo-TeilnehmerInnen einzuschüchtern. Der Prozess gegen Josef und der kommende gegen Hüseyin (gegen den ganz ähnliche Vorwürfe erhoben werden wie gegen Josef) sind vor allem auch Präzedenzfälle für künftige Verfahren. Denn mit weniger sozialem und antifaschistischen Protest ist wohl in den kommenden Jahren nicht zu rechnen. Die österreichische Justiz hat gezeigt, auf wessen Seite sie steht, und sie hat ein wunderbares Mittel gefunden, um ihr so verhasste Linke fertig zu machen: Landfriedensbruch. Ein paar Zivilbullen reichen aus, um Leute hinter Gitter zu bringen. Die erzählen dann einfach, was notwendig ist, und der Richter glaubt es, denn „natürlich ist eine Aussage ein schwaches Beweismittel, aber man muss auch auf Zeugen bauen können“, wie es am Ende der Urteilsbegründung hieß. Und den Landfrieden brechen – man kann ruhig davon ausgehen, dass Zivilbullen auch das können.
– Von Karl Schmal
Fotos: lower class magazine