Buchrezension zu Julius Fučíks „Eine Reise nach München“ von 1934 Von Pat Batemensch
„Menschen, ich hatte euch lieb, seid wachsam!“ Es ist ein ungebrochener Trend bürgerlicher Erinnerungskultur, zu reduzieren und damit an immer falscher Stelle zu relativieren. Was bringt es auch, sich mit Menschen und ihrem Schaffen auseinanderzusetzen, wenn den absoluten und gottgleichen Überblick doch eh nur der ominöse Datenkrake von aus dem All erlangen kann. Nein, lieber ins gemachte Nest setzen, sich das schmucke Che-Shirt überstreifen, Punkt 20.15 Uhr den neuesten alten Schmodder von Stefan Raab anschalten, so lange, bis dann endlich alle mal sagen: „Eigentlich…“
Literaturwissenschaftlich geht es da kaum anders zu (nur schlimmer, denn „studentisch“ pseudointellektualisiert). Wenn denn auch die von den Prof.´s dahingestellten Leselisten meist wenig hergeben, wird vielen schon schwindlig, wenn sie sich nur darüber hinaus versuchen. Geht man dann davon aus, dass aus dem Stoff der Journalismus unserer Zeit gewebt wird, dann stellt sich dem Todesröcheln der Printmedien auch noch der Abgesang vom aufmuckenden Journalismus anbei. Nicht etwa, dass die Probleme heutiger Journalist*innen etwa geringfügige sind: Wessen Wiki-Weisheit ist das jetzt? Sind das tatsächlich die Aufrufe meines Blogs für einen ganzen verdammten Monat? And last but not least: Wie soll ich von den paar Peanuts ohne aufzustocken überleben können?
Wenn das Wirtschaften in die Zeit geht und sich das Kapital irgendwann konkretere Gedanken übers Klonen machen muss, damit immer mehr Jobs auf einzelnen Lohnabhängigen schiefverteilt werden – was bleibt da über, als das nächstbeste Zitat daherzunehmen, in aller Eile zwei, drei Fotos zu knipsen und dann nebenbei de*r Layouter*in den Platz abzuzwacken, weil der Job dann auch noch parallel und für lau „rationalisiert“ wurde. Und am Ende steht die größtmögliche Schnittmenge mit Publikationsplattform und bürgerlicher Gesellschaft. Wir haben ein Problem.
Eben jener Journalist, der ca. neun Jahre später mit obengenanntem Hinweis seine „Reportage unter dem Strang geschrieben“ („Reportáž psaná na oprátce“) enden ließ, wurde 2013 im Jahre seines 110. Geburtstages und der 70. Jährung seiner Ermordung durch die deutschen Faschisten, vom Verlag Wiljo Heinen auf die richtige Weise geehrt: Er wurde wiederentdeckt und verlegt. Erstmals erschien Julius Fučíks „Eine Reise nach München“ in deutscher Sprache. Fučík war im Juli 1934 illegal über die Grenze nach Bayern gewandert.
„Es ging abwärts“, schrieb er über seinen Hinweg, und ein wenig Dante dringt durch, dessen Abstieg in den tiefsten Kreis der Hölle damals aber nicht im NS-volksgemeinschaftlichen München endete. Fučík hingegen stellte im Sommer 1934 fest, dass „München gerade jetzt interessanter als je zuvor [war], gerade jetzt erlebte es Tage, mit denen es in die Geschichte eingehen konnte, […] Es waren die Tage des Krachs, der großen sozialen Lüge, die hier geboren worden war.“ Gerade hatte die sog. „Nacht der langen Messer“ Ernst Röhm, Gregor Strasser, zahlreicher SA-Nazis und „Linker“ innerhalb der NSDAP das Leben gekostet – hingerichtet von den eigenen Kameraden. Der faschistische Wahnsinn nahm Fahrt auf und wütete in den eigenen Reihen, unter denen, die sich da an den sozialdemagogischen Floskeln der NS-Faschisten bis ganz nach oben in die Riegen des Apparats verirrten.
„Es gibt Leben, die sind teuer bezahlt. Das Leben von Röhm und Schneidhuber gehört nicht dazu.“ Fučíks scheinbarer Widerspruch ist, dass er nach anderthalbjähriger Nazi-Diktatur an ein frühes Abwirtschaften des Deutschen Reichs und infolgedessen an eine revolutionäre Situation glaubte, die es auch unter den ehemaligen SA-Kettenhunden vorzubereiten galt, unter den agitiert werden musste. Dass er durchaus den Klassencharakter des Staates, den er von „Beruf als Tourist“, besuchte, als monopolkapitalistisch erkannte, trug der eigenen Annahme Bekräftigung bei. Als langjähriges Mitglied der tschechoslowakischen KP, hatte er Verfolgung und Verbote kennengelernt, sah sich der Zuspitzung der Klassengegensätze gegenüber, die sich durch staatliche Gewalt, Chauvinismus und ungezügelte Repression ausdrückte. Das deutsche Hitlerregime, dass es vermochte, auch (und oftmals vorallem) Kleinbürger*innen und Arbeiter*innen in die Schimäre zu integrieren, der wenig später Millionen durch industriellen Mord und imperialistischen Angriffskrieg zum Opfer fielen, kannte der Chefredakteur der „Tvorba“ nicht. Wie auch? Kannte er mehr vom Faschismus als seine internationalen Zeitgenoss*innen? Konnte er die unsagbare Vernichtungsmaschinerie vorausdeuten? Sollte er etwa schon gewusst haben, wie er 1942 nach mehrjährigem Antifa-Widerstand verhaftet, monatelang verhört, gefoltert und letztlich als „Hochverräter“ ermordet werden sollte?
Die Hoffnung in die verstoßenen Helfershelfer der ersten Stunden, die früh Enttäuschten und von der NS-Volksgemeinschaft Verratenen, war eine trügerische, der Zeit entsprungen, wie im Größeren jede Form der appeasement policy. Doch Julius Fučík erkannte auch den Wahn, die Folgerichtigkeit eines jedwede Aufklärung verneinenden Systems: „…es ist kein gutes Zeichen für die Zukunft eines terroristischen Regimes, wenn die Schwerter, auf die es sich stützt zwar nicht ihre Schärfe verloren haben, sie aber von einer ermüdeten Hand ohne Sicherheit und Überzeugung geführt werden.“ Wieviel Schläge der selbstzerfressene Arm des Faschismus der Welt und den Menschen darin noch austeilen kann, ehe er sich ausgeblutet hat, davon wissen wir jetzt mehr. Wir kennen den Preis des Journalisten, dessen Reise in die Hölle zwar glückte, den die Barbarei jedoch einholte und letztlich den Strang bescherte. Dem widmete er sich ebenso journalistisch wie schriftstellerisch in seiner ihm eigenen konkreten Kompaktheit.
Julius Fučík bleibt einer der großen Journalist*innen, die sich als Tourist*innen zwar tarnen können (und oft gut daran tun), sich als Schreiber*innen jedoch der Rolle verpflichtet fühlen, Widersprüche aufzuzeigen. Würde das wegreduziert, wir hätten keinen Journalismus mehr, nur noch kahle Berichte, in denen die weite, weite Welt nichts meint, als bloße Informationstrends, dem Abkappen von Zusammenhängen und der sich positionslos enthaltenden menschlichen Faust in Herzgröße darin. (Wir haben da mittlerweile tatsächlich ein Problem.)
– Julius Fučík: Eine Reise nach München. Juli 1934 [Übersetzung: Helga Katzschmann]. Verlag Wiljo Heinen. Berlin und Böklund 2013. 61 S. 10 €