[Istanbul Diaries III] Staatsfeind Brot

21. April 2014

60 Menschen werden verhaftet und zusammengeschlagen, weil sie auf dem Taksim-Platz gegen den Polizeimord an einem Fünfzehnjährigen protestieren wollten

berkinbrotGestern Nachmittag war es das Buch. Eine Hundertschaft von Zivilpolizei drangsalierte einige Dutzend Menschen, die zum öffentlichen gemeinsamen Lesen und Bücherverschenken zum Istanbuler Taksim-Platz gekommen waren. Jeder, der ein Buch bei sich hatte, wurde aus dem Gezi-Park vertrieben. Wenige Stunden später, gestern Abend, wurden Brote der inkriminierte Gegenstand, den man auf dem Taksim nicht bei sich führen durfte, wollte man nicht festgenommen werden.

Denn in den vergangenen Wochen war es üblich geworden, bei Kundgebungen, die an den von der Polizei ermordeten Jugendlichen Berkin Elvan erinnern, Brote als Symbol zu verwenden. Der aus Okmeydani stammende damals 14 Jahre alte Berkin Elvan war vergangenes Jahr kurz nach der polizeilichen Räumung der Protestbewegung vom Taksim-Platz in seinem Heimatbezirk von einer Tränengasgranate am Kopf verwundet, während er für seine Familie Brot holen wollte. Monate lag er im Koma, ehe er Anfang März verstarb. Millionen Menschen beteiligten sich an der Beerdigung des „Kindes der Hoffnung“, wie Berkin in der Türkei genannt wird. Bis heute finden regelmäßig Kundgebungen statt, die eine Bestrafung der Täter fordern und die Polizeigewalt des Erdogan-Regimes verurteilen.

Aus diesem Grund versammelten sich auch gestern einige Dutzend Menschen auf dem Taksim, legten Bilder des Toten und Brote nieder, riefen Parolen. Eine durch und durch friedliche Aktion, aber auch das darf nicht sein. Denn seit Gezi und insbesondere kurz vor der traditionellen 1.-Mai-Demonstration sind alle politischen Meinungsäußerungen auf und in Nähe des Taksim-Platzes verboten und werden rigoros verfolgt. Die Bullen griffen also an, das Resultat: 60 Verhaftungen, einige Schwerverletzte, die mit Kopfverletzungen im Krankenhaus behandelt werden.

Für die 60 in die berüchtigte Polizeistation Vatan verbrachten Aktivisten führten dann heute Mitglieder der Gefangenenhilfsorganisation TAYAD, brotest die Familien von inhaftierten Revolutionären unterstützt, einen Sitzstreik durch. „Wir bleiben, bis alle unsere Freunde freigelassen werden“, sagt einer der Protestierenden. Wann das der Fall sein wird, ist noch nicht abzusehen. Eine linke Anwältin verriet uns, dass einige der Verhafteten an einen jener Sonder-Staatsanwälte überstellt wurden, die normalerweise für die „Terror“-Verfahren zuständig sind. Das lässt nichts Gutes hoffen, denn diese sind berüchtigt für ihre Willkürurteile gegen alle Oppositionellen.

– Peter Schaber

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