Dies ist der Beginn einer Serie. Dem Thema angemessen denkt diese Serie aber in großen Zeiträumen, und deshalb wird ab nun in jeder Karwoche ein weiterer Teil veröffentlicht. Wer Jahrtausende lang auf den Erlöser warten kann, kann auch ein Jahr auf einen Artikel warten. Geplant war das zunächst nicht. Allerdings hat sich bei der Vorbereitung für den Beitrag herausgestellt, dass der Mensch nur eine bestimmte Menge an Jesus-Filmen ertragen kann ohne ein unerträgliches Bedürfnis nach Selbstgeißelung nebst Schuld- und Sündhaftigkeitsgefühlen zu entwickeln. Der Autor musste seinen Jesus-Film-Konsum also aus gesundheitlichen Gründen drastisch einschränken.
Hinzu kommt, dass dieses Genre ohnehin ausufert. Ein Blick auf die Abteilung „Neues Testament“ des Wikipedia-Eintrages zu Bibelverfilmungen genügt, um eine Ahnung davon zu bekommen, dass für eine adäquate Auseinandersetzung mit filmischen Adaptionen des Lebens Christi mindestens eine Artikel-Serie nötig ist. Keine historische oder mythologische Figur ist so oft auf der Leinwand gestorben wie Jesus. Dabei fehlen in dieser Wikipedia-Auflistung derzeit sogar Klassiker wie etwa „Jesus von Montréal“. Letzterer ist ein bedeutendes Beispiel der Jesus-Verfilmungen aus der New-Age,- und Beatmessen-Ära. Bekanntestes Werk dieses Subgenres ist natürlich „Jesus Christ Superstar“. Diese beiden essentiellen Filme hätten eigentlich in diesem ersten Teil unserer Serie behandelt werden sollen. Dem Autor dieser Zeilen war es jedoch unmöglich, sich den Andrew Lloyd Webber‘schen Klängen länger als fünfzehn Minuten auszusetzen; es bleibt zu hoffen, das wir uns im nächsten Frühjahr in einer robusteren Verfassung befinden.
Klappe 1: Leib, Seele und ein Satans-Engel
Zum Glück existieren wirklich unterhaltsame, gar lehrreiche Jesus-Filme – allen voran „Die letzte Versuchung Christi“. Martin Scorses Adaption des Romans von „Alexis Sorbas“-Autor Nikos Katzanzakis löste einen Skandal aus, als der Streifen Ende der 1980er Jahre in die Kinos kam. Die Darstellung Jesu als mit seiner Messias-Rolle nicht wirklich einverstanden – nicht zuletzt weil er sich für diese Rolle ans Kreuz nageln lassen muss – führte zum Zeitpunkt der Entstehung zu Protesten konservativer ChristInnen und sogar zu Anschlägen auf Kinos.
Im Zentrum dieser Kritik stand freilich jener Teil des Filmes, in dem Jesus vom Teufel in Gestalt eines blonden Engels vom Kreuz geholt und von dem Wahn befreit wird, der Messias zu sein. Gleichzeitig mit dieser Befreiung erkennt Jesus die Schönheit der materiellen Welt. Alles habe sich so verändert, sagt er mit Blick auf die grüne Landschaft; bis zu dieser Szene bestand das Setting des Films fast ausschließlich aus Wüstenszenen. Nein, erklärt ihm der Engelsatan, die Landschaft habe sich nicht verändert – er, Jesus, habe sich verändert. Und prompt heiratet er Maria Magdalena, es folgt eine Sexszene, zahlreiche Kinder werden geboren, Jesus schreinert wie weiland Vater Josef. Kurz: es wird endlich gevögelt und gearbeitet in dem Film, aus dem Messias ist ein ganz normaler Mensch mit Freud und Leid und Lust geworden. Zumindest vorübergehend. Denn am Ende seines Lebens fleht Jesus Gott um Verzeihung an und erklärt sich endlich dazu bereit, den Messias zu spielen. Sofort hängt er wieder am Kreuz und alles geht seinen bibelgemäßen Gang. Jesus hat somit Gott und Satan gleichermaßen ausgetrickst und war Messias und normaler Mensch gleichermaßen, der Schlingel.
Weitaus interessanter als diese metaphysischen Tricksereien des Zimmermann-Sohnes sind aber die Dialoge zwischen Jesus alias Willem Dafoe und Judas alias Harvey Keitel. Letzterem wird in dem Film die Rolle des konsequenten Revolutionärs innerhalb der jüdischen Widerstandsgruppe zugeschrieben, die sich um Jesus gebildet hat. Jesus aber, statt den römischen Besatzern ordentlich auf die Mütze zu geben, verdient sein Geld durch das Schnitzen von Kreuzen für die römische Hinrichtungsmaschinerie und schwafelt mystisches Zeugs. „I struggle – you collaborate“, wirft ihm Judas deshalb sehr berechtigt gleich zu Beginn des Films an den Kopf. Jesus sei eine Schande und ein Feigling, schreit Keitel. Seine Mutter fragt ihn, ob er überhaupt sicher sei, dass er nicht vom Teufel besessen sei. Nein, sagt Jesus, das wisse er nicht. Und dann erzählt er über die Liebe, mit der er die Besatzer zu bekämpfen gedenke. „Ich bin ein freier Mann“, kontert Judas, „ich halte meine Wange niemanden hin.“ Bei der anschließenden Diskussion der beiden darüber, ob zuerst der Geist befreit werden müsse (Jesus) oder der Körper, den es nach Brot verlangt (Judas), fühlt man sich wahlweise in eine Philosophie-Einführungskurs-Diskussion oder in eine linke Demobündnis-Grundsatzdebatte versetzt.
Wen das immer noch nicht animiert, sich den Streifen reinzuziehen, der sei auf zwei weitere Leckerbissen verwiesen, die sich Martin Scorsese einfallen ließ. Da ist zum einen Peter Gabriels abgespacter Eso-Weltmusik-Soundtrack, der sich vermutlich auch bestens zum Runterkommen von aus dem Ruder gelaufenen Räuschen eignet (nicht ausprobiert). Darüber hinaus aber, als heimlicher Höhepunkt, spaziert mitten im Film plötzlich Dawid Bowie als Pontius Pilatus über die Leinwand. Noch Fragen?
Klappe 2: SM im Cineplex
Filme, die ihre gesamte Handlung bereits im Titel tragen, sind immer super. Diese Eigenschaft zeichnet auch einen weiteren Höhepunkt des Jesus-Film-Genres aus: „The Passion of the Christ“, Mel Gibsons genialer Trick, via Jesus-Thematik einen Sado-Maso-Splatter-Streifen in die Cineplexe dieser Welt zu bringen und dafür Dankbarkeit der reaktionärsten christlichen Kreise zu ernten.
Der Titel verspricht, dass man sich hier nicht die ganze Story von der Krippe bis zum Kreuz reinziehen muss, sondern dass es vor allem um Peitschen, Nägel und Blut geht. Und Gibson löst das Versprechen ein. Menschliche Fleischfetzen und Blutstropfen wirbeln in Großaufnahme und Zeitlupe über die Leinwand. Es wird eigentlich fast nur gepeitscht in diesem Film. Dem konservativen Christen Gibson ging es darum, das Martyrium, das Jesus für unsere Sünden auf sich genommen hat, uns SünderInnen ins Bewusstsein zu peitschen.
Liberalere ChristInnen, denen der Erfolg des Streifens gar nicht behagte, bemängelten theologische Unstimmigkeiten. So sei, hieß es damals, die Hervorhebung des Leidens insofern widersinnig, als dieses ja im Sinne der christlichen Erlösungslehre notwendig gewesen sei. Die Kritik an diesem Leiden derart in der Vordergrund zu stellen würde demnach heißen, an einem der Bausteine des Christentums zu rütteln. Dass die ganze Erbsünden-Chose gelinde gesprochen etwas widersinnig sein könnte, darauf kamen dann aber auch die liberalsten Christenmenschen nicht.
– Von René Dupé