So kann man sich irren. Bis gestern waren viele in Österreich, darunter auch der Autor dieser Zeilen, der Meinung, die rassistischen und NS-verharmlosenden Ausfälle des Spitzenkandidaten der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Andreas Mölzer, dienen nichts anderem als der WählerInnenmobilisierung und der Sicherung medialer Präsenz im laufenden EU-Wahlkampf. Mit dem nun erfolgten parteiintern erzwungenen Rückzug des Parteiideologen und Aushängeschilds des deutschnationalen Burschenschafter-Lagers innerhalb der FPÖ von der EU-Wahlliste wurde aber deutlich, dass es innerhalb der Partei offenbar heftige Machtkämpfe gibt.
Was tatsächlich hinter den Kulissen abgeht, ist derzeit noch unklar. Die Interpretation vieler österreichischer KommentatorInnen, dass FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache seinen EU-Spitzenkandidaten mit Blick auf jünger WählerInnenschichten fallen gelassen hat, ist aber sicher zu kurz gegriffen. Denn auch wenn die jüngst bekannt gewordenen rassistischen Bemerkungen über den beliebten österreichischen Fußballspieler David Alaba wohl wenig nützlich sind, um die FPÖ für jugendliche WählerInnen interessant zu machen, so dürfte der Spitzenkandidaten-Wechsel wenige Wochen vor der Wahl der Partei doch mehr schaden.
Auch Interpretationen, denen zufolge Strache angesichts aktueller Umfragen, wonach er bei Parlamentswahlen derzeit an erster Stelle landen würde, sich nun „kanzlerfähig“ machen will und deshalb etwas mehr Distanz zu den offen Rechtsextremen innerhalb der Partei aufbauen will, sind nur bedingt überzeugend. Das hätte Strache auch nach den EU-Wahlen beginnen können.
Am plausibelsten scheint aus derzeitiger Sicht, dass Mölzer mit seinen Aussagen das zentrale europapolitische Projekt der FPÖ gefährdet hat. Nach der EU-Wahl wollen die „Freiheitlichen“ zusammen mit anderen Rechtsparteien eine neue Fraktion im Europaparlament gründen. Mit dabei sollen die Schwedendemokraten, Front National, Lega Nord oder Vlaams Belang sein – das Who is who des parlamentarischen Rechtsextremismus Europas gewissermaßen. Medienberichten zufolge meldeten etwa die Schwedendemokraten Bedenken wegen Mölzers plattem Rassismus. Die Partei, die bei den letzten Wahlen zum schwedischen Reichstag 5,7 Prozent der Stimmen einfuhr, befindet sich derzeit im Parlaments-Wahlkampf – im September wird gewählt – und versucht ebenfalls, verstärkt bürgerliche WählerInnen zu gewinnen und sich imagemäßig vom Rabauken-Rechtsradikalismus etwas zu distanzieren.
Was auch immer dazu geführt hat, dass Mölzer als EU-Spitzenkandidat abgesägt wurde – zwei Dinge sind klar: die FPÖ wird nicht menschenfreundlicher dadurch. Der neue EU-Kandidat Harald Vilimsky ist um keinen Deut besser. Allerdings kommt Vilimsky nicht aus dem burschenschaftlichen Milieu, und das führt zur zweiten Erkenntnis: innerhalb der FPÖ rumort es, die Deutschnationalen werden sich die Brüskierung einer ihrere wichtigsten Figuren nicht so einfach gefallen lassen. Bleibt zu hoffen, dass die FPÖ-Machtkämpfe ähnlich enden wie vor zehn Jahren und wie damals zu Spaltungen und jahrelanger Schwächung des „Dritten Lagers“ führen.
Am grassierenden Rechtsradikalismus in diesem Land würde das freilich wenig ändern. Derzeit etabliert sich Salzburg als Zentrum faschistischen Aktivismus. Seit Monaten tauchen immer wieder Nazi-Schmierereien auf, wiederholt wurden auch Gedenksteine für Holocaust-Opfer geschändet. Am Montag wurden zudem zwei Notlager von Unbekannten in Brand gesteckt. Mutmaßlich handelte es sich dabei um einen anti-ziganistischen Überfall. Salzburgs Vizebürgermeister Harald Preuner von der konservativen Volkspartei (ÖVP) sprach von möglicher „Selbstjustiz“ durch Anrainer – so als ob das Schlafen unter Brücken ein Verbrechen sei, das eine derartige „Justiz“ provozieren würde. Die Salzburger ÖVP hat sich im Kommunal-Wahlkampf Anfang des Jahres durch rassistische, gegen Roma und Arme gerichtete Propaganda hervorgetan. Ganz in FPÖ-Manier war auf Plakaten von „organisierten Bettlerbanden“ die Rede, die sich in der Stadt Mozarts ausbreiten würden. Auch dies zeigt, dass selbst eine potenzielle Selbstschwächung der FPÖ nichts Wesentliches am politischen Klima in Österreich ändern würde.
– Von Karl Schmal