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Obwohl ihm Inhaftierung, politische Verfolgung, Folter und im schlimmsten Fall sogar der Tod drohen, soll der 33-jährige Muhammed Tunç morgen, am 7. April, in die Türkei abgeschoben werden. Zwei Versuche der deutschen Behörden sind aufgrund seiner Wehrhaftigkeit, sowie des Engagements seines Anwalts und einer aktivistischen Öffentlichkeit bereits gescheitert. Doch nun scheint die Landesregierung Baden-Württemberg ernst zu machen: Laut Tunç wurde eigens ein Charter-Flug gemietet, welcher vom Stuttgarter Flughafen gen Diktatur abheben soll. 

Der Ausreisebescheid gegen Muhammed Tunç wurde schon im Jahr 2015 in Folge einer Verurteilung zu einer vierjährigen Jugendstrafe aus dem Jahr 2012 ausgestellt, welche er nach einer Auseinandersetzung mit türkischen Nationalisten absitzen musste. Doch Tunç, dessen Eltern schon aufgrund politischer Verfolgung nach Deutschland kamen, blieb. 2018 wurde er noch einmal verurteilt, diesmal wegen einer Auseinandersetzung mit der heute verbotenen türkisch-nationalistischen Rockergruppe Germanen-Osmania und sogar vorzeitig aus der Haft entlassen. Es ist also völlig unklar, warum ausgerechnet jetzt so vehement seine Abschiebung erzwungen werden soll.

Nicht nur, dass die Menschenrechtslage in der Türkei für linke politische Aktivist*innen und Kurd*innen weiterhin katastrophal ist – ihnen drohen in vielen Fällen aufgrund oppositioneller Äußerungen und Aktivitäten Inhaftierung und Folter. Muhammed Tunç wird zusätzlich von türkischen faschistischen Gruppierungen und Einzelpersonen mit dem Tode bedroht. So postete beispielsweise ein Instagram Account, von dem zuvor schon Drohungen gegen die Linke-Politiker*innen Cansu Özdemir, Gökay Akbulut sowie Civan Akbulut und den Referenten für Migration und Flucht bei medico international Kerem Schamberger abgesetzt wurden, dass er auf die Rückkehr des Fluges von Muhammed Tunç warte. Inklusive Flugnummer. Dahiner findet sich der Hashtag #jitemturkey. JİTEM bedeutet auf Deutsch soviel wie „Geheimdienst und Terrorabwehr der Gendarmerie“ – ein informeller Zusammenschluss von Sicherheitskräften, dessen Existenz zwar im Laufe türkischer Gerichtsverfahren in der Vergangenheit bestätigt wurde, die genaue Organisationsweise und der Zeitraum der Aktivitäten sind jedoch bis heute nicht bekannt. Sucht man im Internet und auf Social-Media-Plattformen nach dem Begriff, begegnen einem nicht nur Schilderungen von Einschüchterungsversuchen gegenüber Oppositionellen, sondern auch massenhaft Fotos und Videos von türkischen Nationalisten, in denen hauptsächlich Panzer, Gewehre und bewaffnete Männer in Uniform zu sehen sind, sowie Berichte über Morde an überwiegend kurdischstämmigen Aktivist*innen, die der JİTEM zugerechnet werden. 

Hinzu kommt, wie Muhammed Tunç im Gespräch mit dem LCM erzählt, dass in seinem Fall mittlerweile nicht mehr nur das Wort „Abschiebung“ sondern auch „Auslieferung“ fällt – denn als Mann in seinem Alter mit einer türkischen Staatsangehörigkeit wäre er dazu verpflichtet einen Wehrdienst in der Türkei abzuleisten. Seiner Schilderung nach, wurde ihm das bei einem Besuch im türkischen Konsulat am 23. März 2022, bei dem er einen Pass beantragte, nahegelegt. Das würde bedeuten, dass er neben einer absehbar schlechten Behandlung innerhalb des Militärs, auch in Gebiete geschickt werden könnte, in denen die türkische Armee aktuell einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt: beispielsweise in Nordsyrien gegen die Kurden. Die einzige Möglichkeit, den Dienst zu umgehen, ist eine Zahlung von mehreren tausend Euro. Muhammed Tunç soll also in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm schlimmste Verbrechen drohen. Und falls er das überlebt, soll er sich an ihnen beteiligen – eine perfide Logik.

Und die grüne Landesregierung in Baden-Württemberg? Im letzten Jahr wurden über 1.300 Personen aus dem Bundesland abgeschoben. Unter anderem in Türkei und vor dem Abschiebestop im August 2021 sogar nach Afghanistan. Und dann gibt es noch jene Fälle, in denen die Abschiebung vorerst verhindert werden konnte: Heybet Sener beispielsweise, ebenfalls ein kurdischer Aktivist, der erst vor vier Jahren nach Deutschland geflohen war, weil er in der Türkei verfolgt wurde. Oder Veli I. ein 66-Jähriger, der schon seit 30 Jahren in Deutschland lebt und krank ist. Es gibt viele solcher Fälle. Auch wenn das Ministerium für Justiz und Migration von der CDU geführt wird – die dominante Partei in der Landesregierung ist Bündnis90/die Grünen. Gleichzeitig bezeichnen diese sich selbst auf ihrer Webseite als „ökologisch, ökonomisch und sozial“ und werben für Feminismus und Ukraine-Solidarität. Blanker Hohn für die tausenden Betroffenen grüner Realpolitik.

Muhammed Tunç erzählte dem LCM von seinen Erfahrungen mit der Grünen Partei. Nachdem seine Abschiebung bereits im Februar zweimal verhindert werden konnte, meldete sich der Grüne Landtagsabgeordnete Daniel Lede Abal bei ihm. Er versprach seine Unterstützung und unterbreitete ihm sogar die Möglichkeit, freiwillig in ein Drittland auszureisen. Dem stimmte Herr Tunç zu – denn er weiß, was ihm in der Türkei droht – hatte jedoch immer mehr das Gefühl, dass die notwendigen Schritte für seine Ausreise wieder und wieder verschleppt werden. Bis das Angebot plötzlich am 02. April 2022 zurückgezogen wird. Warum ist unklar. Auf Anfrage äußerte der grüne Landtagsabgeordnete und Sprecher für Migration Lede Abal:

“Politische Verfolgung steht in der autoritär geführten Türkei auf der Tagesordnung. Es ist allgemeinhin bekannt, dass insbesondere politisch aktive Kurdinnen und Kurden in den Fokus des Erdogan-Regimes geraten. Wie andere Betroffene werden auch sie wegen fingierten Gründen willkürlich verhaftet, tyrannisiert, teilweise auch gefoltert. Der Fall Muhammed Tunç löst bei uns daher große Besorgnis aus. Wir halten die Abschiebung des in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Herrn Tunç für falsch. Dies teilten wir bereits vor mehreren Wochen dem Justizministerium mit. Wir haben uns heute erneut mit verschiedenen Fragen an das Justizministerium gewandt und um Stellungnahme gebeten.“

Auf die Frage nach der unterbreiteten Ausreise in einen alternativen Drittstaat, gab er jedoch keine Antwort. Auch das Ministerium für Justiz und der Migration Baden-Württemberg äußerte sich weder zu der Frage, warum Muhammed Tunçs Ausreise plötzlich forciert wird, noch dazu, ob der für morgen geplante Flug trotz seiner aktuellen Covid-19-Erkrankung wie geplant stattfinden soll. Es teilte lediglich mit, dass „Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse […] durch das dafür zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft und verneint“ wurden. Und das, obwohl selbst das Auswärtige Amt in seinen Reise- und Sicherheitshinweisen zur Türkei vor „Festnahmen, Strafverfolgung oder Ausreisesperren“ aufgrund von „regierungskritischen Stellungnahmen“ warnt und betont, dass dies in besonderem Maße Personen betreffe, die unter anderem eine türkische Staatsangehörigkeit besitzen, sowie dass „die türkischen Strafverfolgungsbehörden […] umfangreiche Listen mit Wohnsitz in Deutschland (führen), die […] zum Ziel von Strafverfolgungsmaßnahmen werden können.“ 

Und auch die Haftbedingungen in der Abschiebungshaft unterscheiden sich laut seiner Aussage nicht wirklich von denen, der ebenfalls in Pforzheim untergebrachten Strafgefangenen: „Hier ist alles gleich geblieben, nicht einmal die Farbe von den Türen hat sich verändert“ – Muhammed Tunç kennt das Gefängnis noch von früher. Schon 2019 stand die Haftanstalt in der Kritik, die Arbeitsgemeinschaft Abschiebehaft warf der Leitung damals fehlende Fürsorge und eine unnötige Reglementierungen der ehrenamtlichen Beratungsangebote in der Anstalt vor. Tunç berichtet in Folge seiner Öffentlichkeitsarbeit und des Anprangerns der Haftbedingungen auch von Schikane seitens der Justizvollzugsangestellten. So wurde ihm zum Beispiel im März sein eigenes, offiziell zugelassenes, Handy abgenommen worden – stattdessen bekam er eine Sim-Karte, bei der die Minute 0,33€ kostet und seine Telefonzeit wurde auf zehn Minuten pro Tag beschränkt. 

Betrachtet man die Abschiebepraxis der grün-schwarz geführten Landesregierung im Allgemeinen und den Fall Muhammed Tunç im Besonderen, stellt man wieder einmal fest, dass die Grüne Partei so gar nicht das umsetzt, wofür sie angeblich wirbt. Einen Charterflug in die Türkei zu mieten, um eine Person abzuschieben, die dort mit ziemlicher Sicherheit politischer Verfolgung von staatlichen und staatsnahen Gruppen ausgesetzt sein wird, ist weder ökonomisch noch ökologisch, geschweige denn sozial. 

#Foto: pixabay

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Wenn ich eines an Horst Seehofer besonders hasse, dann ist es das kalte Lächeln, das er bei öffentlichen Auftritten eigentlich immer aufsetzt, und das zwanghafte Witzeln, das vermutlich Souveränität signalisieren soll. Der CSU-Politiker und noch amtierende Bundesinnenminister, der gottseidank kürzlich seinen Abschied von der Politik angekündigt hat, kalauert eigentlich immer, zumindest wenn Kameras und Mikros auf ihn gerichtet sind – auch und gerade bei Themen, die keinerlei Anlass dazu bieten. Die hunderttausende Opfer der Politik des noch amtierenden Bundesinnenminister hatten und haben dagegen nichts zu lachen.

Aber was kümmern ihn die Geflüchteten, die dank der von ihm mit verantworteten und forcierten Abschottungsagenda der EU im Mittelmeer ersoffen sind? Was die Geflüchteten, die nach Afghanistan abgeschoben wurden und werden, respektive in andere Länder, in denen Krieg und Krisen herrschen? Der Mann ist Ehrenvorsitzender der CSU, also einer Partei, die das Wort „christlich“ im Namen trägt – aber er dürfe da nie einen Widerspruch gesehen haben. Auf Seehofer trifft wie wohl auf keinen anderen deutschen Politiker zu, was der polnische Aphoristiker Stanislaw Jercy Lec einst formulierte: „Sein Gewissen war rein, er benutzte es nie.“

Apropos Afghanistan. Ein gutes Beispiel für Seehofers eigentümliches Verständnis von Humor ist seine Äußerung im Zusammenhang mit der Sammelabschiebung von 69 Afghanen am 4. Juli 2018 von München aus. Es war die bis dahin mit Abstand höchste Anzahl von als abgelehnt geltenden afghanischen Asylbewerbern, die in einem Flug gleichzeitig „zurückgeführt“ wurden. Als der Minister knapp eine Woche später seinen „Masterplan Migration“ auf einer Pressekonferenz vorstellte, verwies er, nach Vollzugsdefiziten in der Praxis von Abschiebungen gefragt, auf die Abschiebung sechs Tage zuvor: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“

Im Gegensatz zur politischen Agenda des Bayern löste diese Bemerkung empörte Proteste aus. Sogar in den Reihen der CSU wurde die Äußerung als zynisch kritisiert. Als sich einer der abgeschobenen Asylbewerber in einer Zwischenunterkunft erhängte, bedauerte Seehofer dies öffentlich und erklärte, er habe davon zum Zeitpunkt der Pressekonferenz nichts gewusst. Die Geschichte zeigt vor allem, wie das durchgängige Verhaltensmuster des Horst Seehofer aussieht: Erst irgendwas Bösartiges und/oder Reaktionäres raushauen, relativeren kann man es hinterher immer noch.

Natürlich beherrscht der Christsoziale auch die Strategie, seine brachiale Politik zu verschleiern und sich als Vorkämpfer für mehr Humanität und Toleranz zu verkaufen. So simuliert er immer wieder Anteilnahme für die Geflüchteten, die versuchen, über das Mittelmeer Europa zu erreichen, zum Beispiel als er im Jahr 2019 von sich gab, es sei „unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen“ müsse. Verlogener geht es kaum!

Auch als Kämpfer gegen Rechts tritt Seehofer gern mal auf, etwa zuletzt bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020 des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Da kam er nicht umhin, die Realität zu akzeptieren und die Aktivitäten der Nazis als größte Bedrohung für die innere Sicherheit zu benennen. Natürlich vergaß der Minister nicht, darauf hinzuweisen, dass die „linkextremistisch motivierten Straftaten“ im fraglichen Jahr einen neuen Höchststand erreicht hätten. Die Szene agiere „zunehmend aggressiv und auch enthemmt“. Als kritischer Beobachter konnte man sich an dieser Stelle fragen, ob er über linke Aktivisten sprach oder nicht doch eher über die uniformierten Mitarbeiter der Bundes- und Länderpolizeien.

Um die vielen Sauereien in Wort und Tat, die Horst Seehofer zu verantworten hat, komplett aufzuführen, fehlt hier der Platz. Deshalb sei nur noch an einige besonders unangenehme Höhepunkte seines Wirkens erinnert, zum Beispiel was er in der Flüchtlingspolitik so angerichtet hat. Seehofer gehört zu den Spitzenpolitikern, die den unter anderem von Thilo Sarrazin mit seinem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ losgetretenen rassistischen Diskurs genährt haben. Schon 2010 erklärte der CSU-Mann, Deutschland könne nicht das „Sozialamt“ für die ganze Welt sein. Im März 2011 legte er noch einen drauf, sagte, er wolle sich „bis zur letzten Patrone“ gegen die „Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme“ wehren. Nicht verwunderlich also, dass er im Dezember 2013 einen Vorschlag der Berliner Bundesgruppe der CSU zur Beschränkung von Sozialleistungen für bestimmte Gruppen von Migranten unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ energisch verteidigte.

Die traurige Rolle des Bundesinnenministers in der von bürgerlichen Medien und reaktionären Kreisen als „Flüchtlingskrise“ bezeichneten Phase im Jahr 2015 ist hinlänglich bekannt. So setzte er Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Druck, indem er ein Signal zur Begrenzung der Zuwanderung verlangte. Seit dem Jahreswechsel 2015/16 fordert er beharrlich eine „Obergrenze“ von 200.000 Personen. Seinem Bruder im Geiste, Bundespräsident Joachim Gauck, dankte Seehofer dafür, dass dieser bereits die angeblich beschränkten Aufnahmekapazitäten des Landes angesprochen habe. Bei der Gelegenheit sei noch darauf hingewiesen, dass der Bayer gute Beziehungen zum faschistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán pflegte und pflegt.

Bereits zum Amtsantritt als Innenminister hatte er sich bei allen Reaktionären der Republik beliebt gemacht, indem er die medial ohnehin bereits seit Jahren gepuschte Hetze gegen Muslime anheizte. Im Leib- und Magenblatt der Reaktion, der Bild-Zeitung, verkündete Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime aber schon. „Muslime müssen mit uns leben, nicht neben oder gegen uns“, dekretierte der CSU-Mann. Dass in seiner Zeit als Innenminister die Asylgesetzgebung weiter verschärft worden ist, versteht sich von selbst. So bleibt sein Name verbunden mit der Einrichtung der „Ankerzentren“, in denen Asylbewerber interniert werden, bis über ihren Antrag entschieden ist.

Angesichts der Fülle von Schandtaten, die er in der Innenpolitik vollbracht hat, gerät fast in Vergessenheit, dass Seehofer bereits als Gesundheitsminister, als Landwirtschaftsminister und als bayerischer Ministerpräsident große Schäden verursacht hat. So legte er dem Ausbau der Windenergie Steine in den Weg, wo er nur konnte, um nur ein Beispiel zu nennen.

Ohne Frage, Horst Seehofer ist ein Brandstifter der sich allzu gern als Biedermann verkleidet. In dem Zusammenhang soll eine Äußerung nicht vergessen werden, die das illustriert wie kaum eine andere aus seinem Munde. Anfang September 2018, nachdem in Chemnitz Horden von Nazis Migranten durch die Stadt gejagt hatten, erklärte Seehofer, die Migrationsfrage sei „die Mutter aller politischen Probleme in unserem Land“ – nicht etwa Nazis, die Migranten jagen. Im Juli wird der frühere CSU-Chef 70 Jahre alt. In einem Interview erklärte er kürzlich, dann sei er 50 Jahre in der Politik: „Das reicht dann mit dem Auslaufen dieser Legislaturperiode wirklich.“ Uns reicht es schon lange!

#Titelbild: Michael Panse/ CC BY-ND 2.0

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Gestern deportierte Deutschland inmitten der COVID-19 Pandemie mindestens 31, anderen Quellen zufolge an die hundert tamilische und muslimische Asylbewerber nach Sri Lanka. Vier Menschen konnten legal vor der Abschiebung bewahrt werden. In den letzten Tagen waren tamilische Flüchtlingsgemeinschaften in Deutschland einer Welle von Razzien und Verhaftungen ausgesetzt. Dabei wurden einige Personen mit der Versprechung eines Zweijahresvisums zur Ausländerpolizei gelockt, wo sie dann verhaftet wurden. Die Kommunikation mit den Inhaftierenden wurde unterbunden, da ihnen die Telefone abgenommen wurden.

Freunde und Verwandte kennen ihren momentanen Aufenthalt und ihre Situation nicht, so IMRV-Human Rights. Aus unterschiedlichen Quellen konnte recherchiert werden, dass etwa 31 Tamil:innen in Düsseldorf, ca. 50 in Frankfurt und 11 in Stuttgart festgenommen wurden. In Nordrhein-Westfalen kamen alle festgenommenen Tamil:innen in das berüchtigte Abschiebegefängnis Büren.

Die Zahlen zu verifizieren und wie viele letztendlich tatsächlich abgeschoben wurden, ist angesichts der abgebrochenen Kommunikation mit den Opfern schwierig. Die deutschen Behörden sind bemüht diese Abschiebungen mit maximaler Heimlichkeit durchzuführen, vor allem da Deutschland wenige Tage vorher für eine UN-Resolution zu Sri Lanka gestimmt hatte.

Deutschlands Aktion ist besorgniserregend, da es in den vergangenen Jahren keine Abschiebungen nach Sri Lanka gab und erkannt wurde, dass die Menschenrechtslage in Sri Lanka absolut kritisch ist. Selbst nach Ende des Bürgerkrieges durch einen Massenmord der Armee (1983 – 2009) mit dem Tod des LTTE-Anführers Velupillai Prabhakaran am 18. Mai 2009 besteht der Konflikt weiterhin. Die Repressalien gegen die tamilische und die tamilischsprachige muslimische Minderheit werden immer drastischer, während die internationale Gemeinschaft tatenlos zuschaut, wenn nicht sogar die Repression unterstützt. Nach wie vor werden bis heute mehr als 146 000 Tamil*innen vermisst, von denen es keinerlei Informationen gibt. Der Krieg endete mit einem Genozid an der tamilischen Zivilbevölkerung. Die Aufarbeitung des Völkermords sowie zahlreicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Sri Lanka wird bis heute von der Regierung aktiv verhindert. Die Auftraggeber des Massenmordes an Tamil*innen in der letzten Phase des Bürgerkrieges 2009 befinden sich nun an der politischen Spitze Sri Lankas, Gotabaya Rajapaksa als Präsident und sein Bruder Mahinda Rajapaksa als Premierminister.

Erst nach 12 Jahren, nach dem offiziellen Ende des Bürgerkrieges wurde am 23. März 2021 nach großen jahrelangen Bemühungen seitens tamilischer Zivilorganisationen und tamilischen Parteien eine UN-Resolution verabschiedet, die das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte beauftragt, Beweise für schwere Verstöße gegen das Völkerrecht in Sri Lanka zu sammeln und zu sichern, um anschließend mögliche Rechenschaftspflichten für diese Verbrechen einzufordern.

Insgesamt haben 22 Ratsmitglieder für die Resolution gestimmt, während 11 dagegen waren und 14 sich enthielten. Deutschland unterstützte die Resolution und stimmte dafür. Die Resolution wird den gemeinsamen klaren Forderungen der tamilischen politischen Parteien und den zivilgesellschaftlichen Gruppen nicht gerecht, dennoch ist dies ein positiver Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die Tamil:innen mit dem Potenzial, Verbrecher in einem internationalen Rechenschaftssystem zu verurteilen, wofür Tamil*innen schon lange gekämpft haben. Für die UN-Resolution zu Sri Lanka wurde im Vorfeld der Verabschiedung ein Budget von 2,8 Millionen US-Dollar angefordert. Dieses Budget diene dazu, die Sammlung von Beweisen für Massengräueltaten zu beginnen, die für zukünftige Kriegsverbrecherprozesse verwendet werden könnten. Zum Ermittlerteam gehören Analyst:innen, Menschenrechtsbeauftragte und Jurist:innen. Allerdings sind noch entscheidende Maßnahmen außerhalb des UN-Menschenrechtsrates notwendig.

Wenige Tage nach Verabschiedung dieser UN Resolution sammelte Deutschland dann bis zu 100 tamilische Flüchtlinge zur Abschiebung nach Sri Lanka ein, die zusammen am 30. März abgeschoben werden sollten. Die UN-Resolution wird damit untergraben. Deutschlands Aktion verhöhnt die Resolution und gibt Sri Lanka Rückendeckung.

Die Aktivist*in Sinthujan Varatharajah kommentiert die Abschiebung auf Twitter: „2009 wurden innerhalb von 138 Tagen bis zu 170.000 Tamil*innen von Sri Lanka ermordet. Es gab weder Aufklärung noch Gerechtigkeit. Tamil*innen sind noch immer unterdrückt (…).“ In Büren, Pforzheim, Berlin und in Düsseldorf haben sich in den Tagen vor der Abschiebung Hunderte versammelt, um gegen die Razzia und die geplanten Abschiebungen zu demonstrieren. Die Demonstrationen wurde vom Volksrat der Eelam Tamilen – Deutschland e.V. (VETD) organisiert. Lautstark demonstrierten Tamil*innen in Berlin vor dem Bundesministerium des Innern mit den Slogans „Kein Mensch ist illegal“ oder „Keine Abschiebung in die Folter“. Am Tag der Abschiebung protestierten Dutzende am Düsseldorfer Flughafen, um in letzter Minute die Abschiebungen zu stoppen. Es konnten schließlich vier inhaftierte tamilische Asylbewerber aus Baden Württemberg am Düsseldorfer Flughafen freigelassen und mit dem Zug nach Hause geschickt werden.

Prof. Dr. Nimmi Gowrinathan kommentiert bei Twitter, dass das Risiko der Rückführung, für diejenigen, die im Ausland Asyl gesucht haben, extrem hoch bleibt. Abschiebungen aus Deutschland zurück nach Sri Lanka garantieren Verhöre, Überwachung und mögliche Folter. Berîvan Aymaz, Sprecherin für Integrations- und Flüchtlingspolitik und Internationales/Eine Welt der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, forderte: „NRW darf sich an dieser Sammelabschiebung nicht beteiligen. Flüchtlingsminister @JoachimStamp muss hier eine menschenrechtsorientierte Haltung an den Tag legen und jeden Einzelfall aus NRW auf die Möglichkeit zur Erteilung einer Aufentshaltserlaubnis prüfen lassen. @FRNRW.“

Die Pressestelle der LINKE ließ verlautbaren: „Angesichts der Menschenrechtslage in #SriLanka sind wir sehr besorgt. Wir fordern Bundesinnenminister #Seehofer auf, die geplante #Sammelabschiebung sofort zu stoppen.“ Zahlreiche Tamil*innen haben zudem Protestbriefe an die deutsche Regierung geschrieben, mit der Forderung, die Massenabschiebungen zu stoppen. Selbst nationale tamilische Nachrichtendienste von Sri Lanka sind schockiert über die Abschiebungen in Deutschland.

Möchte die deutsche Regierung über tamilische Menschenleben verhandeln und ökonomische sowie politische Interessen in Sri Lanka wahren? Welche Motivation hat die deutsche Regierung, direkt nach Verabschiedung der UN-Resolution gegen Sri Lanka heimlich mit Sammelabschiebungen von Tamil*innen nach Sri Lanka zu beginnen? Wer hat die Entscheidung getroffen, diese Sammelabschiebungen umzusetzen? Wie ist der Prozess der Entscheidungsfindung und der Durchsetzung der Abschiebungen vonstattengegangen? Interessante Fragen, die untersucht werden müssen.

Es ist die Aufgabe der deutschen Botschaft, die Situation der Abgeschobenen in Sri Lanka im Auge zu behalten. Allerdings kann man sich darauf nicht verlassen, da die deutsche Botschaft in Sri Lanka erfahrungsgemäß dem nicht nachkommt. International Human Rights Association Bremen e.V. hat beschlossen, ein Team von Beobachtern aus Deutschland und anderen Ländern nach Sri Lanka zu schicken, sodass die Situation der abgeschobenen Menschen verfolgt werden und mit Menschenrechtsaktivist*innen zusammengearbeitet werden kann.


Zeitgleich hat die sri lankische Regierung eine plötzliche und weitreichende Ächtung von Hunderten von Einzelpersonen und mehreren tamilischen Diaspora-Organisationen angekündigt und geht dabei weiterhin gegen die tamilische Zivilgesellschaft und Aktivist*innen vor. Die Liste enthält die vollständigen Namen und Adressen vieler tamilischer Aktivist*innen. Einige davon sind als ehemalige LTTE-Kader (Liberation Tigers of Tamil Eelam) aufgeführt. Einige der aufgeführten Organisationen sind pro-tamilische Befreiungsorganisationen wie die Tamil Youth Organisation (TYO) – Australia und das World Tamil Coordinating Committee (WTCC), Global Tamil Forum, (GTF), British Tamils Forum (BTF), TYO (Tamil Youth Organisation), National Council of Canadian Tamils (NCCT) und Canadian Tamil Congress (CTC). Sie wurden 2015 aus der Liste gestrichen. Das erste Verbot im Jahr 2014 kam ebenfalls im März, während einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrates, in der die Menschenrechtslage in Sri Lanka untersucht wurde. Die neue Liste hat auch mehrere neue individuelle Namen hinzugefügt, tamilische und muslimische, so Mario Arulthas, PhD Student und Mitglied von PEARL (People for Equality and Relief in Lanka) auf Twitter. Wie bei der ursprünglichen Liste von 2014 sind viele Details nicht mehr aktuell, einschließlich Ort, Alter usw. Einige der genannten Personen sind tot. Viele sind bekannte Aktivist*innen, die wichtige Arbeit geleistet haben und immer noch leisten. Einige waren seit Jahren nicht mehr aktiv. Das staatliche Ouring bringt sie und ihre Familien in enorme Gefahr.

Mario Arulthas kommentiert:“ Das wird die Diaspora-Heimat-Verbindungen für die Menschen auf der Insel noch riskanter machen und es den Diaspora-Tamilen erschweren, zurückzureisen. Und das ist die Absicht.“

Deutschlands Abschiebung von Hunderten von Tamilen und Muslimen in so einer Situation nach Sri Lanka zeigt die schockierende Nichtigkeit der erst kürzlich verabschiedeten UN-Resolution.

#Bildquelle: wikimedia.commons

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Geheimbericht des Auswärtigen Amtes zeigt: Deutschland versucht, mit den salafistischen „Rada – Special Deterrence Forces“ Gespräche über „Rückführungen“ von Migrant*innen nach Libyen aufzunehmen

Ein interner Bericht über die »asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen« des Auswärtigen Amtes, der dem lower class magazine vorliegt, zeigt einen neuen Tiefpunkt in der „Flüchtlingspolitik“ der deutschen Bundesregierung.

Das als »Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch« eingestufte Dokument dokumentiert zunächst die menschenrechtlich katastrophale Lage in dem nordafrikanischen Staat: Libyen wird als  »failed state« beschrieben, in dem verschiedene Warlords und Milizen einander ohne Rücksicht auf Zivilist*innen bekämpfen. Niemand ist vor Folter, willkürlichen Verhaftungen, Morden, sexualisierter Gewalt und Sklaverei sicher. Richtig wird bewertet: Fliehende und ausländische Migrant*innen sind dabei „der am schlechtesten geschützte Teil der Bevölkerung“. (mehr …)

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Wenn ich eines an Horst Seehofer besonders hasse, dann ist es das kalte Lächeln, das er bei öffentlichen Auftritten eigentlich immer aufsetzt, und das zwanghafte Witzeln, das vermutlich Souveränität signalisieren soll. Der CSU-Politiker und noch amtierende Bundesinnenminister, der gottseidank kürzlich seinen Abschied von der Politik angekündigt hat, kalauert eigentlich immer, zumindest wenn Kameras und Mikros auf ihn gerichtet sind – auch und gerade bei Themen, die keinerlei Anlass dazu bieten. Die hunderttausende Opfer der Politik des noch amtierenden Bundesinnenminister hatten und haben dagegen nichts zu lachen.

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